Zehn Jahre nach dem sogenannten „langen Sommer der Migration“ ist klar: Schule in Deutschland tut sich weiterhin schwer mit der migrationsgesellschaftlichen Realität. Ob nach der EU-Osterweiterung, der Fluchtbewegungen um das Jahr 2015 oder zuletzt durch die Ankunft Geflüchteter aus der Ukraine – das Bildungssystem reagiert meist kurzfristig, oft nach alten Mustern. Dieser Beitrag blickt auf zentrale Migrationsereignisse der rund letzten zehn Jahre, analysiert schulpolitische Reaktionen und fragt: Was muss sich ändern, damit Bildung für alle ermöglicht wird?
Die Beschulung von Kindern und Jugendlichen, die neu nach Deutschland migriert oder geflüchtet sind, wird seit jeher als Sonderfall behandelt. Auch wenn Deutschland sich nach jahrelangem Ringen zu Beginn der 2000er-Jahre offiziell als eine Einwanderungsgesellschaft bezeichnete, fehlt weiterhin eine bildungspolitische Strategie, die Schule konsequent an die Realität einer vielfältigen, von Migration geprägten Gesellschaft anpasst.
Im Zentrum der bildungspolitischen Debatten steht nach wie vor die Frage, wie neu migrierte oder geflüchtete Schüler:innen möglichst schnell an den Regelunterricht der monolingual deutschen Schule angepasst werden können. An der grundlegenden Annahme, dass eine Teilnahme am regulären Unterricht erst nach dem Erwerb deutschsprachiger Kompetenzen möglich sei, wird kaum gerüttelt. Diskutiert wird lediglich, wie – das heißt in welcher Organisationsform und mit welchen Ressourcen – diese Anpassungsmaßnahmen am effektivsten erfolgen könne.
Diese Diskussion flammt besonders in Zeiten erhöhter Zuwanderung auf – zuletzt in drei migrationspolitisch bedeutenden Phasen: nach der EU-Osterweiterung ab 2007/14, während der Fluchtbewegungen aus Syrien ab 2015 sowie infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine seit 2022. Im Folgenden werde diese drei Migrationsereignisse näher betrachtet, um daraus übergreifende Muster im deutschen Schulsystem zu erkennen. Abschließend werden Impulse formuliert, die zu einer Schule beitragen könnten, die Migration nicht als Ausnahme, sondern als Normalität versteht.
Die monolingual-deutsche Schule: ein historisch gewachsenes Konzept
Die Schule in Deutschland, wie wir sie heute kennen, ist Ergebnis einer langen Geschichte: Die Etablierung der sogenannten Volksschule und die Einführung der Schulpflicht war bis weit in das 19. Jahrhundert hinein von dem Gedanken einer Erziehung zu Staatsbürger:innen in einem neu erschaffenen Nationalstaat Deutschlands getragen. Dieser Staat bestand aus einer Vielzahl von Regionen mit diversen Sprachen, Religionen und kulturellen Selbstverständnissen. Was ihn einte, war nicht eine natürliche „Zusammengehörigkeit“; vielmehr spielten in erster Linie militärische und ökonomische Gründe eine entscheidende Rolle in der Frage, wer zum ‚deutschen Staatsbürger‘ gemacht wurde.
Die Schule hatte in diesem Kontext die Aufgabe, durch die Vermittlung des Hochdeutschen die nunmehr Schulpflichtigen auf einen nationalen Einheitsmythos und die Idee, einer deutschen Nation anzugehören, einzuschwören. Von Anfang an war das Bildungssystem also auf eine monolinguale, deutschsprachige Norm ausgerichtet.
