Erstmals seit Verabschiedung der Genfer Flüchtlingskonvention 1951 setzt sich ein hochrangiger Gipfel der Vereinten Nationen am 19. September 2016 mit der Frage des Umgangs mit großen Flucht- und Migrationsbewegungen auseinander. Über 150 Staaten werden erwartet. Am Ende des Tages soll durch die Vollversammlung der Vereinten Nationen ein Erklärungstext angenommen werden, die sogenannte New Yorker Erklärung. Sie soll dazu beitragen, den Schutz von Flüchtlingen, Migrantinnen und Migranten weltweit zu stärken. Vor allem bedeutet dieser Schritt das Anerkennen einer gemeinsamen Verantwortung aller Staaten für Schutzsuchende.
Vorherige Entwicklungen
Anfang Mai hatte Generalsekretär der Vereinten Nationen (VN) Ban Ki Moon einen umfassenden Bericht zur Lage der Migranten und Flüchtlinge weltweit veröffentlicht, „In Safety and dignity“. Darin weist er auf die zahlreichen humanitären Krisen, Konflikte und Ungerechtigkeiten hin, die große Flucht- und Migrationsbewegungen zur Folge haben. Er verdeutlichte die komplexen humanitären und menschenrechtlichen Notlagen, z. B. das anhaltende Sterben Schutzsuchender im Mittelmeer, die besondere Verwundbarkeit von Kindern, Frauen und Menschen mit Behinderung auf der Flucht und in der Migration. Ban-Ki Moon hebt auch hervor, dass viele Staaten durch die große Zahl der ankommenden Flüchtlinge besonders herausgefordert sind. Von den mehr als 20 Millionen Flüchtlingen weltweit beherbergen beispielsweise nur sechs Entwicklungsländer mehr als die Hälfte dieser Menschen.
Angesichts der vielen Menschen, die fliehen müssen, auf der Flucht zu schaden oder gar ums Leben kommen, zieht der Generalsekretär letztlich die Schlussfolgerung, dass es für die internationale Staatengemeinschaft notwendig und dringlich ist, den effektiven Schutz und die rechtlichen Rahmenbedingungen der Flüchtenden, Migrantinnen und Migranten zu verbessern, aber auch um Rassismus und Xenophobie entgegenzuwirken. Zudem müssten die Ursachen für Flucht und unfreiwillige Migration angegangen werden.
New Yorker Erklärung
All diese Punkte greift die New Yorker Erklärung auf. Sie kann daher als Ausdruck des Bemühens der Staatengemeinschaft verstanden werden, umfassend, grundsätzlich und gemeinsam auf große und lang andauernde Fluchtbewegungen zu reagieren. Denn alle Staaten erklären in der New Yorker Erklärung ihre Solidarität gegenüber Flüchtenden und bekennen sich zur Einhaltung völkerrechtlicher Standards (auch beim Grenzschutz) und zu ihrer Verpflichtung, die Menschenrechte von Flüchtlingen, Migrantinnen und Migranten zu schützen und zu garantieren. So wird die New Yorker Erklärung künftig auch ein wichtiger Referenzpunkt für internationale Flüchtlings- und Migrationspolitik sein.
Die New Yorker Erklärung ist eine Art Rahmenabkommen, auf dessen Grundlage dann detailliertere Abkommen ausgehandelt werden sollen. Durch Annahme der Erklärung und ihrer beiden Anhänge werden zahlreiche Verpflichtungen („commitments“) zu Flucht (Anhang 1 Comprehensive Refugee Response (CRR) Framework) und Migration (Anhang 2 Towards a Global Compact for Safe Orderly and Regular Migration) gelistet. Damit werden verschiedene Prozesse angestoßen, die bis zum Jahr 2018 in zwei globale Vereinbarungen münden sollen.
Besonders stark wird in der Erklärung betont, dass Staaten, die von großen Flucht- und Migrationsbewegungen betroffen sind, deutlicher durch die internationale Gemeinschaft unterstützt werden sollen – insbesondere um den Zugang zu Gesundheits- und Bildungssystemen zu gewährleisten, beispielsweise durch Finanzierungszusagen, aber auch durch Resettlement– und andere humanitäre Aufnahmekontingente. Eingebettet wird die Erklärung in Bezüge zum World Humanitarian Summit 2016, der Agenda der Ziele nachhaltiger Entwicklung, den großen Syriengeberkonferenzen und regionalen Prozessen, wie dem EU-AU Gipfel von La Valletta 2015.
Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten sollen ermächtigt werden, selbständig und nach ihren Bedürfnissen zu leben – dabei sollen von Anfang an auch die Aufnahmestaaten und -gesellschaften mitberücksichtigt werden. Deswegen, so hält es die New Yorker Erklärung explizit fest, soll sich nachhaltiges entwicklungspolitisches Engagement auch prioritär an Flüchtlinge und Migranten richten. Die dafür notwendigen Gelder sollen ausreichend und langfristig verfügbar sein.
