Die Republik Moldau und das deutsche Migrationsabkommen: Ausgangslage und Perspektiven

Die Republik Moldau ist ein Migrationsland. Während bisher die Abwanderung und das Pendeln in Form transnationaler (Arbeits-)Migrationsbewegungen an der Schwelle zwischen Europa und der russischen Einflusssphäre dominierten, war zuletzt auch die Fluchtmigration aus der Ukraine ein herausforderndes Thema für das kleine Land und seine multiethnische Gesellschaft. Nun hat die Bundesrepublik Deutschland ein Migrationsabkommen mit Moldau angeregt, das regelgerechte Zuwanderung von Fachkräften, aber auch die reibungslose Rückführung von Migrant:innen ohne regulären Aufenthaltsstatus institutionalisieren soll. Während die Verhandlungen noch im Gange sind, bietet es sich an, einen Blick auf das Migrationsgeschehen in und um Moldau sowie die Potenziale dieser Kooperationen zu werfen.

 

 

Zwischen zwei Kontexten oder eingezwängt zwischen Europa und Russland – die Republik Moldau wird zumeist über ihre Lage definiert. Das kleine Land, das halbmondförmig zwischen Rumänien und der Ukraine liegt, war dabei bislang ein weitestgehend weißer Fleck auf der politischen Landkarte Europas. Insbesondere seit dem russischen Überfall auf die Ukraine ab dem 24. Februar 2022 hat sich dies mit der brisanter werdenden Lage grundlegend verändert: Zunächst stand öffentlich zur Debatte, inwiefern auch Moldau als ehemalige Sowjetrepublik womöglich das  Ziel russischer Expansionsbestrebungen sein könnte. Erschwerend kommt hinzu, dass Transnistrien, seit den 1990er Jahren von Moldau de-facto unabhängig, sich trotz hoher Exporte in die EU ideologisch zunehmend Russland zuwendet und in dem schmalen Landstreifen außerdem russische Soldaten stationiert sind. Des Weiteren war und ist die innere Stabilität Moldaus durch die Auswirkungen des Krieges herausgefordert: Über eine Million Menschen verließ die Ukraine über das Land und wurden dort wenigstens kurzfristig versorgt. Insbesondere die Zivilgesellschaft engagierte sich in überwältigender Weise. Im April 2024 lebten noch rund 120.000 Ukrainer:innen in Moldau, der überwiegende Teil jedoch ist in europäische oder nordamerikanische Staaten migriert – oder in die Ukraine zurückgekehrt.

Die Erfahrung, dass Moldau von Zu- und nicht von Abwanderung herausgefordert ist, war für das Land und seine Menschen neu und schuf im Kontext des Krieges im Nachbarland entsprechend auch ungekannte politische Dynamiken: Erstmals seit den Unabhängigkeitsbestrebungen und der kriegerischen Auseinandersetzungen im Nachgang des Niedergangs der Sowjetunion fanden die Geschicke des Landes und womöglich der ganzen Region größere Beachtung in der internationalen Politik. Insbesondere der politisch aufgeladene Ost-West-Gegensatz wird, durch den von russischer Seite betriebenen Krieg, verschärft. Entsprechend sind nun auch Positionierungen von EU-Staaten wie Deutschland zu diesem Geschehen gefragt. Diese strategische und politische Notwendigkeit zeigt die vielschichtige Dynamik, die nicht allein mehr auf die Stellung der Ukraine oder von Moldau bezogen ist, sondern weit größere Diskussionen beleuchtet.

Bis heute wirken in der moldauischen Politik, Wirtschaft sowie in Fragen kultureller Zugehörigkeit die Kräfte der Staaten und Imperien, zu denen das Land einst gehörte: Rumänien, das Osmanische Reich, das Zarenreich und die Sowjetunion haben Moldau geprägt. Besonders für das sowjetische Erbe ist dies der Fall, der imperiale Einfluss spiegelt sich jedoch auch in der ethnischen Vielfalt im Land wider: In der Republik Moldau leben zahlreiche Minderheiten wie Russ:innen, Ukrainer:innen, Gagaus:innen sowie Roma*, deren Zugehörigkeit u.a. im Zensus erhoben wird. Dadurch ist das Land multikulturell und mehrsprachig geprägt, sodass der Alltag vielstimmig und -sprachig ist. Zugehörigkeit und Orientierungen bilden so ein fluides, jedoch keineswegs konfliktfreies Feld.