Die Beschulung von ausländischen Schüler:innen wurde erstmals durch die Ausweitung der Schulpflicht sowie der formalen Gleichstellung ausländischer und deutscher Schüler:innen in den 1950er und 1960er-Jahren ermöglicht. Doch auch das bedeutete nicht automatisch Teilhabe: In einigen Bundesländern – etwa in Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg – wurden bis in die 2000er Jahre Asylsuchende oder sich papierlos im Land aufhaltende Kinder und Jugendliche weiterhin vom Schulbesuch ausgeschlossen. Mit der Schulpflicht für ausländische Schüler:innen wurde zugleich die Etablierung von Sonderbeschulungsmaßnahmen in Form von separaten Klassen vollzogen, die teils auf die gesamte Schulbesuchsdauer angelegt waren und zudem keinen Schulabschluss ermöglichten. Diese Beschulungsmodelle wurden erst unter dem Druck der Europäischen Gemeinschaft ab den späten 1970er-Jahre zurückgebaut.
Dennoch blieb die Grundidee vieler bildungspolitischer Maßnahmen über Jahrzehnte bestehen: Schüler:innen mit Migrationsgeschichte – ob Kinder sogenannter „Gastarbeiter:innen“ in den 1970ern oder Geflüchtete in den 1990ern – wurden häufig nicht als dauerhaft Teil der Gesellschaft gedacht, sondern als temporär Anwesende. Diese Vorstellung einer „Integration auf Zeit“ prägt(e) die schulische Realität – genauso wie das Festhalten an Grund- und Hauptschulen als primäre Orte der Beschulung neu migrierter Schüler:innen.
Ein kurzer Rückblick: Bildungs(un)gerechtigkeit nach der EU-Osterweiterung 2007/14
Die EU-Osterweiterung um die Länder Bulgarien und Rumänien im Jahr 2007 mit der Ermöglichung uneingeschränkter Arbeitnehmer:innenfreizügigkeit seit 2014 war in Deutschland von Beginn an mit einer insbesondere von rechts-konservativen Parteien geschürten Angst vor vermeintlicher „Armutsmigration“ in die Sozialsysteme Deutschlands verbunden. Zugespitzt wurde diese Debatte in der rassistischen Konstruktion „der Roma“, die eng mit tief in der deutsche Mehrheitsgesellschaft verankerten Formen des Gadje-Rassismus (Rassismus gegen Sinti*zze und Rom*nja) verknüpft waren.
Diese Debatten wirken bis heute auch in der Schule nach. Studien wie die RomnoKher-Studie von 2021, der Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus 2021 oder der aktuelle Jahresbericht der Melde- und Informationsstelle Antiziganismus zeigen: Rom*nja und Sinti*zze machen im deutschen Bildungssystem massive Rassismuserfahrungen. Für neu migrierte Rom*nja oder solche Schüler:innen, die von Lehrkräften als Rom*nja klassifiziert werden, bedeutet dies, dass sie im Kontext der Beschulungspraktiken für neu migrierte Schüler:innen in Vorbereitungsklassen oder -gruppen besonderen Diskriminierungsrisiken ausgesetzt sind. Die Bildungswissenschaftlerin Cudak zeichnet für zwei Städte im Ruhrgebiet nach, dass Bildung für Schüler:innen aus Bulgarien und Rumänien in den Jahren nach 2012 „nicht als selbstverständliche kommunale und schulische Aufgabe, sondern als ‚freiwilliger Mildtätigkeitsakt‘ von einzelnen ‚Engagierten’“ verhandelt wird. Auch kam es für diese Schüler:innen zu langen Wartezeiten auf einen Schulplatz, obwohl Vorbereitungsklassen entgegen der öffentlichen Darstellung einer ‚massenhaften‘ Einwanderung zum Untersuchungszeitpunkt nicht ausgelastet waren – ein weiteres Indiz für strukturelle Hürden und fehlende institutionelle Verantwortung.
