Das Assad-Regime war kaum gestürzt, da erklangen bereits die ersten politischen Forderungen nach einer Rückführung syrischer Geflüchteter aus Europa. Die Grundlage für ihren Schutzstatus sei mit dem Ende des Bürgerkriegs in Syrien nicht mehr gegeben. Diese Forderungen ordnen sich ein in die Debatte um eine Überstrapazierung der Aufnahmesysteme, wachsende Zweifel an der Legitimität des aktuellen Asylsystems und dem Wunsch nach „Abschiebungen im großen Stil“. Erkenntnisse der Rückwanderungsforschung weisen auf die Ambivalenz der Begrifflichkeiten hin und schlagen eine Erweiterung der analytischen Blickrichtung vor, um zu effektiven und humanen politischen Handlungsansätzen zu gelangen.
Während in den ersten Tagen nach dem Fall des Assad-Regimes vor allem Bundespolitiker:innen die deutsche Medienlandschaft mit ihren Einschätzungen beherrschten, kamen nach einigen Tagen auch die potenziell Betroffenen zu Wort: geflüchtete Syrer:innen, die durch die Verbindungen in ihr Herkunftsland eine konkretere Vorstellung von den Rahmenbedingungen einer möglichen Rückkehr haben. „1000 Euro, was soll ich damit?“, fragt etwa der 32jährige Yousef Joubin mit Bezug auf einen Vorschlag des CDU-Politikers Jens Spahn zur Förderung der freiwilligen Rückkehr nach Syrien. Joubin lebt mit seiner Familie in München und arbeitet als Rettungssanitäter. Von Freunden in Syrien hört er von dysfunktionaler Infrastruktur, fehlenden Arbeitsmöglichkeiten und einer schlechten medizinischen Versorgung. Nicht einmal ein Dach über dem Kopf hätte er im Falle einer Rückkehr, denn sein Haus wurde im Krieg zerstört: „Wo soll ich wohnen, in einem Land, in dem so viel zerstört ist?“
Auch internationale Beobachter:innen äußern Zweifel an der Absorptionsfähigkeit Syriens, sollten größere Teile seiner sechs Millionen geflohener Staatsbürger:innen rasch zurückkehren. So erklärt die IOM-Generalsekretärin Amy Pope nach ihrer Rückkehr von einem Ortstermin in Damaskus am 20. Dezember in Genf: “We are not promoting large-scale returns; the communities frankly are just not ready to absorb the people who are displaced and would come home…it will overwhelm the country.” Zum gegenwärtigen Zeitpunkt leben laut Pope 90% der syrischen Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Eine Rückkehr von Syrer:innen in Größenordnungen sei nur nach einer Stabilisierung der Gesamtlage denkbar. Und hierfür sei vor allem ein rasches Hochskalieren internationaler Hilfsgelder erforderlich.
Wer kommt überhaupt für eine Rückkehr/Rückführung in Frage?
Den Statistiken des BAMF folgend wurden seit 2014 bis Ende 2023 rund 880.000 Schutzanträge von Syrer:innen in Deutschland gestellt. Etwas über die Hälfte der Antragstellenden erhielt Flüchtlingsschutz, rund 370.000 Menschen wurde aufgrund ihrer Herkunft aus einem Bürgerkriegsgebiet ein subsidiärer Schutzstatus zugesprochen. Auf der Grundlage dieser Schutzformen wird ein befristeter Aufenthaltsstatus für zunächst drei Jahre erteilt. Inzwischen hat sich der Aufenthalt vieler Syrer:innen in Deutschland verfestigt. Nach fünf (in Ausnahmefällen nur drei) Jahren konnten die ersten Geflüchteten eine Niederlassungserlaubnis, d.h. eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis beantragen, und nach acht Jahren qualifizierten sich viele für einen Einbürgerungsantrag. Ende 2023 besaßen unter den Syrer:innen mit Fluchtgeschichte in Deutschland 81.500 eine Niederlassungserlaubnis, 161.000 waren bereits eingebürgert worden. Auch im Jahr 2024 stehen Syrer:innen an der Spitze der Einbürgerungswilligen, zumal die Gesetzesänderungen des Jahres 2024 die Regelanwartschaft für Einbürgerungen auf fünf Jahre verkürzt haben.
