Wie in ihrem Koalitionsvertrag skizziert, will die kommende Regierung aus CDU/CSU/SPD Migration „steuern“, „Beschädigungen am gesellschaftlichen Zusammenhalt“ eindämmen, Integrationsmaßnahmen besser finanzieren und die liberale Demokratie wehrhafter machen. Das sind alles richtige und wichtige Ziele. Fraglich ist allerdings, ob das mit den im Koalitionsvertrag vereinbarten Maßnahmen gelingen kann. Schließlich wirkt vieles im Koalitionsvertrag widersprüchlich, unfertig oder gar unrechtsstaatlich. Man setzt auf veraltete Politiken, Symbolpolitik und Maßnahmen, die entweder nachweislich nur schwer umsetzbar sind oder wenig bewirken. Damit verspricht die angehende Regierung mehr, als sie wahrscheinlich einhalten können wird. Dieser Blogbeitrag kommentiert die im Koalitionsvertrag vereinbarten Maßnahmen.
Der Koalitionsvertrag atmet die von vielen als Trauma empfundenen Ausnahmejahre 2015 und 2023. Asylanträge und irreguläre Migration gehen in Europa und Deutschland allerdings schon seit 16 Monaten stark zurück. Dieses auf und ab ist tatsächlich normal. Man sollte sich deshalb nicht von Ausnahmejahren zu politischen Kurzschlüssen verleiten lassen, das führt zu wenig konstruktiven Lösungen.
Die Koalition will Migration „steuern“, man will „Beschädigungen am gesellschaftlichen Zusammenhalt“ eindämmen, Integrationsmaßnahmen besser finanzieren und die liberale Demokratie wehrhafter machen, das sind alles richtige und wichtige Ziele. Die Frage ist, und da sind Zweifel angebracht, ob das mit den im Koalitionsvertrag vereinbarten Maßnahmen gelingen kann.
Der Koalitionsvertrag ist in sich sehr widersprüchlich, man spürt deutlich, dass in der CDU/CSU/SPD Koalition zwei oder gar drei Herzen schlagen und man muss sich wundern, wie das am Ende alles miteinander und mit Rechtsstaatsprinzipien in Einklang gebracht werden soll. Deutschland soll ein „einwanderungsfreundliches Land“ bleiben, aber Migration wird als Teil „multipler Bedrohungen“ verstanden und das „Ziel“ gesetzt, Migration zu „begrenzen“. Das ist ein Widerspruch. Die Koalition will „irreguläre Migration zurückdrängen“, schränkt aber legale Migrationskanäle wie die erfolgreiche Westbalkanregelung oder Familienzusammenführung ein und will gleichzeitig neue Migrationsabkommen eingehen, das aber mit Staaten, die für das Migrationsgeschehen gänzlich unerheblich sind. Das ist alles in sich unzusammenhängend. Auch soll das „Grundrecht auf Asyl unangetastet“ bleiben, aber „Flüchtlinge an den Außengrenzen abgewiesen“ werden. Das ist ein weiterer Widerspruch.
„Migration steuern“, „Fluchtursachenbekämpfung“, „Qualifizierung [von Fachkräften] im Herkunftsland“, Vereinfachung des Aufenthaltsrechtes, „Entbürokratisierung“ und „Digitalisierung“, schnellere Asylverfahren, Bleiberechte für gut integrierte aber bislang nur Geduldete, „freiwillige Rückkehr besser unterstützen“, „Wiederaufnahme des [2022 eingestellten] Sprachkita-Programmes“, Bekämpfung von Rassismus u.v.a.m. sind alles sehr lobenswerte Ziele. Allerdings geben gewisse (Rand)Bemerkungen Anlass zur Sorge, wie „dauerhafter Ausreisearrest“, „Rechtsbeistand bei Abschiebungen abschaffen“, einseitig an deutschen Interessen ausgerichtete internationale Migrationszusammenarbeit oder die Einstufung von Despotenstaaten wie Tunesien in sichere Herkunftsländer. Anderes bleibt sehr nebulös („grundlegende Veränderungen in der Entwicklungspolitik“) und ist Auslegungssache, wobei unklar bleibt, in welche Richtung es gehen kann. Auch ist vieles nicht neu. Wie und warum jetzt umgesetzt werden soll, was man bisher nicht geschafft hat, bleibt unklar.
