Humanität und Ordnung: Zur Kritik eines politischen Begriffspaars

Unter den Schlagworten „Humanität und Ordnung“ versammeln sich unterschiedliche politische Akteure. Die Stoßrichtung hinter der Losung scheint auf den ersten Blick zu sein, dass sowohl der Schutz für Flüchtlinge aufrechterhalten und gleichzeitig die Ausreiseregeln härter durchgesetzt werden. Tatsächlich geht mit dem Begriffspaar ein schleichender Angriff auf den Kern des Flüchtlingsrechts einher: die subjektiven Rechte von Betroffenen stehen zur Disposition.

 

„Humanität und Ordnung“ ist im deutschen Diskurs in aller politischen Munde, ziert Wahlkampfplakate und -programme zur Migrationspolitik und wird wie ein Mantra in Talkshows genutzt. Wer das Begriffspaar in eine beliebige Suchmaschine eingibt, findet eine große Spannbreite an inhaltlichen Verwendungen und Bezugnahmen. Die Bundesregierung benennt beide Begriffe auf ihrer zugehörigen Website als Überschrift ihrer Migrationspolitik und führt weiter aus, was darunter zu verstehen ist: „Deutschland gibt Menschen Schutz, die vor Krieg oder Verfolgung fliehen. Gleichzeitig begrenzt die Bundesregierung irreguläre Migration“. Im neuen Grundsatzprogramm der CDU von 2023 steht: „Das Leitmotiv unserer Asylpolitik lautet: Humanität und Ordnung“ (S. 23).  Für die CDU bedeutet dies jedoch faktisch die Abschaffung des individuellen Rechts auf Asyl in Europa; denn die Partei fordert, dass „jeder, der in Europa Asyl beantragt“, „in einen sicheren Drittstaat überführt werden“ soll. Und der Drittstaat soll zugleich im „Falle eines positiven Ausgangs (…) dem Antragssteller vor Ort Schutz gewähren“ (Ebd.). Kein Flüchtling soll also mehr Europa betreten, wie auch der parlamentarische Geschäftsführer der Union, Thorsten Frei, bekräftigt hat. Der SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese versteht unter „Humanität und Ordnung“ eine „realistische Migrationspolitik“, die mit einer zügigen Abschiebung von Nicht-Schutzberechtigten einhergehen soll: Also, Abschiebungen im „großen Stil“ realisieren, wie Bundeskanzler Olaf Scholz dies nannte. Schon Jahre zuvor hatte der damalige Innenminister Horst Seehofer mit „Humanität und Ordnung“ seinen „Masterplan Migration“ angekündigt, der u.a. die Einführung von Ankerzentren vorsah, die vorrangig auf die Rückkehr ausgerichtet waren. Ein zentrales Element dieses Plans, Zurückweisungen von Schutzsuchenden an der Grenze unter Umgehung des gültigen EU-Dublinverfahrens, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Oktober 2024 als menschenrechtswidrig bewertet. „Humanität und Ordnung“ ist auch Teil der programmatischen Wende von Bündnis90/Die Grünen, die in der Regierungsverantwortung in den Ländern und im Bund unter diesem Slogan Abschiebungen nach Afghanistan, Asylrechtsverschärfungen und die Zustimmung zum neuen Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS) legitimiert haben, in dem z.B. auch die Inhaftierung von Minderjährigen ermöglicht wird.

Offensichtlich ist, dass das Begriffspaar mit großer politischer Beliebigkeit verwendet wird. Zu erwarten ist jedoch eine erneute Bezugnahme vieler politischer Parteien auf diese Begriffe im Bundestagswahlkampf – wobei zumindest im Wording der Unionsparteien aktuell von Humanität kaum noch die Rede ist. So nuancenreich die unterschiedlichen politischen Vorschläge im Einzelnen sein mögen, die unter das Begriffspaar subsumiert werden, so ist dennoch eine übergeordnete Gemeinsamkeit zu erkennen: „Humanität und Ordnung“ verschleiert auf einer diskursiven Ebene, dass dahinter eine zunehmende steckt und etwaige innerparteiliche Widerstände gegen diese Entwicklung überdeckt werden sollen.


Welche Humanität ist gemeint?