Die Konflikte, die heute – auch hervorgerufen durch Russlands Aggression – wieder an die Oberfläche treten, reichen zwar weit über die Region hinaus, betreffen sie aber unmittelbar wohl am stärksten. Zerrissen ist die Gesellschaft Moldaus ohnehin im Hinblick auf die Reflexion der Vergangenheit des noch jungen Nationalstaats; nationale Identifikation ist ein schwieriges Projekt angesichts der elementaren Herausforderungen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der skizzierten Bevölkerungsvielfalt.

Dass der fragile Staat, obwohl nicht Kriegspartei, also in diese schwierige Lage gebracht wird, darf indes ob seiner konflikthaften Position – geografisch, historisch, politisch – kaum verwundern.

 

Herausforderung: Migration

Der Niedergang des sowjetischen Systems hatte für die Bevölkerung katastrophale Folgen: Massenarbeitslosigkeit, Armut und Zukunftsängste prägten die 1990er-Jahre und befeuerten so die Abwanderung. Zunächst wandten sich in der ersten Zeit viele dem vertrauten Russland zu, zudem waren das sprachlich nahe Italien oder Spanien, aber auch die Türkei attraktiv. Es kam zu einem Massenexodus von etwa einem Drittel der Bevölkerung. Durch das Versprechen, dass Migration zumindest übergangsweise relativen Wohlstand, aber auch bessere Bildungschancen für die nächste Generation ermöglicht, wurden immer mehr Länder zu Zielen.

Die Länder der Europäischen Union gehörten in Folge einer Diversifizierung der Migrationsoptionen und -unternehmungen ab  hatte Rumänien an all diejenigen Pässe vergeben, die ihre Abstammung aus dem Gebiet des ehemaligen Großrumäniens nachweisen konnten. Dies betraf u.a. Moldauer:innen und prägte vor allem ab 2007 ihre Präferenz, in die Europäische Union abzuwandern, da sie dort durch den Pass nun selbst EU-Bürger:innen waren. Durch die Arbeitnehmer:innenfreizügigkeit ab 2011 und den Beitritt Rumäniens zur Schengenzone 2024 kamen weitere Erleichterungen hinzu. Auch für Angehörige der Minderheiten (u.a. Bulgar:innen und Gagaus:innen), die rund ein Viertel der Bevölkerung ausmachen, griffen ähnliche Reflexe ihrer kin-states, wobei der Passerwerb insgesamt – wie der Akt der Migration zeigt – vor allem rationale Gründe hat.

Während die Migration für viele Moldauer:innen eine Chance darstellte, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, sind die gesamtgesellschaftlichen Konsequenzen nicht ganz so eindeutig positiv. Stattdessen stellt sich die Lage des Landes und mithin die der Migrationssituation insgesamt extrem zweischneidig dar: Innovationshemmnisse wie politische Fragilität, soziale Ungleichheit und weitere sozio-ökonomischen Herausforderungen werden durch den Weggang neuer Generationen (brain drain) noch verschärft; gleichzeitig unterstützen Migrant:innen ihre Familien und halten das Land so indirekt gewissermaßen ‚am Laufen‘.

Moldau kann also nicht als Land für sich gedacht, sondern muss als in einem, mit anderen Migrationsländern verbundener transnationaler Raum betrachtet werden. Dies wird insbesondere im Kontext der – angesichts der Wahlen im Herbst 2024 verstärkten – hybriden Bedrohung durch Russland deutlich, die breite Bündnisse notwendig macht.

 

Migrationsabkommen als partnerschaftliche Strategie?

Dass Deutschland gerade in diesen Zeiten von Krieg und Verunsicherung Migrationsabkommen mit zahlreichen Staaten, darunter auch Georgien und Moldau , anstrebt, ist nicht allein der Relevanz des Migrationskontexts geschuldet. Genauso wie es im Interesse der derzeit proeuropäisch-liberalen Regierung liegt, sich nach Westen hin der Unterstützung zu versichern, ist es ein Kerninteresse der EU, ihre östlichen Partnerschaften gegen den russischen Einfluss zu wappnen. Das deutsche Migrationsabkommen ist, nachdem Frankreich und die Republik Moldau im März 2024 ein Kooperationsabkommen unterzeichnet haben, nun ein Schritt in diese Richtung und kann zum Baustein einer Sicherheitspartnerschaft werden.

