Abschreckung in Dauerschleife. Asylzentren in Afrika sind keine Lösung

Frisch ins Amt berufen hat der neue Sonderbevollmächtigte der Bundesregierung für Migrationsabkommen Joachim Stamp (FDP) angekündigt, auch die Auslagerung von Asylverfahren in afrikanische Staaten als Teil einer strengeren Asylpolitik zu prüfen. Im Gegensatz zu den Plänen der Bundesregierung das Staatsangehörigkeitsrecht zu liberalisieren und eine Bleiberechtsregelung für Geduldete zu schaffen steckt in diesen Vorschlägen kaum Neues und vielmehr ein problematisches Verständnis von Asylpolitik.

Bereits seit dem dänischen Vorstoß 1986 zu regionalen Verfahrens- und Resettlementzentren sind ähnliche Politiken, Asylsuchende in Drittstaaten zu verbringen und dort ihre Asylverfahren durchzuführen im Abstand weniger Jahre von europäischen Ländern, Australien und den USA entworfen worden. Sie wurden teils umgesetzt, teils wieder kassiert. Deutschland scheiterte beispielsweise gemeinsam mit Italien 2004 an einem solchen Vorstoß in der Europäischen Union (EU). Umgesetzt hingegen wurde der EU-Türkei-Deal von 2016 zur Rücksendung Asylsuchender aus Griechenland in die Türkei. Auch Notfallevakuierungen aus Krisengebieten können das Asylverfahren in Drittstaaten verlagern. So wurde als Antwort auf die massiven Menschenrechtsverletzungen in libyschen Gefängnissen der „Emergency Transit Mechanism“ (ETM) eingeführt. In ihm sind seit 2017 potentielle Geflüchtete aus Libyen in den Niger evakuiert worden. Seit 2019 hat daran auch Ruanda teilgenommen. In beiden Staaten wurden die Asyl- und Resettlementverfahren durchgeführt, um einige Geflüchtete später nach Europa und Nordamerika umzusiedeln. Zuletzt waren insbesondere dänische und britische Pläne Asylsuchende in den beiden Ländern nach Ruanda zu verbringen in der Debatte. Dänemark hat diesen Plan wegen rechtlicher und praktischer Hürden gestoppt, der britische Vorstoß ist vom europäischen Menschengerichtshof zunächst verhindert worden. Dennoch ebben diese Initiativen nicht ab und werden auch von einigen EU-Staaten unterstützt.

Stamps Vorschlag wärmt nun das bereits 2018 vom Europäischen Rat vorgebrachte Konzept von regionalen Ausschiffungsplattformen in Nordafrika wieder auf. Die Idee ist, Menschen, die im Mittelmeer aufgegriffen wurden, in diese Zentren zu bringen und dort ihr Asylbegehren zu prüfen. Anerkannte Geflüchtete könnten dann im Gegensatz zu den illegalen Zurückweisungen beispielsweise nach Libyen später potenziell legal nach Europa einreisen. Stamp scheint bei diesem Vorschlag jedoch zu vergessen, dass schon damals alle nordafrikanischen Staaten diesen Vorschlag als neokolonial zurückwiesen. Die Afrikanische Union wiederum kritisierte das Projekt angesichts der geplanten Inhaftierung von Schutzsuchenden und den Bruch des Völkerrechts.

Im Unterschied zu ihren nordafrikanischen Nachbarn können für ärmere subsaharische Staaten die finanziellen Anreize ausreichend Motivation sein für eine Kooperation. So kassierte Ruanda bereits vorab von Großbritannien 140 Millionen Euro zum Aufbau von Beherbergungskapazitäten. Wie ich in meiner Forschung zum Emergency Transit Mechanismus im Niger herausarbeite, ermöglichte die Finanzierung über den Europäischen Nothilfe-Treuhandfonds für Afrika den Ausbau der Asylbehörde einschließlich einer bedeutenden Gehaltserhöhung für die leitenden Beamt*innen zwischen 150-500€ und häufigere Missionen mit eindrucksvollen Tagegeldern nach Europa.

Aufwändige Verfahren prägen den Emergency Transit Mechanismus, wie hier beim Ausstellen von Visa durch die nigrische Grenzpolizei. Copyright: Laura Lambert, 2019.