Auch in meiner eigenen Studie zu neu migrierten Schüler:innen in NRW zeigt sich für die Zeit ab Anfang 2015, dass Kinder, die von Lehrkräften als Rom*nja wahrgenommen oder eingeordnet werden, in besonderem Maße von Diskriminierungen betroffen sind. Sie werden weniger als Teil der Gruppe neu migrierter Schüler:innen, sondern vielmehr als „die Roma“ konstruiert. In der Folge sind sie nicht nur einem erhöhten Risiko ausgesetzt, länger als vorgesehen in einer Vorbereitungsklasse zu verbleiben und beim Übergang in die Sekundarschule niedrigqualifizierenden Schulformen zugewiesen zu werden, sondern auch das Risiko einer unbegründeten sonderpädagogischen Förderdiagnostik scheint deutlich erhöht. In der Legitimation dieser besonderen Praktiken wird auf rassistische Wissenshaushalte rekurriert und ein vermeintliches „Passungsproblem“ zwischen der „Kultur der Rom*nja“ und der „Kultur der deutschen Schule“ konstruiert, welches auch durch den Erwerb von Deutschkenntnissen nicht überwunden werden könne. Ein erfolgreiches Einmünden in das Regelsystem wird damit von Beginn an infrage gestellt.
Der „lange Sommer der Migration“ 2015 – die immer wiederkehrende Überraschung
Seit 2015 suchten infolge des eskalierenden Bürgerkriegs in Syrien sowie weiterer Krisen und Konflikte weltweit wieder verstärkt Menschen Schutz in Europa und Deutschland. Laut BAMF lag 2015 das Wanderungssaldo (Verrechnung von Zu- und Fortzügen) für Menschen aus Syrien bei 316.732 Personen. Weniger in der öffentlichen Wahrnehmung stand dabei, dass diese Zahl zwar deutlich höher als aus den nächststärkeren Ländern Afghanistan (98.931), Rumänien (86.274), Irak (67.345) und Polen (63.279) war, Fluchtmigration aus weiteren Krisengebieten wie auch EU-Binnenwanderungen damit aber weiterhin einen relevanten Anteil der Zuwanderung ausmachte. In den Folgejahren stieg der Anteil ausländischer Schüler:innen an Schulen in Deutschland laut statistischen Bundesamt (S. 247) stark an – von rund 612.600 im Schuljahr 2014/15 auf rund 891.000 im Schuljahr 2018/19. Wie viele der Schüler:innen mit einer ausländischen Staatsangehörigkeit tatsächlich neu migriert waren, lässt sich nicht verlässlich sagen, da es bundesweit weder einheitliche noch vollständige Erhebungen dazu gibt.
Trotz jahrzehntelanger Erfahrungen, dass internationale Krisen immer wieder zu nicht planbaren Migrationsgeschehen führen und die Schule in Deutschland infolgedessen neu in das System hinzukommende schulpflichtige Kinder und Jugendliche mit teilweise keinen oder nur geringen Deutschkenntnissen und sehr heterogenen Bildungsbiografien aufnehmen muss, reagierten Bildungspolitik, -verwaltung sowie -praxis auch um das Jahr 2015 abermals überwiegend unvorbereitet.
Statt die Schule an die Migrationsrealitäten in Deutschland anzupassen, dominierte – wie bereits in den 1970er und 1990er-Jahren – das Prinzip der kurzfristigen Übergangslösung. So wurden vielerorts routiniert ad hoc Maßnahmen umgesetzt, die – wenn auch nach unterschiedlichen Modellen – ein zeitlich befristetes Unterrichten in (teil)separierten Klassen vorsehen, in denen die Vermittlung von Deutschkenntnissen im Fokus steht. Neben der Tatsache, dass in diesen Klassenkontexten keine festen Curricula und Stundentafeln eingehalten werden müssen, fehlt den zum Teil nicht als solchen ausgebildeten Lehrkräften vielfach zugleich das Professionswissen, wie sprachsensibler Unterricht gestaltet und Deutsch als Fremdsprache unterrichtet werden kann.