Die Situation für Geflüchtete an vielen europäischen Grenzen wird seit Jahren in der Öffentlichkeit als „humanitäre Katastrophe“ beschrieben. Bilder von brutalen Pushbacks sind ebenso dokumentiert, wie die menschenunwürdigen Zustände in den Flüchtlingscamps auf dem europäischen Boden. Die „Blackbox Grenze“ konnte in den vergangenen Jahren durch investigative Recherchen von Journalist:innen und die dokumentarische Praxis von Aktivist:innen sukzessive geöffnet werden.

Die Rede von einer „humanitären Katastrophe“ hat Anklänge an Naturkatastrophen. Diese erscheinen als externe Ereignisse, die unerwartet eintreffen und dann durch humanitäre Anstrengungen gelöst werden sollen. Jedoch ist die alltägliche Grenzgewalt gegen Geflüchtete mitnichten eine Naturkatastrophe, sondern das Ergebnis von politischen Entscheidungen. Die EU-Mitgliedstaaten, allen voran Deutschland, hätten z.B. in Bezug auf die überfüllten Camps an der griechischen Außengrenze die Möglichkeit gehabt, im Zuge von Umverteilungen in erheblichem Maße für Entlastung zu sorgen. Tatsächlich hat die Bundesregierung einige Tausend Asylsuchende nach Deutschland verteilt. Sie blockierte aber zugleich die Verfahren von Schutzberechtigten im Rahmen der Familienzusammenführung, die nach der Dublin-III-Verordnung den Rechtsanspruch darauf haben (Art. 9 und 10 Dublin-III-VO), zu ihren Familienangehörigen nach Deutschland gebracht zu werden.

In der Bearbeitung dieser angeblichen „Katastrophe“ steckt der Kern des Problems hinter „Humanität und Ordnung“: Konkret ableitbare Rechtsansprüche von Geflüchteten gegen die Staaten werden ignoriert, der Zugang zum Recht aktiv versperrt, während zeitgleich eine paternalistische Politik der Humanität vorgibt, „zu handeln und das Leid zu beenden“. Das Begriffspaar „Humanität und Ordnung“ wird, soweit ersichtlich, ausschließlich im deutschen Migrationsdiskurs verwendet. Aber in anderen Kontexten ist bspw. von der „humanitarian border“ die Rede. Der französische Soziologe Didier Fassin hat sich in seinen Studien umfassend mit diesem „humanitären“ Ansatz in der Migrationspolitik befasst. Seine Kritik lässt sich auch auf die Logik von „Humanität und Ordnung“ anwenden. Er schreibt: „Political asylum became subsidiary to humanitarian reason. More consensual, the logic of compassion now prevailed over the right to protection” (Fassin, 2012, 145).

Das Flüchtlings- und Asylrecht, das sich u.a. aus Fluchterfahrungen nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg und den Vertreibungen nach dem Ende der Imperien Russlands und des Osmanischen Reiches entwickelte, stattet Geflüchtete mit subjektiven Rechten und Ansprüchen aus, die sie gegenüber den Staaten haben. Sie haben das Recht, dass ihr Fluchtschicksal in einem individuellen Verfahren geprüft wird – und diese Prüfung im Rahmen einer menschenwürdigen Unterbringung stattfindet, die eine Obliegenheit der Staaten ist. Der Migrationsrechtler Jürgen Bast spricht von einer Vermenschenrechtlichung („humanrightization“) des Migrationsdiskurses seit den 1990er Jahren. Ein Bestandteil hiervon war die gleichzeitige Ausweitung der Rechtspositionen von Schutzsuchenden durch Entscheidungen der Gerichtsbarkeit, insb. des EGMR und EuGH, aber auch eine stärkere Nutzung des menschenrechtlichen Vokabulars durch zivilgesellschaftliche Bewegungen.

