Von T. Alexander Aleinikoff und Sarah Cliffe
Die Weltereignisse des letzten Jahrzehnts haben das internationale Flüchtlingssystem stark unter Druck gesetzt. Zu den Herausforderungen zählen ein dramatischer Anstieg der Zahl an Zwangsmigrant_innen; ein erhebliches Defizit in der benötigten Finanzierung; unzureichende internationale Lastenteilung (mit einem De-facto System der „Verantwortung durch Nähe“, um es in den Worten des UN-Sonderbeauftragten für Migration Peter Sutherland zu sagen); die Tatsache, dass den meisten Flüchtlingen die in der Flüchtlingskonvention von 1951 garantierten Rechte verweigert werden; staatliche Abschreckungs- und Abwehrpolitiken, die das Menschenrecht Asyl zu suchen untergraben; sowie andauernde Langzeitsituationen für Flüchtlinge, verursacht durch fehlende Fortschritte in der Lösungsfindung.
Einige wichtige konzeptionelle Schritte wurden bereits unternommen. Zu den bedeutendsten gehört die Gründung der Solutions Alliance, einer Vereinbarung der großen UN-Behörden mit der Weltbank für ein neues Handlungsmodell, das auf einer umfassenden Analyse und Umsetzung basiert und auf Selbstständigkeit von Flüchtlingen, Unterstützung der aufnehmenden Gemeinden und einen gezielten Fokus auf Lösungen gerichtet ist. Zudem haben sich die Weltbank und anderen multinationalen Entwicklungsbanken verpflichtet, Zwangsmigration auf die Agenda der Entwicklungspolitik zu setzen. Diese Bemühungen haben jedoch bisher keine Zugkraft vor Ort entfaltet, wo der Großteil der Aktivitäten und Gelder in traditionelle Modelle der „Betreuung und Versorgung“ von Flüchtlingspopulationen gesteckt werden.
Der Handlungsbedarf ist offensichtlich – sowohl für die 60 Millionen Menschen, die derzeit auf der Flucht vor Gewalt und Konflikten sind, als auch weil die „neue Normalität“ von massenhaften Vertreibungen die Zukunft definieren wird, da Konflikte fortbestehen und der Klimawandel in Kürze ein wichtiger Faktor für Zwangsmigration sein wird.
Das Gipfeltreffen zu Migration und Flucht (September 2016) der UN-Generalversammlung bietet eine Möglichkeit, systemische Verbesserungen zu identifizieren, die den Herausforderungen von heute und morgen gerecht werden. Der Bericht des Generalsekretärs fordert einen „Globalen Pakt zur Teilung der Verantwortung für Flüchtlinge“ und beschreibt einige der Elemente, die darin enthalten sein könnten. Allerdings nennt der Bericht nicht die nötigen institutionellen und strukturellen Schritte, um einen solchen Pakt zu entwickeln und umzusetzen.
Was wir brauchen, ist ein Mechanismus – eine Plattform –, die relevante Akteure zusammenbringt, um (1) Anreize für eine umfassende Planung und Gestaltung in Richtung gemeinsamer, für notwendig erkannter Ergebnisse zu schaffen, (2) die Einbindung des Privatsektors in der Bewältigung von Flüchtlingssituationen zu unterstützen, und (3) systemweite Lösungspläne zu fördern. Um wirksam zu sein, wird der Mechanismus eine neue Finanzierungsquelle erschließen müssen, von Entwicklungsgeldern, Stiftungen zu anderen innovativen Mitteln wie Anleihen.
Diese Aufgaben könnten an einer Globalen Aktionsplattform und -fonds für Zwangsmigrant_innen (Global Action Platform and Fund for Forced Migrants, GAPF oder Plattform) angesiedelt sein. Die Plattform wäre eine Multi-Stakeholder-Organisation, die aus UN-Organisationen, Geldgeber- und Aufnahmestaaten, multinationalen Entwicklungsbanken sowie Vertreter_innen von Flüchtlingscommunities, dem Privatsektor und der Zivilgesellschaft besteht. Ein geschäftsführendes Sekretariat könnte unter Beteiligung von UNHCR, OCHA und einer Entwicklungsorganisation eingerichtet werden.
Die GAPF würde die folgenden Aufgaben übernehmen:
- Anreize für eine umfassende Planung und Gestaltung in Richtung gemeinsamer Ziele schaffen: Die GAPF könnte gemeinsame Ziele für Outcomes entwickeln (wie beispielsweise die Gesamtzahl der Zwangsmigrant_innen bei umfassender Beachtung der Flüchtlingskonventionen sowie aller geltenden Menschenrechte zu reduzieren) und relevante Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (SDGs) bezüglich Gesundheit, Bildung, Hunger und Beschäftigung für vertriebene Personen einbeziehen. Sie könnte Kriterien für wirksame Maßnahmen in Fluchtsituationen festlegen (wahrscheinlich entlang der Linien des neuen vereinbarten Modells) sowie Pläne finanzieren, die Fortschritte in Richtung der übergreifenden Ziele machen und den festgesetzten Kriterien entsprechen. Die erforderliche umfassende Planung würde humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit verbinden, um gemeinsame Ergebnisse zu erreichen.