Durch die fehlenden strukturellen Reformen und vagen bildungspolitischen Regulierungen wird auf der Ebene des Unterrichts eine enorme Varianz erzeugt: Abhängig von den jeweiligen räumlichen und zeitlichen Kapazitäten der einzelnen Schulen sowie den fachlichen Kenntnissen und Ressourcen von Schulleitungen und Lehrkräften werden neu migrierte Schüler:innen entweder auf einen inhaltlichen Anschluss an den regulären Unterricht vorbereitet und erarbeiten sich systematisch die notwendigen Deutschkenntnisse – oder nicht.
Hinzu kommt: Bis heute liegen nur vereinzelte Studien vor, die evidenzbasiert untersuchen, welche Beschulungsmodelle sich für einen schnellen Übergang in die Regelklasse besonders eignen. Auch existieren weiterhin keine Standards zur angemessenen Erfassung des Kenntnisstandes neu migrierter Schüler:innen. Obwohl die Zuweisung auf unterschiedliche Sekundarschultypen häufig auf fragwürdigen Entscheidungsgrundlagen basieren, sind keine Verfahren zur systematischen Überprüfung und gegebenenfalls Korrektur dieser Entscheidungen erkennbar. Ein weiteres Problem besteht darin, dass die Zuteilung an eine Sekundarschulen insbesondere in Phasen starker Zuwanderungen vielfach entsprechend kurzfristig vorhandener Kapazitäten an oftmals niedrigqualifizierenden Schulformen erfolgen. Zugespitzt wird dieses Problem dadurch, dass das deutsche Sekundarschulsystem insgesamt eine geringe Durchlässigkeit für alle Schüler:innen aufweist (darin: Jording/Pfaff, S. 253 ff.), die sich darüber hinaus hauptsächlich in einer Durchlässigkeit von höher zu niedriger qualifizierenden Schulformen zeigt.
Flucht aus der Ukraine seit 2022 – Ausnahme oder Wendepunkt?
Mit dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 setzte eine der größten Fluchtbewegungen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg ein. Neben Ländern wie Polen oder Tschechien wurde auch Deutschland zu einem zentralen Ziel für Schutzsuchende. Stand April 2025 zählte die Ausländerbehörde über 1,2 Millionen ukrainische Geflüchtete in Deutschland. Darunter befanden sich laut KMK im 1. Quartal 2025 bundesweit 223.830 Kinder und Jugendliche an allgemein- und berufsbildenden Schulen. In NRW, dem bevölkerungsreichsten Bundesland, stellen ukrainische Schüler:innen zu Beginn des Jahres 2025 ca. 34% aller Lernenden in Beschulungsangeboten für neu Migrierte.
Im Vergleich zu früheren Migrationsbewegungen weist die Aufnahme ukrainischer Geflüchteter mehrere Besonderheiten auf. So erhielten ukrainische Geflüchtete nach einem Beschluss der europäischen Innenminister 2022 direkt einen Schutzstatus für drei Jahre, durften arbeiten gehen und konnten sich ihren Wohnort frei wählen.
Auch bildungspolitisch wurde mit Sonderregelungen reagiert: So legten die Kultusministerkonferenz in zwei Beschlüssen fest, dass ukrainische Kinder grundsätzlich in das deutsche System zu integrieren sind, ihnen aber gleichzeitig die Möglichkeit offenstehen solle, über Online-Angebote weiter am ukrainischen Unterricht teilzunehmen – auch um ukrainische Schulabschlüsse zu erwerben. In Bremen (darin S. 24f.) wurden im Frühjahr 2022 sogenannte „Willkommensschulen“ eingerichtet – ein neues separates Schulformat, das mit Kapazitätsgrenzen in regulären Vorbereitungsklassen legitimiert wurde. In NRW wurde der Unterrichtsumfang in Vorbereitungsklassen teils stark reduziert, Lehrkräfte im Schichtbetrieb eingesetzt und auch Personen ohne Lehramtsausbildung zur Unterstützung herangezogen. In Sachsen-Anhalt wiederum werden ukrainische Schüler:innen nicht nur zum Teil in externen Weiterbildungszentren wie sogenannten Euro-Schulen unterrichtet, sondern es wurden gleichfalls ukrainische Lehrkräfte eingestellt, die die die Schüler:innen in spezifischen Auffangklassen auf Ukrainisch unterrichten.