„Humanität und Ordnung“ ist programmatisch darauf ausgerichtet, diese menschenrechtliche Entwicklung zurückzudrehen. In den Asylrechtsverschärfungen auf europäischer und nationaler Ebene wird deswegen versucht, den individuellen Rechtsschutz von Geflüchteten und ihren Zugang zum Recht zu verstümmeln. Aber auch in der Rechtsprechung zeigt dieser Trend Wirkung: Immer öfter ist bei den Anliegen von Geflüchteten zentral, ob sie „vulnerabel“ sind, also sich in einer besonders verletzlichen Situation befinden, die als humanitäres Problem beschrieben wird. Eine Einbeziehung der besonderen Bedürfnisse von Geflüchteten ist im Übrigen nach europäischem Recht auch verpflichtend vorgeschrieben (Art. 22 Aufnahmerichtlinie). Aber durch den starken Fokus auf die „Verletzlichkeit“ rückt die Ausstattung von Geflüchteten mit subjektiven Rechten in den Hintergrund. Um es zuzuspitzen: Nicht nur die schwer kranke und schwangere geflüchtete Frau hat einen Anspruch auf Schutz, sondern auch der gesunde und junge Mann, sofern er Verfolgungsgründe nach der Genfer Flüchtlingskonvention vorweisen kann.In der deutschen Debatte wird „Humanität und Ordnung“ als neue Programmatik eingesetzt, um vorgeblich „irreguläre Migration“ zu steuern. Der Migrationsbegriff ist dabei viel weiter gefasst als Asyl und Flucht; tatsächlich zielen die konkreten Politikansätze auf eine Verminderung der spezifischen Fluchtmigration. Der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, sagte beispielsweise in der Sendung Markus Lanz, , alle Migration müsse reduziert werden, nicht nur die „irreguläre.“ Bundeskanzler Olaf Scholz sagte bspw. in seiner Regierungserklärung nach dem Ampel-Aus als einen Erfolg seiner Politik: „Als Beispiel nenne ich auch die Zusammenarbeit mit den Ländern, wenn es um die irreguläre Migration geht. Die Asylgesuche sind um mehr als 50 Prozent zurückgegangen. Das ist ein großer Erfolg gemeinsamen Handelns in Regierung, Exekutive und Gesetzgebung.“

 

Welche Ordnung ist gemeint?

In der migrationswissenschaftlichen Forschung wird seit langem diskutiert, dass das mit einer Entrechtung von Schutzsuchenden einhergeht. William Walters hat in seinem programmatischen Aufsatz „Foucault and Frontiers: Notes on the Birth of the Humanitarian Border” gezeigt, wie der humanitäre Ansatz mit einer Ausweitung von Überwachungsinstrumenten, mehr Polizeikontrollen und Kriminalisierung einhergeht. Die Elendsverwaltung auf den griechischen Inseln hat dieses Problem deutlich demonstriert: In den Hotspots waren unzählige NGOs und private Helfer aktiv, der Staat zog sich sukzessive aus der Aufrechterhaltung der Aufnahmestrukturen zurück, nur um zugleich Zäune zu errichten und Geflüchtete mit Residenzpflichten zu kontrollieren. Die Lagerstrukturen wurden zwar humanitär „verwaltet“, aber gingen mit einer Entrechtung der Menschen einher. Deswegen entschied sich beispielsweise die NGO Médecins Sans Frontieres im Jahr 2016, kurz nach Unterzeichnung des EU-Türkei-Deals, dazu, nicht mehr länger an der Reproduktion dieser Lagerstrukturen mitzuwirken.