Die neue Regierung will die liberale Demokratie wehrhafter machen gegenüber den Feinden der Demokratie, Antidemokraten, Islamisten, Antisemiten, das ist richtig und wichtig, etwa durch Ausweisungen von Gefährdern oder Ingewahrsamnahme nach Verbüßung von Straftaten, wenn eine anschließende Abschiebung geplant ist. Aber es wird nicht diskutiert, wie man die angesprochenen Straftaten verhindern könnte, etwa durch vorbeugende Arbeit der Sicherheitsorgane oder besseren Umgang mit psychisch Kranken. Auch sind wichtige Details, wie Aufhebung des Schutzstatus und anschließende Abschiebungen in Verfolgerstaaten, in dem Folter oder die Todesstrafe drohen, sowie „dauerhafter Arrest“ rechtstaatlich nicht möglich. Es wären also andere Maßnahmen zu prüfen, wie z.B. Fußfesseln, Sicherungsverwahrung oder forensische Psychiatrie.
Konkret setzt die Koalition auf Politiken wie „Migrationsabkommen“, die wenig bewirken, zum Beispiel Abkommen mit Staaten, wie Kenia oder Kirgistan, in denen es keine Tradition der Fachkräftemigration nach Deutschland gibt und aus denen keine irregulären Migrant:innen kommen, die man zurückschicken müsste. Man will Maßnahmen wie EU-interne Grenzkontrollen so lange „fortführen, bis zu einem funktionierenden Außengrenzschutz“, aber das ist schon jetzt der Fall: Nur 0,04 Prozent aller Einreisen in die EU sind irregulär, schätzungsweise 300,000 von 747 Millionen. Ein 100% Schutz ist schlechterdings unrealistisch. Zudem bewirken die internen Grenzkontrollen nachweislich wenig, aber überfordern Polizei und Bundesgrenzschutz und kosten viel Geld. Das ist reine Symbolpolitik.
Schließlich verspricht die Koalition Maßnahmen, die nicht funktionieren, wie etwa Dublin-Rückführungen innerhalb der EU, oder auf Rückführungsabkommen mit Drittstaaten. Beide Maßnahmen funktionieren deshalb nicht, weil die entsprechenden Staaten ihrerseits nationale Interessen haben und Bedingungen stellen, wie bessere Umverteilung oder Visaerleichterungen, die man nicht erfüllen möchte. Und schließlich hofft die Koalition auf die Umsetzung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS), obwohl vielfach angemerkt wurde, dass vieles der Reform entweder nicht durchdacht ist oder auf sehr wackeligen Konstrukten basiert, die den peripheren EU-Mitgliedstaaten die größte Last aufbürden, was deren Zustimmung unwahrscheinlich macht.
Die Beendigung der letzten, wenn auch sehr kleinen legalen Migrationskanäle für Geflüchtete – „Bundesaufnahmeprogramme“ und der ohnehin bereits kontingentierte „Familiennachzug subsidiär Schutzberechtigter“ – bringen kaum eine Entlastung der Asylsysteme, da sie nur sehr kleine Gruppen betreffen. Es wird Flüchtende allerdings noch mehr als bisher schon in die Arme von Schmugglern treiben und die illegale Migration eher befördern. Aus der Sicht der Fluchtforschung ist diese Maßnahme kontraproduktiv.
Der Ersatz von Bürgergeld durch Sozialleistungen für Ukrainer:innen wird zunächst nur neu eingereiste Personen betreffen, es hätte also noch schlimmer kommen können. Damit wird allerdings die bislang doch überdurchschnittlich schnelle und gute Integration von flüchtenden Ukrainer:innen zukünftig untergraben. Sollte es aber aufgrund eines russischen Durchbruchs zu einer weiteren Massenflucht kommen, wird man all dies noch einmal neu durchdenken müssen.
Bemerkenswert ist auch, was nicht im Koalitionsvertrag steht, beispielsweise wie es mit den über eine Millionen Ukrainer:innen weitergehen soll, Beobachtung von Flucht und Migrationsbewegungen, wie man die Arbeitsmarktintegration von zugewanderten Frauen verbessern will, oder wie man Deutschland im Vergleich zu anderen Staaten wettbewerbsfähig für Fachkräftemigration machen möchte. Gut ist hingegen, dass die Auslagerung von Asylverfahren nicht mehr explizit vorgesehen ist. Das hätte viel Zeit und Geld gekostet und am Ende ohnehin nicht funktioniert. Allerdings hält sich die Koalition hier ein Hintertürchen offen, wie die Verweise „Verbringung“ und „Streichung des Verbindungselementes“, eine alte FDP-Forderung, zeigen.