„Geordnete Zwangsmigration“ durch Schnellverfahrenszentren an der grünen Grenze?

Die Haltung, für die Deutschland und insbesondere die Kanzlerin in der aktuellen Flüchtlingsdebatte bis hin zu Nobelpreishoffnungen gelobt wurde, lautet, die Grenzen für Flüchtlinge offen zu halten. Aber geordnet soll es zugehen bei der Flucht, und der Umgang mit ihr soll effizienter werden. Von daher wird jetzt nach Möglichkeiten gesucht, zwischen denjenigen Menschen, die im Rechtssinne schutzberechtigt sind und für die Deutschland auch zuständig ist, und denjenigen Menschen, für die das nicht gilt, rascher als bisher zu unterscheiden. Möglichst gleich an der Grenze, in Transit-Zentren. Die einen lässt man dann „richtig“ einreisen, die anderen sollen gleich wieder gehen.

In Deutschland gibt es Transit-Schnellverfahren an Flughäfen für Antragsteller, die wenig Aussicht auf Anerkennung haben, etwa weil sie aus einem sicheren Herkunftsstaat kommen. Das vom Bundesverfassungsgericht einst abgesegnete und bis heute umstrittene Flughafenverfahren betrifft nur wenige Fälle. Macht es Sinn, das Screening in Transit-Zentren an der „grünen Grenze“ auf alle Ankommenden auszuweiten? Teilweise scheint dabei die Vorstellung zu herrschen, man könne diejenigen Schutzsuchenden, deren Asylantrag im Schnellverfahren für unzulässig oder offensichtlich unbegründet befunden wurde, gleich über die Grenze zurückschicken. Rechtlich muss man unterscheiden zwischen Zentren an den europäischen Binnengrenzen, also z.B. an der bayrischen Grenze zu Österreich, und Zentren an den europäischen Außengrenzen, etwa in Ungarn, Griechenland oder Italien.

Bei den Binnenzentren stünde, einmal abgesehen von den im Schengen-Raum nur befristet zulässigen Binnen-Grenzkontrollen, der Zurückschiebung die Dublin-III-Verordnung entgegen. Sie regelt, welcher europäische Staat für welchen Asylantragsteller zuständig ist und wie verfahren werden muss, wenn ein Antrag im unzuständigen Staat gestellt wird. Für die Übernahme durch den zuständigen Dublin-Staat gibt es dann ein förmliches Verfahren mit Fristen, gegebenenfalls ist auch der Ausgang eines Rechtsschutzverfahrens abzuwarten. Fast immer wird nicht Österreich zuständig sein, meist ist es der Staat des Ersteintritts nach Europa. Oft lässt sich mangels Registrierung allerdings nicht feststellen, wo der Schutzsuchende ersteingereist ist, oder eine Überstellung scheidet aus menschenrechtlichen Gründen aus, oder auch, weil Deutschland die erwähnten Fristen verpasst hat – dann wird es selbst asylzuständig. Im Ergebnis kommt es in der Praxis zu vergleichsweise wenigen Dublin-Überstellungen. Im Jahr 2014 hat Deutschland bei gut 200 000 Asylanträgen ca. 35 000 Übernahmegesuche gestellt, überstellt hat es letztlich 4 772 Personen, und nach Österreich 225.

Was ändert sich, wenn man die Ankommenden – also anders als am Flughafen Hunderttausende – in Transit-Zentren screent? Menschenrechtsgerechte Aufnahmebedingungen zu garantieren wird nicht leichter, wenn sehr viele Menschen auf begrenztem Raum unfreiwillig konzentriert werden. Und Schutzsuchende könnten auch unter Umgehung der Transit-Zonen einreisen – das lässt Irregularität erwarten, nicht Ordnung. Im Transit darf nach Art. 43 Asylverfahrensrichtlinie nur über Anträge entschieden werden, die auch dort gestellt wurden und unzulässig oder die offensichtlich unbegründet sind, z.B. weil der Antragsteller aus einem sog. sicheren Herkunftsstaat kommt. Am Dublin-Recht ändert sich im Transit nichts, es sei denn, man inhaftiert die Menschen dort – was nur eingeschränkt zulässig ist -, dann verkürzen sich nach Art. 28 Dublin-III-Verordnung die erwähnten Fristen, sodass Deutschland noch häufiger als bisher wegen verpasster Fristen selbst asylzuständig werden könnte.

Beschleunigt werden könnten die Verfahren, indem Deutschland sich nach der Dublin-Selbsteintrittsklausel gleich selbst für asylzuständig erklärt. Bei Schutzsuchenden aus einem sog. sicheren Herkunftsstaat, bei denen man sich im anschließenden Asylverfahren eine rasche Ablehnung verspricht, geschieht das bereits vielfach. Es handelt sich hier nicht um einen Effizienzgewinn, der von der Einrichtung von Transit-Zentren abhängig wäre. Findet das Verfahren im Transit statt, muss über den Antrag nach Art. 43 Asylverfahrensrichtlinie grundsätzlich innerhalb von vier Wochen entschieden sein, sonst muss die Einreise gestattet werden. Wenn das wegen „Ankunft einer erheblichen Zahl“ nicht geht, kann das Transitverfahren auf den Zeitraum der sonst üblichen Unterbringung in Erstaufnahmeeinrichtungen ausgedehnt werden.