Das bedeutet auch ein Umdenken in der Art und Weise, wie Schutzmaßnahmen bereitgestellt werden: humanitäre Nothilfe soll besser mit langfristiger Entwicklungszusammenarbeit vernetzt werden und unterschiedliche Akteure aus der UN-Familie, Akteure der Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft stärker in die Bewältigung der Problemlagen eingebunden werden.
Wofür steht der Gipfel?
Angesichts der Dringlichkeit der Probleme, ist es zunächst bedauerlich, dass die Aushandlung der „Global Compacts“ erst in zwei Jahren abgeschlossen werden sein soll. Denn je früher detailliertere Abkommen existieren, die die Verantwortungsteilung für Flüchtlinge (finanziell und Aufnahme) konkret regeln, desto besser ist es.
Realistisch betrachtet ist angesichts der bestehenden Konflikte sowie der Spannungen unter manchen Staaten jedoch schon einiges damit erreicht, dass die New Yorker Erklärung angenommen wird, auch wenn sie im Zuge des Aushandlungsprozesses einiges an ihrer anfänglichen Schärfe eingebüßt hat (so waren anfänglich z.B. konkrete Resettlementverpflichtungen vorgeschlagen worden).
Der Gipfel ist Auftakt für dringend notwendige Diskurse und Prozesse, um den Umgang mit wachsenden Flucht- und Migrationsszenarien politisch besser angehen zu können. Im Zuge der gemeinsamen Aushandlung dieser Erklärung (der zeitliche Rahmen ist verglichen mit anderen VN-Prozessen vergleichsweise schnell erfolgt) traten Konfliktlinien bereits offen zu tage. Der Gipfel rührt z.B. nicht am Thema „Binnenvertriebene“. Obwohl das Gros der Menschen auf der Flucht im eigenen Land lebt, wird sich die internationale Staatengemeinschaft nicht mit diesen Missständen befassen. Einige Staaten verweigern sich Auseinandersetzungen über Fluchtgründe – vor allem der Tatsachse, dass Regierungen Fluchtverursacher sein können – andere sehen keinen Mehrwert darin, diese Herausforderungen zusätzlich mit dem Thema Migration zu „belasten“.
Und tatsächlich war schon im Vorfeld des Gipfels deutlich, dass die mediale Aufmerksamkeit hinsichtlich der Architektur eines internationalen Migrationsregimes deutlich geringer ist, als für die Frage, ob eine verbindliche Verantwortungsteilung für Flüchtlinge übernommen werden kann. Daher ist es nun zu begrüßen, dass sich die Staatengemeinschaft verpflichtet, zwei Global Compacts zu erarbeiten, die schon im Prozess von allen Beteiligten größere Kooperationsbereitschaft abverlangen, als dies bislang der Fall war.
Die Ausarbeitung der beiden Global Compacts bis 2018 wird getrennt voneinander erfolgen. Es ist zu erwarten, dass die Internationale Organisation für Migration (IOM), die gerade näher in den Schoß der VN gerückt wurde, eine federführende Rolle zum Global Compact Migration wahrnehmen wird. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) wird hingegen für den Comprehensive Refugee Response Framework bzw. den daraus resultierenden Global Compact on Refugees zuständig sein. Wichtig ist auch, dass private Akteure und die Zivilgesellschaft explizit stärker eingebunden werden sollen. Gerade, wenn es darum geht, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus entgegenzuwirken, werden sie eine wichtige Rolle spielen.
Ausblick
Internationale Migration muss im Einklang mit den Menschenrechten gesteuert werden. Das kann die Staatengemeinschaft gewährleisten, indem Völkerrecht respektiert wird und zusätzliche legale Migrationsmöglichkeiten geschaffen werden. Es ist daher wichtig, dass sich die Staaten, aus denen Menschen kommen, mit jenen ins Vernehmen setzen, in denen sie Aufnahme suchen.
Im Juni 2017 wird Deutschland Gastgeber des Global Forums on Migration and Development sein, eine günstige Gelegenheit für die Bundesregierung, hier auch ihre konstruktive Rolle im Prozess um die Global Compacts weiter positiv auszuführen und zu stärken. In 2018 oder 2019 soll es außerdem in New York zu einem weiteren High Level Dialogue on Migration and Development kommen. Möglicherweise bildet dieses Ereignis dann den Anlass für die formale Verabschiedung des Global Compact on Migration im Sinne der Ziele nachhaltiger Entwicklung.
Am 20. September 2016 findet ein von US-Präsident Obama initiierter Gipfel der Staats- und Regierungschefs zur globalen Flüchtlingskrise statt. Er bietet Regierungen die Gelegenheit, konkrete Finanzierungszusagen für humanitäre Hilfspläne zu machen, mehr Flüchtlinge durch Resettlement oder anderen Programmen aufzunehmen und die Eigenständigkeit und Integration von Flüchtlingen durch Arbeits- und Bildungsangebote zu stärken. In besonders exponierter Rolle werden hier die Bundesrepublik, Jordanien, Äthiopien, Kanada und Schweden auftreten und „mit gutem Beispiel“ vorangehen.
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