- Unterstützung von Initiativen des Privatsektors im Bereich Flucht und Vertreibung: Der Privatsektor kann dazu ermutigt werden, in Fluchtsituationen aktiv zu werden, sowohl im Rahmen von Corporate Social Responsibility als auch zur Verwirklichung der üblichen Unternehmensziele. Um Anreize für Privatinvestitionen zu schaffen, braucht es innovative Finanzierungs- und Versicherungsmechanismen, die die mit der Arbeit in instabilen Zonen verbundenen Risiken streuen können. Die Plattform könnte auch eine Clearingstelle einrichten, die die Bedarfe vor Ort mit privatwirtschaftlichen Akteuren zusammenbringt, die zwar aktiv werden wollen aber unsicher sind, wie und wo sie sich einbringen können.
- Umfassende Planung für Lösungen: Die aktuelle syrische Flüchtlingskrise verdeutlicht die Notwendigkeit einer umfassenden globalen Antwort im Hinblick auf Verantwortungsteilung. Dennoch gibt es keine internationalen Strukturen, um Stakeholder in Massenfluchtsituationen zusammenzubringen. Die GAPF könnte eine solche Architektur schaffen (z.B. nach dem Muster der Solutions Alliance), die aufgefordert wäre, umfassende Aktionspläne für Lösungen zu entwickeln.
Es gibt eine Reihe von Finanzierungsvereinbarungen und Möglichkeiten, die die GAPF übernehmen könnte. Bestehende Multi-Stakeholder-Plattformen bauen auf mehrjährige zuschussbasierte Instrumente, kommerzielle und zinsvergünstigte Kredite, Anleihen mit Garantien, Projektfinanzierungen für Privatinvestitionen, Versicherungen gegen politische Risiken und Naturkatastrophen, Corporate Social Responsibility sowie Zuschüsse für Heimatüberweisungen.
Bei der Entwicklung der Plattform wäre es wichtig, Lehren aus anderen Multi-Stakeholder-Partnerschaften zu berücksichtigen, einschließlich solcher, die im Rahmen der Millenniumsentwicklungsziele (MDGs) entwickelt wurden. Dazu gehört die Festlegung klarer Ziele, die Berücksichtigung regionaler und globaler Probleme (jenseits der Unterstützung nationaler Pläne), ein Start mit einer begrenzten Zahl an Mitgliedern, die langsam erweitert wird, sowie eine klare „Theorie der Veränderung“.
GAIV, die Impfstoff-Allianz, ist ein gutes Beispiel für eine Plattform, die sich sowohl auf Finanzierung als auch auf Projektarbeit konzentriert. Sie vereint traditionelle direkte Beiträge und innovative Finanzierungsmechanismen, darunter die International Finance Facility for Immiunization (IFFIm), bei der die Weltbank für das Finanzmanagement sorgt; das Advance Market Commitment (AMC), bei dem die Weltbank und UNICEF die GAVI unterstützen; und der GAVI Matching Fund. Das IFFIm vergibt Anleihen auf Basis rechtlich bindender mehrjähriger Zusagen der Geldgeberpartner von GAVI, um von GAVI finanzierte Impfkampagnen voranzutreiben. Im Rahmen des AMC verpflichten sich Geber zu einer Preisgarantie für die zu entwickelnden Impfstoffe.
Wichtige Aspekte müssten vor der Gründung der GAPF besprochen werden. Erstens der Gesamtumfang der Plattform: Soll sie für alle Situation von Zwangsmigration zuständig sein oder nur für einen Teil der Flüchtlinge, Binnenvertriebenen und anderen Zwangsmigrant_innen? Könnte sie auf alle von humanitären Krisen Betroffenen ausgeweitet werden? Zweitens müssten geeigneten Ziele ausgewählt werden. In Betracht kämen etwa die Messung der Erfolge anhand der SDG und deren Indikatoren, das Ziel der Verringerung von Vertreibung oder Zwangsmigration insgesamt, oder eine Kombination anderer Ziele. Drittens müssten strukturelle Fragen geklärt werden, wie beispielsweise Kriterien für die Auswahl der Gründungsmitglieder und die Einrichtung eines Sekretariats.
Vorgeschlagen wird die Gründung einer Gruppe von Freunden einer Globalen Aktionsplattform und -fonds, unter Beteiligung von Mitgliedsstaaten (aus der Solutions Alliance sowie anderer betroffener Länder), relevanten UN-Organisationen, der Weltbank und anderen multilateralen Akteuren, um als Fürsprecher des Konzepts aufzutreten. Im Ergebnisdokument des Gipfeltreffens könnte auf die GAPF verwiesen werden, wobei die Generalversammlung die Gründung der Freundesgruppe zur Kenntnis nehmen und Interesse an ihrer Arbeit bekunden könnte.
Englische Übersetzung/English Translation
Vielen Dank an Dorothee Fees, Zentrum für Konfliktforschung der Philipps-Universität Marburg für die Übersetzung!