Schaut man sich die Verteilung ukrainischer Schüler:innen auf unterschiedliche Sekundarschulformen an, wird erkennbar: Während viele geflüchtete Kinder und Jugendliche aus weiteren Herkunftsländern oftmals auf niedrigqualifizierende Bildungsgänge verwiesen sind, besuchen ukrainische Schüler:innen deutlich häufiger direkt ein Gymnasium. In einer bundesweiten Befragung ukrainischer Familien im Jahr 2022 gaben ein Viertel der Familien an, dass mindestens eines ihrer Kinder an einem Gymnasium angemeldet war – ein im Vergleich zu anderen Geflüchteten hoher Wert. Für das Schuljahr 2023/24 zeigen Zahlen aus NRW, dass sich 39% der ukrainischen Schüler:innen, die an einer allgemeinbildende Schule unterrichtet werden, auf dem Gymnasium befinden (ggü. 37,3% aller Schüler:innen unabhängig von einem Zuwanderungshintergrund), gleichzeitig besuchen überproportional viele ukrainische Schüler:innen die Hauptschule (8% ggü. 4,6% aller Schüler:innen unabhängig von einem Zuwanderungshintergrund). Die Frage, warum sich die Bildungsbeteiligung von ukrainischen Geflüchteten von andere Zuwanderungsgruppen unterscheidet, ist noch ungeklärt. Als mögliche Gründe werden die rechtlichen Sonderregelungen u.a. zum Aufenthaltsstatus sowie der hohe Bildungsstatus der Schüler:innen diskutiert. Möglicherweise spielen jedoch auch diskriminierungsrelevante Wissenshaushalte von Entscheidungspersonen im Zuweisungsprozess eine Rolle, die zu unterschiedlichen Einschätzung hinsichtlich der Bildungshintergründe neu zugewanderter Schüler:innen aus verschiedenen Ländern führen. Ob sich aus diesen Einschulungsmustern später auch tatsächlich höhere Schulabschlüsse ergeben, lässt sich derzeit noch nicht absehen.
Diese Entwicklungen zeigen: Im Fall der ukrainischen Geflüchteten wurde mit neuen Maßnahmen reagiert – etwa mit der Ermöglichung des parallelen Onlineunterrichts und der Einbindung ukrainischer Lehrkräfte. Dennoch bleiben auch hier eine ganze Reihe grundlegender Probleme bestehen: ungleiche Ressourcenverteilungen im Vergleich zu Regelschüler:innen, Stundenkürzungen und das grundsätzliche Festhalten an der deutschen Sprachnorm. Im Hinblick auf die dargestellten positiven Signale ist offen, ob dies den Beginn von tiefergreifenden Änderungen markiert – oder es sich lediglich um Ausnahmen für einen spezifischen Moment handelt.
Dekade(n) der Übergangslösungen
Ein Blick auf die Entwicklungen der letzten Dekade offenbart grundlegende Probleme im Umgang mit neu migrierten Schüler:innen: Statt langfristiger Strategien dominieren kurzfristige Lösungen – oft als Reaktion auf aktuelle Herausforderungen, nicht als Teil eines nachhaltigen Plans. Bildungspolitische Vorgaben zielen dabei in erster Linie darauf ab, die Kinder und Jugendlichen möglichst schnell an das bestehende System anzupassen – ohne dieses selbst zu hinterfragen.