Die ordnungspolitische Verwaltung der Flüchtlinge zeigte sich in den vergangenen Jahren am Umgang der EU mit dem Sterben im Mittelmeer. 2015 startete die Militäroperation EUNAVFOR MED, später „Sophia“. Ihr hauptsächliches Ziel lag in der Überwachung des Meeres, der Verfolgung von Schleppernetzwerken und der Zerstörung von Booten. Aufgrund der seerechtlichen Verpflichtungen retteten Schiffe der Operation auch das Leben einiger Tausend Flüchtlinge – aber der Einsatzbereich von „Sophia“ war deutlich kleiner als der der italienischen Seenotrettungsoperation „Mare Nostrum“, die alleine 2014 über 130.000 Menschen rettete. Auch die Grenzagentur Frontex ist zur Seenotrettung verpflichtet und erfüllt nach der Seeaußengrenzen-Verordnung zugleich das Mandat einer europäischen Küstenwache. Tatsächlich dominiert in der Praxis der Agentur nicht die Humanität, sondern die Ordnung, genauer gesagt: der Versuch einer Abschottung Europas gegenüber Migration. Die Migrationswissenschaftlerin Eline Waerp hat darauf verwiesen, dass Frontex die Einstellung von Seenotrettungsmaßnahmen (“Search & Rescue”, SAR) sogar als humanitäre Intervention umdeutet: „ Frontex’s portrayal of non-rescue as humanitarian is enabled by the reports’ depiction of SAR as a double-edged sword: saving lives at sea but at the same time incentivizing more people to embark on dangerous journeys. This framing allows Frontex to advocate for less SAR since it fuels smugglers’ business model and contributes to more deaths at sea rather than less. According to this logic SAR not only has unintended consequences, it is counterproductive.” Aufgrund der engmaschigen Überwachung des Mittelmeers durch Frontex ließe sich sogar menschenrechtlich argumentieren, dass die Agentur zu einer pro-aktiven Seenotrettung verpflichtet ist. Aber die Dominanz sicherheitsbehördlicher Logiken, die sich über einen Zeitraum von 20 Jahren herausgebildet haben, verunmöglicht diese Ausrichtung der Agentur.

Abseits konkreter Grenzpraktiken wird der Begriff der Ordnung in politischen Debatten immer öfter von Akteuren vertreten, die sich eher einem sozialdemokratischen oder linksliberalen Spektrum zuordnen lassen. Ein Grund hierfür dürfte ein radikalisierter Migrationsdiskurs sein. Viele politische Akteur*innen agieren in dieser Situation nicht mit einer Verteidigung ihrer Positionen, sondern sie machen Zugeständnisse an diese Debatte um Flucht und Migration. Die rechte Rede von einem „Kontrollverlust“ und einem „Rechtsbruch“ in der Asylpolitik, die Stephan Detjen und Maximilian Steinbeis konzise in ihrem Buch Die Zauberlehrlinge beschrieben haben, hat sich zu einem großen Teil in der allgemeinen Öffentlichkeit durchgesetzt.

Die Entrechtung von Geflüchteten ist jedoch innerhalb der Parteien, die für „Humanität und Ordnung“ stehen nicht unumstritten. Der Bundesvorstand der Grünen hatte im Jahr 2023 seinem zentralen Antrag zur Flüchtlingspolitik den Titel „Humanität und Ordnung“ verliehen. Einige Parteimitglieder erkannten darin die Abkehr von einer menschenrechtsbasierten Flüchtlingspolitik und forderten in einem Änderungsantrag die Umbenennung in „Humanität und Rechtsstaatlichkeit“ – gegenüber der „Ordnung“ verweist die Rechtsstaatlichkeit auf die Bindung der Staatsorgane an das Recht, und eben auch die Menschenrechte. Auf dem Parteitag scheiterte dieser Änderungsantrag sehr knapp. Diese Episode verweist nicht nur auf Wortklauberei: Nur kurze Zeit danach gaben die Grünen ihre menschenrechtlichen Positionen in den Verhandlungen rund um das GEAS auf. Außenministerin Annalena Baerbock, die in der Opposition noch die menschenrechtswidrigen Folgen der Reform benannte, begrüßte die Einigung im April 2024 auf der Plattform X mit den Worten: „Mit dem Ja zur #GEAS-Reform im @Europarl_DE beweist die EU in schwierigen Zeiten Handlungsfähigkeit. Europa bekommt verbindliche Regeln mit Humanität & Ordnung“.

Dabei ist der Begriff der „Ordnung“ eindeutig von rechts besetzt. Karlheinz Weißmann, ein Vordenker der Neuen Rechten in Deutschland, schreibt in seinem herausgegebenen „Staatspolitischen Handbuch“ (2. Aufl., 2018) folgendes über den Ordnungsbegriff: Die Konservativen richten „ihr Augenmerk auf Institution und Hierarchie, Autorität und Erziehung, um die Ordnung zu bewahren. Es ist nicht so, als ob ihnen die ‚Wärme des Unaufgeräumten‘ (Michael Oakeshott) unbekannt wäre, aber näher ist ihnen das Diktum Goethes, daß er eher Unrecht als Unordnung leiden wolle“ (S. 114). Weißmann buchstabiert an dieser Stelle das politische Programm hinter dem Ordnungsdenken klar aus: Die Berufung auf eine – mal mehr, mal weniger metaphysisch begründete – Ordnung soll konkretes Unrecht legitimieren.