In Bezug auf Forderung nach Rückführungen sind diese beiden Gruppen von vornherein auszuklammern. Denn durch die Einbürgerung gibt es keine juristische Grundlage mehr für eine Rückführung, auch wenn manche Politiker:innen am extrem rechten Rand des deutschen Parteienspektrums entsprechend umfassende Remigrationsvisionen hegen. Und Geflüchtete mit einer Niederlassungserlaubnis haben bereits das vollzogen, was gemeinhin als „Spurwechsel“ bezeichnet wird, also der Wechsel des Aufenthaltsgrundes, der zur Erteilung eines Aufenthaltstitels führt. In der Regel können lediglich jene, die nicht in eine Niederlassungserlaubnis oder einen anderen Aufenthaltstitel – etwa als Fachkraft – gewechselt sind, im Fall eines Widerrufs des Schutzstatus ausreisepflichtig werden. Hierzu ist jedoch zunächst ein individuelles Widerrufsverfahren des BAMF durchzuführen. Und auch danach kann nicht pauschal entschieden werden. Zwar kann ein humanitärer Aufenthaltstitel nicht verlängert werden, wenn der ihm zugrunde liegende Schutzstatus entfällt. Aber der Widerruf eines Aufenthaltstitels aufgrund eines unwirksam gewordenen Schutzstatus ist eine Ermessensentscheidung der jeweils zuständigen Ausländerbehörde, die dabei zwischen dem öffentlichen Interesse der Aufenthaltsbeendigung und dem individuellen Interesse der Betroffenen an einem weiteren Verbleib in Deutschland abwägen muss. Dabei müssen nicht nur wirtschaftliche und soziale Integrationsergebnisse, sondern auch die individuellen Folgen einer Ausweisung unter menschenrechtlichen Aspekten berücksichtigt werden (§53 AufenthG Abs. 2). Jenseits dieser aufenthaltsrechtlichen Aspekte stellt sich aber auch die Frage, wie eine würdige und nachhaltige Rückkehr auszugestalten ist.
Rückkehr und Rückführung von Geflüchteten in der politischen Praxis
Die Rückkehr wird (neben Integration im Aufnahmeland und planvoller Umsiedlung in sekundäre Aufnahmeländer) als eine von drei anzustrebenden nachhaltigen Lösungen für Flüchtlinge und Staatenlose betrachtet. Dem UNHCR Global Trends Report 2023 zufolge kehrten 2023 über sechs Millionen Vertriebene in ihre Heimatländer bzw. -regionen zurück, wobei der absolute Schwerpunkt mit 5,1 Millionen bei Binnenvertriebenen lag. Zur Koordination und Unterstützung einer nachhaltigen Rückkehr haben sich auf internationaler Ebene die so genannten vier Rs (“Repatriation, Reintegration, Rehabilitation and Reconstruction”) durchgesetzt. Sie weisen bereits darauf hin, dass eine Unterstützung von Rückkehr nicht auf der Ebene individueller Rückkehrender stehen bleiben darf, sondern strukturelle Hilfen vor Ort vorhalten sollte, um nachhaltige Entwicklungsoptionen zu generieren. Dazu bedarf es eines koordinierten Zusammenspiels unterschiedlicher staatlicher und nicht-staatlicher Akteure auf den verschiedenen politischen Handlungsebenen.
Auch die EU-Strategie zur freiwilligen Rückkehr und Reintegration berücksichtigt die 4R Prinzipien, um eine „humane, wirksame und nachhaltige Rückkehr irregulärer Migranten zu gewährleisten“. Als bisherigen Erfolg benennt das Strategiepapier die aus dem EU-Treuhandfonds für Afrika finanzierte Rückkehrunterstützung von Migrant:innen in verschiedenen Länder Nordafrikas, der Sahelzone und am Horn von Afrika. Zwischen April 2017 und Oktober 2020, so das Papier, wurden 93.110 Personen direkt nach der Ankunft und 75.182 Personen längerfristig bei der Wiedereingliederung unterstützt. Ein Vergleich dieser Zahlen mit der Anzahl der in Europa aufgenommenen Geflüchteten aus Syrien macht deutlich, welch große Anstrengung eine Hochskalierung für die europäische Staatengemeinschaft bedeuten würde.
In Deutschland wird bereits seit Ende der 1970er Jahre ein Programm zur Unterstützung einer freiwilligen Rückkehr abgelehnter Asylsuchender durchgeführt. Das Programm Reintegration and Emigration Programme for Asylum-Seekers in Germany (REAG) / Government Assisted Repatriation Programme (GARP) bietet Reisebeihilfen zur Realisierung der Rückkehr. Seit 2017 wird es durch das Bundesprogramm StarthilfePlus ergänzt, das eine Geldpauschale von 1.000 Euro pro Person nach der Rückkehr auszahlt, um den Neustart zu erleichtern – insofern rekurrierte also Jens Spahns Vorschlag auf eine existierende Programmatik. Eine in den vergangenen Jahren durchgeführte Programmevaluierung zeigt, dass drei Jahre nach der Rückkehr drei Viertel der Befragten Schwierigkeiten haben, mit dem erwirtschafteten Einkommen ihre Lebenshaltungskosten zu decken – in einzelnen Rückkehrgebieten wie z.B. dem Libanon betraf dies sogar 100% der Befragten. Selbst wenn die Wohnsituation und die soziale Einbettung nach drei Jahren von vielen positiv bewertet wurde, zeigte sich eine große Unzufriedenheit mit öffentlichen Infrastrukturen, z.B. im Bildungs- und Gesundheitsbereich, sowie schwindendes Vertrauen in die politische Stabilität und die Rechtslage im Land der Rückkehr. Besonders unter den zurückgekehrten Frauen wurden Frauenrechte und eigene Entfaltungsmöglichkeiten sehr kritisch betrachtet. Fast die Hälfte der Befragten erwog angesichts der andauernden Schwierigkeiten eine erneute Auswanderung.