Besonders auffällig ist: Neu migrierte Schüler:innen werden überproportional häufig niedrigqualifizierenden Schulformen wie Hauptschulen zugewiesen und sind zudem einem erhöhten Risiko ausgesetzt, als „förderbedürftig“ eingestuft zu werden. Dahinter stehen nicht nur strukturelle Hürden, sondern auch tief verankerte Vorannahmen: In vielen Schulen prägen rassistische Deutungsmuster die Praxis. Wer neu nach Deutschland kommt, wird nicht neutral betrachtet, sondern entlang von Herkunft, Sprache oder Status unterschiedlich eingeordnet – mit oft gravierenden Folgen für die Bildungswege.
Impulse zur Veränderung
Die bisherigen Erkenntnisse zeigen klar: Es braucht mehr als kleine Korrekturen, um Bildung für neu migrierte Kinder und Jugendliche wirklich gerecht zu gestalten. Erste Schritte wären ein schnellerer Zugang zur Schule und eine bundeseinheitliche Regelung der Schulpflicht – denn in manchen Bundesländern beginnt diese noch immer erst nach einer Aufenthaltszeit von 3 bis 6 Monaten in Deutschland (darin S. 36f.), was zu unnötig langen Wartezeiten führt. Zudem könnte der Ausbau integrierter Schulformen wie der Gesamtschule – nicht nur für neu migrierte Schüler:innen – die Chancen erhöhen, zwischen Bildungsgängen zu wechseln (darin S. 372). Damit würde der Übergang in die nach unterschiedlichen Bildungsgängen differenzierte Sekundarstufe, der bereits seit vielen Jahrzehnten als Ort der Reproduktion von Bildungsungerechtigkeit kritisiert wird, abgemildert.
Die Frage danach, ob eine direkte Beschulung in einer Regelklasse oder zunächst ein Besuch einer Vorbereitungsklasse sinnvoller für die neu migrierten Schüler:innen ist, wird noch diskutiert. Studien deuten darauf hin, dass auch Vorbereitungsklassen eine wirksame Beschulungsmaßnahme sein können – vorausgesetzt, sie werden mit ausreichend Personal, Zeit und Ressourcen ausgestattet.
Gleichzeitig muss bildungspolitisch einer zunehmend restriktiven Migrationspolitik entgegengewirkt werden: Das immer striktere Grenzregime in Europa wie auch in der Bundesrepublik Deutschland, das verstärkt auf sogenannte „Abschreckung“ und einen schwierigeren Zugang zu Asylverfahren setzt, führt zu längeren und gefährlicheren Fluchtwegen, Traumatisierungen und prekären Aufenthalten in Lagern ohne jeglichen Zugang zu Schule – all das hat direkte Auswirkungen auf Bildungsbiografien.
Langfristig braucht es darüber hinaus eine Stärkung der Lehrer:innenbildung: Wer in einer Migrationsgesellschaft unterrichtet, muss nicht nur auf sprachlich-kulturelle Vielfalt vorbereitet sein, sondern sich auch mit der institutionellen Erzeugung strukturelle Ungleichheiten wie auch eigene Verstrickung in der Reproduktion von (rassistischer) Diskriminierung befassen. Und schließlich: Die Schulpflicht darf nicht mit dem 18. Lebensjahr enden, wenn junge Menschen bis dahin nicht einmal die Chance hatten, einen ersten Schulabschluss zu erreichen. Bildung muss als Recht verstanden werden – nicht als begrenztes Zeitfenster.
Zitiervorschlag:
Jording, Judith. Rechtsbruch an der Grenze: Schule in Bewegung – oder Schule im Stillstand? Dekade(n) der Übergangslösungen. FluchtforschungsBlog, 10. September 2025, https://fluchtforschung.net/schule-in-bewegung-oder-schule-im-stillstand-dekaden-der-uebergangsloesungen/, DOI: 10.59350/ewx71-y9g72.