Dimitrios Kisoudis, der die AfD als Grundsatzreferent berät, wird in einem Beitrag für die Zeitschrift Sezession noch deutlicher. „Ordnung, nicht Differenz, ist der Grundbegriff rechten Denkens. (…) Der Ordnungsstaat ist der Selbstverteidigungsmodus des Rechtsstaats.“ Für Kisoudis ist dies ein Staat des entfesselten Gewaltmonopols, quasi der permanente Ausnahmezustand. In der juristischen Auseinandersetzung um die Forderung nach direkten Zurückweisungen an den binneneuropäischen Grenzen spielte die Referenz auf die „Ordnung“ übrigens eine wichtige Rolle. Befürworter solcher Zurückweisungen stützten sich auf Art. 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Für die „Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit“ solle eine Außerkraftsetzung europäischen Rechts partiell möglich sein. Wenngleich der Europäische Gerichtshof in der Vergangenheit für solche Notlagen keinen Spielraum gesehen hat, öffnet die Debatte Tür und Tor für ein an Carl Schmitt orientiertes Ausnahmezustandsdenken. „Es ist dies das Primat der Politik, nicht des Rechts“, wie die Juristen Matthias Lehnert und Robert Nestler kritisch kommentieren.

Keine Bittsteller, sondern Rechtssubjekte

Durch die Zurückweisungen verfolgter Jüd*innen und Regimegegner*innen an den europäischen Grenzen während der NS-Zeit, aber auch abseits davon in Südamerika, Asien, Australien und Nordamerika, hatte sich in aller Drastik gezeigt, dass eine nicht einklagbare Humanität keinen effektiven Schutz garantiert. Der Clou der Menschenrechtsabkommen und der Genfer Flüchtlingskonvention war gerade, die territoriale Souveränität der Staaten zugunsten von rechtlich durchsetzbaren Ansprüchen einzuschränken. Flüchtlinge sollten keine hilflosen Bittsteller, sondern Rechtssubjekte sein.

Das Begriffspaar „Humanität und Ordnung“ ist gegenüber dieser zivilisatorischen Errungenschaft ein Rückschritt. Das Konzept befördert nicht realistische Steuerungsparadigmen von Fluchtmigration, legitimiert die Einschränkung der subjektiven Rechte von Geflüchteten und ist aufgrund seiner politischen Beliebigkeit imstande, eine „Anti-Migrationsfront“ zu begründen. Dieses Narrativ erweckt den Eindruck des politischen Ausgleichs, quasi einer Balance zwischen Flüchtlingsschutz und Zurückerlangung von „Kontrolle“. „Keine staatliche Autorität kann heute noch einen exklusiven Zugriff auf ihr scheinbar souveränes Territorium reklamieren“, schrieb der Soziologe Zygmunt Bauman. Weil die herrschende Ordnungspolitik dies aber nicht hinnimmt, werden Flüchtlinge, so Baumann, wie „menschlicher Abfall“ behandelt, den man entsorgen will. Im nächsten Jahr soll die EU-Kommission das Konzept der sicheren Drittstaaten im neuen GEAS evaluieren. Auf dem Tisch liegt, von vielen Staaten gefordert, eine Streichung des sog. Verbindungskriteriums (Art. 59 Abs. 5b Asylverfahrensverordnung). Dann würde für alle EU-Staaten das sog. „Ruanda-Modell“ ermöglicht werden. Und sehr wahrscheinlich werden selbsternannte Migrationsforscher und politische Migrationshardliner dann erneut „Humanität und Ordnung“ rufen, wenn sie sich eigentlich Flüchtlingen entledigen wollen als wären diese nur Abfall. Eine kritische Flucht- und Migrationsforschung sollte ihnen diese Camouflage einer im Kern auf Entrechtung abzielenden Politik nicht durchgehen lassen.

 

 

 

 

 

 

 

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