Es wurde auch ein Camp mit festen Infrastrukturen geschaffen, das später in die Hand des Staates übergehen sollte. Hinzu kam der Zugewinn an diplomatischer Anerkennung. Plötzlich wurde der Niger vom UN-Flüchtlingshilfswerk und der EU für seine „beispiellose Solidarität“ und als „guter und proaktiver Partner“ gelobt. Finanziell und diplomatisch können Staaten und insbesondere ihre Regent*innen gewinnen, wenn sie sich auf Vorstöße wie jenen vom Migrationsbevollmächtigten Stamp einlassen. Damit stärken solche Politiken auch potentiell korrupte Eliten und ihre Vormacht in den durch extreme Ungleichheit gekennzeichneten Ländern.

An anderen Stellen jedoch gehen die Partnerländer große Risiken ein und umso mehr noch die betroffenen Geflüchteten selbst. Erstens besteht das Risiko, dass Geflüchtete im Transit festsitzen, weil ihre Asyl- oder Resettlementverfahren abgelehnt werden. Im ETM betraf dies unvorhergesehen viele Fälle. Die aus Libyen in den Niger evakuierten Asylsuchenden waren in den Worten eines UNHCR-Mitarbeiters wider Erwarten „keine Sternschnuppen“, die in Windeseile nach Europa resettled werden konnten. Sie hatten zwar fast alle Foltererfahrungen in den libyschen Gefängnissen gemacht, doch teils ihr Herkunftsland aus ökonomischen Gründen verlassen und damit formell keinen Fluchthintergrund. Unter den eritreischen Asylsuchenden waren wiederum einige frühere Militärs mit Dienstgrad, die gerade vor dem lebenslangen Militärdienst aus Eritrea geflohen waren. Andere Evakuierte hatten in Libyen als Schmuggler gearbeitet und wurden im Niger wiedererkannt. Für beide Gruppen stand im Raum, dass sie in kriminelle Handlungen und Menschenrechtsverletzungen verwickelt waren. Diese komplexe Gemengelage führte dazu, dass einige Asylsuchende keinen Flüchtlingsstatus erhielten. Mitte 2019 waren davon rund 120 von damals 2.900 Evakuierten bedroht.

Evakuierte im Emergency Transit Mechanismus protestieren im Botschaftsviertel der nigrischen Hauptstadt Niamey gegen die drohende Ablehnung ihrer Fälle. Copyright: Laura Lambert, 2019.

Für diese Fälle war es unklar, wie es weitergehen sollte. Abschiebungen nach Eritrea oder in Krisengebiete wie den Sudan, woher ein bedeutender Anteil der Asylsuchenden kam, waren ausgeschlossen. Eine Legalisierung im Niger lehnten verantwortliche nigrische Beamt*innen und Geflüchtete aus unterschiedlichen Gründen ab. Für die Geflüchteten wogen die fehlenden ökonomischen Möglichkeiten im Niger schwer, für die Beamt*innen auch die prekäre Sicherheitslage im Land. In Ruanda ist die Ansiedlung im Land zwar von vornherein mit eingeplant worden, doch auch dort scheinen Geflüchtete sie abzulehnen. Angesichts begrenzter Arbeitsmöglichkeiten und der problematischen Menschenrechtslage überrascht dies kaum. 2018 wurden mindestens 10 Geflüchtete von Sicherheitskräften nach Protesten getötet. Außerdem waren frühere innerafrikanische Umsiedlungsprogramme von Geflüchteten nach Benin und Burkina Faso bereits vom UNHCR als gescheitert erklärt worden, weil die Geflüchteten Hunger litten und teils weitermigrierten. Menschenwürdige Lösungen für abgelehnte Fälle bleiben ein fundamentales strukturelles Problem von solchen extraterritorialen Asylverfahren. Der Migrationsbevollmächtigte muss sich hier die unbequeme Frage stellen, wie er menschenrechtskonforme Lösungen für abgelehnte Asylsuchende garantieren will.