Rückkehr aus Perspektive der Forschung
Anders als die politische Praxis, die von Einmaligkeit und Endgültigkeit von Migrationsprozessen und damit auch von Rückkehrbewegungen ausgeht, begreift die Migrationstheorie „Rückwanderung“ als eine Etappe in einem Migrationszyklus, der meist mehrfache Mobilitäten über den Lebenslauf hinweg beinhaltet. Die Vorläufigkeit von Rückwanderung erklärt sich nicht nur aus den prekären Lebenslagen, in die Rückwander:innen möglicherweise geraten, sondern weist auch auf die durch die ersten Migrationserfahrungen erweiterten subjektiven Erfahrungsräume hin, die Rückwandernde als Referenz für ihr zukünftiges Handeln nutzen. Diese Erfahrungen werden innerhalb sozialer Netzwerke und intergenerationell weitergegeben. Auf dieser Basis entwickeln sich transnationale Sozialräume, die eine hohe Wirksamkeit entfalten können, und in denen nicht nur Menschen mobilisiert werden, sondern auch Güter, Geldmittel und innovative Ideen. Empirische Forschungen zum Nexus von Rückwanderung bzw. transnationaler Migration und Entwicklung weisen nicht nur auf die positiven ökonomischen Effekte hin, sondern auch auf die Übertragung sozialer Innovationen, etwa in Hinblick auf zivilgesellschaftliche Entwicklungen. Als wichtige Basis für positive Resultate erwiesen sich die Freiwilligkeit von Rückkehr und das Aufrechterhalten weiterer Mobilitätsoptionen. Eine weitere Voraussetzung ist, dass Rückkehr, so wie alle Migrationsprojekte, ausreichend vorbereitet wird. Zwar wird allgemein angenommen, Rückkehr sei leichter zu bewältigen als Auswanderung, da die Rückkehrenden ja auf Wissen und Erfahrungen im Land der Rückkehr aufbauen können. Doch mit der Dauer der Abwesenheit passen Erinnerungen und aktuelle Realitäten immer weniger zusammen. Daher benötigt auch eine Rückwanderung Vorbereitung, die im optimalen Fall durch (transnationale) Beratungsstrukturen unterstützt wird.
Resümee: Geld ist nicht alles
Selbst wenn also eine Rückkehr- und Startprämie die ersten Härten nach der Ankunft abfedern könnte, werden dadurch kaum die Weichen für eine würdevolle und nachhaltige Rückkehr syrischer Geflüchteter gestellt. Anstatt Syrer:innen in Europa durch entsprechende Forderungen zu verunsichern, sollten politische Akteure sich jetzt auf drei Dinge konzentrieren: Zum einen sollten Syrer:innen mit befristetem Aufenthaltstitel zu den Optionen der Aufenthaltsverstetigung unter den neuen Vorzeichen beraten werden. Der Fokus liegt dabei auf einem Wechsel in die Niederlassungserlaubnis oder in einen Aufenthaltsstatus aufgrund von Erwerbsarbeit, was mit aktuellen politischen Zielen zur verbesserten Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten konform geht.
Zum zweiten sollten politische Akteure sich über alle politischen Handlungsebenen und unter Einbezug nichtstaatlicher Akteure vernetzen, um ihre Aktivitäten in Bezug auf eine Stabilisierung Syriens zu koordinieren. Die syrische Diaspora kann wertvolle Unterstützung bei der Schaffung von demokratischen Strukturen, bei der Stärkung der syrischen Zivilgesellschaft und bei der Restaurierung von Infrastrukturen etwa im Gesundheits- oder Bildungsbereich leisten. Sie kann dies umso besser, je eher Syrer:innen in Deutschland aus einem gesicherten Aufenthaltsstatus heraus agieren.
Zum dritten sollten Menschen, die eine Rückkehr in Erwägung ziehen, intensiv beraten und nachhaltig begleitet werden. Dabei sollten auch Rückkehrprojekte auf Zeit ermöglicht werden, etwa in Form internationaler Freiwilligendienste oder kurzfristiger Hilfsmissionen. Das fördert nicht nur die Restauration der syrischen Infrastrukturen und Gesellschaft, sondern es gibt potenziellen Rückkehrer:innen die Möglichkeit, eine Rückkehr solide vorzubereiten.