Migrationsabkommen dienen zunächst – wenn auch nicht ausschließlich – dazu, irreguläre Migration zu reduzieren und qualifizierte Zuwanderung anzukurbeln. Dazu sollen Vereinbarungen geschlossen werden, die beides gleichermaßen ermöglichen – sowohl die Rückführung abgelehnter Asylbewerber:innen als auch die Erleichterung einer regelgerechten Migration, etwa in Form von Ausbildungen für angehende (Arbeits-)Migrant:innen. Das Anliegen der Bundesregierung ist folglich kein altruistisches, sondern soll auch Deutschland – insbesondere dem deutschen Arbeitsmarkt – helfen. Mithin kann sich dies auch positiv auf den allgemeinen Migrationsdiskurs auswirken.

Für das moldauisch-deutsche Verhältnis ist hier besonders das Thema Asyl relevant: In den letzten drei Jahren entfielen jährlich ca. 5.000 in Deutschland gestellte Asylanträge auf die Republik Moldau. Diese Zahl übersteigt jene derjenigen Moldauer:innen, die ein Visum in Deutschland beantragt haben, um ein Vielfaches. Bei anderen Kandidatenländern für das Abkommen – wie zum Beispiel Indien oder Marokko – ist es genau andersherum. Doch woran liegt das?

Zum einen benötigen zahlreiche Moldauer:innen durch ihre rumänischen oder bulgarischen Pässe in Deutschland kein Visum und migrieren regulär im Rahmen der Arbeitnehmer:innenfreizügigkeit. Außerdem legen viele ihre Tätigkeit darauf an, dass sie ansonsten mit einem außereuropäischen Pass lediglich drei Monate in Deutschland sind. Als Pflegekraft oder im Baugewerbe dürften sie so zwar ohne Erlaubnis eigentlich dennoch nicht einfach arbeiten – für Studierende sowie Saisonkräfte in der Landwirtschaft gibt es Ausnahmeregelungen –, sodass die Arbeitsmigration als Erwerbs- und Lebensmodell weiter floriert. Oft geht dies mit Ausbeutung und der Beschäftigung weit unter dem Qualifikationsniveau einher, wird aber ob versprochener oder tatsächlich höherer Löhne von den Arbeitskräften in Kauf genommen, um nicht unverrichteter Dinge zurück ins Herkunftsland reisen zu müssen. Immer wieder kommt es auch besonders an solchen, mit dieser Praxis einhergehenden Arbeitsstätten wie Baustellen zu Razzien, bei denen sog. ‚Schwarzarbeit‘ aufgedeckt wird. Um der Verfolgung zu entgehen, die durch mangelnden Rechtsschutz noch verschärft wird, stellen manche der Arbeitskräfte dann Asylanträge – jedoch mit äußerst geringer Erfolgsaussicht.

Zum anderen sind unter den pendelnden Moldauer:innen in Deutschland auch moldauische Roma*, die u.a. in ihrem Herkunftsland Segregation und Diskriminierung ausgesetzt sowie dadurch von steter Armut bedroht sind. Um den das ganze Land betreffenden Energiekrisen der letzten Jahre zu trotzen, haben einige von ihnen Strategien entwickelt, um ihrer Vulnerabilität entgegenzutreten: Sie ‚überwintern‘ in Städten wie Berlin, leiten aber z.T. trotz der zeitlichen Begrenzung ihres Aufenthalts Asylverfahren ein, denen ebenso nur in den seltensten Fällen stattgegeben wird.

Unabhängig von der humanitären Legitimität ihrer Beweggründe sind die asylsuchenden Moldauer:innen ob ihrer Nationalität oft völlig chancenlos: Ein Großteil der Antragsteller:innen wird abgewiesen; lediglich 0,1% der Asylanträge aus Moldau sind erfolgreich. „Jede Woche eine Moldau-Abschiebung“ titelte dazu etwa nd im April 2023 und benennt auch die umfassenden Proteste gegen Abschiebungen nach Moldau, insbesondere die von Roma*, die als Opfer von Diskriminierung und Segregation durchaus Gründe für einen als legitim verstandenen Bleibewunsch vorbringen könnten. Zahlreiche moldauische Roma*, die in Deutschland Zuflucht suchen, haben etwa dadurch, dass sie in ihrem Herkunftsland oft nur mangelhaften Zugang zu basalen Infrastrukturen des täglichen Lebens haben, einen erhöhten medizinischen Versorgungsbedarf – ein Hindernis für Abschiebungen stellt dies dennoch häufig nicht dar.

Dadurch, dass die Republik Moldau gemeinsam mit Georgien im Dezember 2023 zu einem „sicheren Herkunftsstaat“ erklärt wurde, ist die Asylantragstellung ohnehin zunehmend aussichtslos geworden. Etwa Amnesty International sowie Pro Asyl lehnen diese neue Einordnung der beiden postsowjetischen und zunehmend von Russland drangsalierten Länder entschieden und insbesondere im Hinblick auf vulnerable Gruppen wie Roma* (sowie auf LGBTIQ-Personen und u.a. Journalist:innen) ab.