Zweitens basiert die Auslagerung von Asylverfahren auf der Vorstellung eines funktionierenden Rechtsstaates im Drittland. Im Niger jedoch war das Berufungsverfahren weder operativ noch unabhängig. Das zuständige Berufungskomitee hatte sich drei Jahre nicht getroffen und bestand aus den gleichen Ministerien wie die erste Instanz. Der danach zuständige obere Verwaltungsgerichtshof hatte zuvor nie asylrechtliche Fälle entschieden und sah die Rechtsgrundlagen als mangelhaft, um in einer ersten Berufungsklage aktiv zu werden. Darüber hinaus ist die Justiz in westafrikanischen Staaten generell völlig überlastet und von Korruption und Klientelismus geprägt. Auch für Ruanda sind die strukturellen Schwächen des Asylverfahrens und des Flüchtlingsschutzes von der Herkunftslandberichte verfassenden Nichtregierungsorganisation Asylos herausgearbeitet worden.

Drittens handelt es sich bei der Auslagerung von Asylverfahren an Drittstaaten um extrem aufwändige und kostspielige Verfahren für eine kleine Anzahl von Asylsuchenden. Das hat auch eine Evaluation des ETM für die EU bestätigt. Altai Consulting stellte darin den Ausbau des Programms angesichts der komplexen Prozeduren und geringen Fallzahlen in Frage. Im Fall Australiens gab der Staat jährlich pro Asylsuchendem 573.000 Australische Dollar auf Manus Island und Nauru aus. Im Jahr 2022 hat Deutschland 244.000 Asylanträge registriert, doch nur rund 13.000 Abschiebungen realisiert, bei einer deutlich höheren Zahl an Ausreisepflichtigen. Derartige Überführungen wie bei extraterritorialen Asylverfahren sind verwaltungstechnisch ein extremer und noch dazu kostspieliger Kraftakt für wenige Fälle. Es stellt sich damit die Frage, ob es sich bei einem solchen Vorstoß in erster Linie um an das konservative bis rechte Lager gerichtete Symbolpolitik handelt.

Viertens baut diese Politik auf kolonialen Vorstellungen von afrikanischen Migrant*innen auf. Stamp nennt im gleichen Atemzug die willkommenen südamerikanischen Pfleger*innen, die schnell kulturell integrierbar seien. Die Frage ist, wer hier als Gegenüber ungenannt bleibt. Sind es erneut die afrikanischen Migrant*innen, denen im Widerspruch zu Studienergebnissen Bildungsferne unterstellt wird? Und wo allein deren Ankunft auf europäischem Territorium in rassistischer Manier als Bedrohung betrachtet wird? In jedem Fall scheint Stamp zu glauben, dass Abschreckung funktioniere, um ihnen die Motivation zu nehmen über das Mittelmeer zu kommen. Wie Studien längst belegt haben, sind sich afrikanische Migrant*innen den Risiken ihrer Reise durchaus bewusst. Sie treffen dennoch die Entscheidung zu gehen. Neben Verfolgung und Vertreibung, die sie zum Gehen zwingen, haben viele Migrant*innen die Vorstellung von einem menschenwürdigen Leben in Sicherheit. Wie wir alle. Afrikanische Staaten wiederum nehmen mit den Rücküberweisungen der Migrant*innen oft mehr ein als durch die offizielle Entwicklungshilfe. Außerdem laufen sie bei einer allzu bereitwilligen Migrationspartnerschaft mit Europa wie im Falle des Nigers Gefahr, die regionale Prinzipien der Freizügigkeit und Nichtzurückweisung zu verletzen und auf interne und internationale Kritik zu stoßen.

Stamps auf Abschreckung orientierter Vorschlag liefert für diese globale Problemlage keine Lösung. Das ist enttäuschend, hat doch die Bundesregierung kürzlich begonnen das Staatsangehörigkeits- und Bleiberecht zu liberalisieren. Wenn es Stamp wirklich darum ginge, das Sterben im Mittelmeer zu reduzieren, dann sollte er sich gegen die Kriminalisierung von Seenotretter*innen einsetzen. Er könnte sich auch umfassend für humanitäre oder erleichterte Einreisevisa und Botschaftsasyl stark machen. Dann könnten die Menschen auch wieder legal die Fähren von Tunesien nach Italien nehmen, wie es noch in den 1970er Jahren für einen Wochenendtrip üblich war. Eine zeitgemäße Migrationspolitik sollte sich jedenfalls nicht mehr der Illusion hingeben, durch Abschreckung und die Auslagerung von Flüchtlingsschutz in Drittstaaten die massiven globalen Ungleichheiten unserer Zeit und die mit ihnen verbundenen Migrationsbewegungen adressieren zu können.

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