Asylverfahren lassen sich auch bei sog. sicherem Herkunftsstaat nicht beliebig beschleunigen. Es handelt sich bei diesem Konzept nur um eine Vermutungsregel. Ob und was dem Antragsteller im Fall der Rückführung tatsächlich droht, das muss im Einzelfall geprüft und auf Antrag auch gerichtlich kontrolliert werden. Die Verfahrensgarantien der Asylverfahrensrichtlinie gelten auch für Transitverfahren, indessen sind sie nicht so detailliert, dass keine Spielräume für die Verkürzung von Verfahrensrechten in besonderen Schnellverfahren bestünden – wie im deutschen Flughafenverfahren. Die Beschleunigungsmöglichkeit durch solche Schnellverfahren ist europarechtlich nicht auf Transitzonen beschränkt, wie sich Art. 31 Abs. 8 Asylverfahrensrichtlinie entnehmen lässt. Zu Schnellverfahren hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bereits einmal 2012 in einem französischen Fall entschieden, dass sie menschenrechtliche Grenzen verletzen, wenn sie den Rechtsschutz insgesamt zu sehr erschweren. Will man die Verfahren wesentlich beschleunigen, ohne die Menschenrechte der Betroffenen zu verletzen, hilft vor allem eines: mehr Personal. Auch dieser Beschleunigungseffekt ist nicht auf Transitverfahren beschränkt.

Hat Deutschland das Asylverfahren selbst durchgeführt und den Antrag rechtskräftig abgelehnt, ist keineswegs Österreich Zielstaat der Rückführung, sondern der jeweilige außereuropäische Herkunftsstaat. Nach Maßgabe des Art. 38 Asylverfahrensrichtlinie kann unter Umständen auch in einen sicheren Drittstaat abgeschoben werden, das gilt aber für außereuropäische Staaten, innereuropäisch ist das Dublin-System vorrangig. An einer der häufigsten Ursachen dafür, dass die Rückführung scheitert – fehlende Identitätspapiere -, können auch Transit-Zentren nichts ändern, ebenso wenig gegebenenfalls an humanitär-menschenrechtlichen Duldungsgründen. Bliebe als Effizienzgewinn allenfalls, dass die Rückführung, wenn sie denn möglich ist, seltener am Untertauchen scheitern würde. Dazu muss man die Menschen aber wohl internieren.

Alles in allem lässt sich sagen: Transit-Massenzentren an der bayrischen Grenze können nicht halten, was man sich davon verspricht. Sie fördern eher irreguläre Grenzübertritte, als sie zu verhindern, ermöglichen keine Zurückschiebungen ins Nachbarland, erzeugen kaum Beschleunigungseffekte, die nicht auch ohne sie erzielbar wären, und richten im Hinblick auf Aufnahmebedingungen und Internierung menschenrechtlich bedenkliche Zustände an. Damit dienen sie der Abschreckung, nicht der Ordnung und Effizienz.

Wie steht es mit der Idee der Zentren am Rande Europas, in den Ersteintrittsstaaten? Die menschenrechtlichen Bedenken im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit von Internierungen, die Verkürzung von Verfahrensrechten in Schnellverfahren und die Aufnahmebedingungen in Massenzentren bestehen auch hier, ebenso Bedenken hinsichtlich der Verlagerung auf irreguläre und immer gefährlichere Fluchtrouten. In den Zentren wäre wiederum zunächst ein Dublin-Verfahren durchzuführen, das allerdings meist die Zuständigkeit des Ersteintrittsstaates selbst ergeben wird. Hier liegt ein weiteres Problem.

Das Dublin-System in seiner bisherigen Form ist bekanntlich unter anderem daran gescheitert, dass es eine angemessene Lastenteilung unter den Dublin-Staaten vermissen lässt. Die Kapazitäten der Ersteintrittsstaaten waren und sind überfordert, weshalb sie vielfach dazu übergegangen sind, Ankommende nicht mehr wie vorgeschrieben im Eurodac-System zu registrieren, sondern durchreisen zu lassen – ohne Fairness ist eben mit nachhaltiger Kooperation nicht zu rechnen. Solange die Idee der Verfahrenszentren am Rande Europas nicht mit einem fairen Lastenteilungskonzept verbunden wird, besteht wenig Aussicht, dass aus dem Systemboykott eine zuverlässige und rechtstreue europäische Asylkooperation wird.

Bei den zu teilenden Lasten geht es weniger um die Zentren selbst und das dafür erforderliche Personal – das würde wohl europäisch finanziert werden – als um die Frage der Zuständigkeit und weiteren Kostentragung nach Abschluss des Asylverfahrens. Nach derzeitigem Recht liegt nicht nur die Zuständigkeit für das Dublin- und das Asylverfahren, sondern auch die für den weiteren Umgang mit rechtskräftig anerkannten und rechtskräftig abgelehnten Schutzsuchenden regelmäßig beim Ersteintrittsstaat. Auch hier kann man, wenn man denn menschenrechtskonform handeln will, Abgelehnte nicht einfach zurückschieben oder in der Transitzone sich selbst überlassen, sondern braucht für die Rückführung Identitätspapiere, einen übernahmebereiten und -tauglichen Zielstaat und muss Abschiebungshindernisse prüfen. Viele Abgelehnte werden letztlich bleiben und vom Ersteintrittsstaat zu versorgen sein – oder eben irregulär durch Europa weiterwandern.

Hinsichtlich des Umgangs mit den Anerkannten ist die jüngst beschlossene, quotale innereuropäische Umverteilung von 160 000 Schutzberechtigten zwar ein Schritt in Richtung mehr Lastenteilung, angesichts der Gesamtzahlen aber ein Tropfen auf den heißen Stein. Solange es nicht zu einer grundlegenden Dublin-Reform kommt, erscheint die Idee der Verfahrenszentren eher als Versuch der attraktiveren Fluchtzielstaaten, unter anderem Deutschlands, ihre durch die irregulären Weiterwanderungen angestiegenen Lasten wieder in die Randstaaten zurück zu verlagern, indem man zuallererst für eines sorgt: eine konsequente Ersteintrittsregistrierung.

 

 

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