Dennoch: Die Republik Moldau ist trotz der häufig desolaten Lage der Roma* sowie gegenüber der Zahl regulär migrierender Arbeitskräfte nicht primär Herkunftsland von Geflüchteten. Gleichwohl kann eben die spezifische Migration von u.a. Roma*, aber auch von konkret armutsbedrohten Mehrheitsmoldauer:innen, als eine (indirekte) Flucht vor Verarmung, Perspektivlosigkeit und anderen, sich äußerst negativ auswirkenden sozio-ökonomischen Umständen verstanden werden. Der wenigstens temporäre Weggang – der Schritt in das Modell der (Pendel-)Migration – ist dann eine „Flucht nach vorne“. Dass dieses Vorne, in das große Hoffnungen gesteckt werden, vielfach in wirtschaftlich besser gestellten Ländern wie Deutschland liegt und so durch Mobilität transnationale Verbindungen hergestellt und ausgebaut werden, macht ein Handeln auf Seiten der oft privilegierten Ankunfts- und Aufnahmeländer notwendig.

 

Eine Frage der Verantwortung

Das angestrebte Migrationsabkommen ist mit komplexen Zusammenhängen von Interessen unterschiedlichster Stakeholder konfrontiert: Es soll dafür sorgen, dass Menschen nicht mehr unter falschen Versprechungen nach Deutschland gelockt werden und dass sie, falls es doch so kommt, hier bei fehlenden Aufenthaltsmöglichkeiten bzw. mangelnden Asylanspruchs keinen längeren Aufenthalt haben – dabei zeigt es jedoch bisher noch keine Alternativen zur Ausreise auf. Außerdem sollen die Moldauer:innen, die andererseits als Arbeitskräfte angeworben werden, sich auch eine Zukunft durch v.a. ihre Berufstätigkeit gestalten können – inwiefern das sich aber etwa weiter auf den brain drain in Moldau auswirkt, ist bisher noch kaum behandelt worden. Gleichzeitig geben Migrationsabkommen insgesamt den Eindruck vor, ‚people on the move‘ umfassend kontrollieren zu können. Jedoch vernachlässigt dies die agency von Menschen unter Migrationsdruck; der ‚Faktor Mensch‘ scheint in den Vereinbarungen gegenüber staatlichen Akteuren in den Hintergrund zu treten, sodass die genaue und zielgerichtete Implementierung der Bestimmungen und angestrebten Programme noch als Fragezeichen im Raum steht.

Bisher scheint auch die Handlungsmacht Moldaus in diesem Prozess gering. Dass die Regierung um Maia Sandu viel dafür tun würde, um das Land vor weiterer russischer Einflussnahme zu schützen und die Möglichkeiten des Landes, den Sozialstaat weiter auszubauen, auch abseits dieser geopolitischen Situation recht gering sind, macht ihre Verhandlungsposition nicht gerade besser. Ansonsten ist nicht abzusehen, dass sich das Migrationsgeschehen, das zwischen der Republik Moldau und Deutschland seit annähernd 30 Jahren besteht und verschiedenen Formen der Migration, unter denen die pendelnde Arbeitsmigration die wohl wirkmächtigste ist, gesehen hat, groß verändern wird: Wer gut ausgebildet ist, findet einen Weg oder ein Land mit weniger Auflagen, wer dies nicht ist, kann über einen europäischen Pass dennoch problemlos Wege der regulären Einreise finden. Übrig bleiben besonders vulnerable Gruppe, wie Roma*, die sich an jedwedem Ort Diskriminierung gegenübersehen und so womöglich das kleinere Übel wählen.

Die Bundesregierung wird nicht in der Lage sein, allein durch Abkommen, die primär Migrant:innen selbst betreffen, irrational-migrationsfeindliche Stimmen zum Verstummen zu bringen; dies kann auch nicht das Ziel sein. Stattdessen ist es an Deutschland, das Abkommen so zu gestalten, dass es für Moldau und seine Bürger:innen attraktiv ist, regelgerecht zu migrieren. Den Probelauf der „Gastarbeit“ hatte Deutschland schon; es gibt genug Möglichkeiten, es dieses Mal besser, partnerschaftlicher und menschenfreundlicher, zu machen – nicht nur in Bezug auf die Republik Moldau.

 

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