Asylpolitische Restriktionen und ihre Folgen am Beispiel Schweden

Vor fast genau zwei Jahren berichtete ich an dieser Stelle über die damals als vergleichsweise “großzügig” geltende Asylpolitik Schwedens. Das skandinavische Land war eines der Hauptzielländer für Schutzsuchende in Europa; gemessen an seiner Bevölkerungsgröße nahm es mehr Asylbewerber auf als jeder andere EU-Staat. Inzwischen hat sich die  die Situation jedoch grundlegend geändert. 2016 traten Maßnahmen zur Zuzugsbegrenzung in Kraft, die unmittelbare Auswirkungen hatten, etwa im Hinblick auf die Zusammensetzung der Gruppe der Asylsuchenden und die Förderung der freiwilligen Rückkehr.

  

Der schwedische Umschwung in der Flüchtlingspolitik

Im Oktober und November 2015 kündigte die schwedische Regierung vor dem Hintergrund massiver Engpässe bei der Registrierung, Unterbringung und Versorgung der damals immer zahlreicher ins Land kommenden Asylsuchenden in zwei Schritten einen Katalog von Maßnahmen an, mit dem der Zuzug von Asylbewerbern drastisch gesenkt werden sollte. Diese Maßnahmen bezogen sich auf verschiedene Dimensionen der Asylpolitik: Erstens den Zugang zum schwedischen Territorium zum Zweck der Asylantragstellung, zweitens die Schutzgewährung und ihre Rechtsfolgen und drittens die Förderung der freiwilligen Rückkehr sowie den Vollzug von Abschiebungen abgelehnter Schutzsuchender.

Sämtliche Maßnahmen wurden im Lauf des ersten Halbjahres 2016 gesetzlich umgesetzt. Weitere Änderungen gab es im Bereich der Integration, insbesondere neue Maßnahmen für eine schnellere Arbeitsmarktintegration und eine gleichmäßigere Verteilung anerkannter Schutzberechtigter auf schwedische Städte und Gemeinden. Letztere sind jedoch nicht Gegenstand dieses Artikels, vielmehr konzentriert sich der Beitrag auf die Folgen der eingeführten Restriktionen.

 

(1) Erschwerter Zugang zum Territorium

Bereits Ende 2015 führte Schweden zeitlich befristete Grenzkontrollen auf dem Hauptzugangsweg ein, der Öresundbrücke, die Kopenhagen in Dänemark mit Malmö in Schweden verbindet. Diese Kontrollen einer Schengen-Binnengrenze wurden seither mehrfach verlängert. Da die Grenzkontrollen an sich noch nicht bewirken, dass weniger Asylbewerber nach Schweden kommen (sie können direkt an der Grenze einen Asylantrag stellen), sondern vor allem einer besseren Überwachung der Einreisen dienen, werden seit Anfang Januar 2016 auch extraterritoriale Identitätskontrollen durchgeführt. Per Verordnung wies die Regierung Transportunternehmen im grenzüberschreitenden Verkehr zwischen Dänemark und Schweden, also Bus-, Bahn- und Fährbetreiber, an, nur noch Personen mit gültigen Identitätsnachweisen über die Grenze zu befördern. Auch diese Verordnung wurde bereits mehrfach verlängert und gilt noch heute.

 

(2) Einschränkungen bei Schutzgewährung und Familiennachzug

Im Juli 2016 trat ein Gesetz in Kraft, das die Schutzgewährung in Schweden für einen Zeitraum von drei Jahren auf das durch internationales und europäisches Recht zwingend vorgeschriebene Maß begrenzt. Dies bedeutet, dass ausschließlich nach schwedischem Recht vorgesehene humanitäre Schutznormen bis Juli 2019 außer Kraft gesetzt sind und im Wesentlichen nur noch Flüchtlingsschutz und subsidiärer Schutz entsprechend der EU-Asylqualifikationsrichtlinie gewährt wird. Während früher alle Schutzberechtigten, unabhängig vom zuerkannten Status, unbefristete Aufenthaltserlaubnisse bekamen, erhalten Flüchtlinge nun eine befristete Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre und subsidiär Schutzberechtigte für 13 Monate. Subsidiär Schutzberechtigte haben zudem – außer in besonderen Härtefällen – kein Recht auf Familiennachzug mehr.

 

(3) Negativanreize für freiwillige Rückkehr

Seit Juni 2016 verlieren rechtskräftig abgelehnte Asylsuchende, die keine minderjährigen Kinder haben und bei denen die Frist für freiwillige Ausreise abgelaufen ist, ihren Anspruch auf Geldleistungen nach dem Gesetz über die Aufnahme von Asylbewerbern und auf Unterbringung durch das schwedische Migrationsamt. Damit sollten stärkere Anreize für freiwillige Rückkehr geschaffen werden.

 

Auswirkungen

Drastischer Rückgang der Asylbewerberzahlen

2016 ging die Zahl der Asylantragsteller in Schweden drastisch zurück. Während 2015 noch fast 163.000 Erstanträge registriert wurden, waren es 2016 weniger als 29.000, der niedrigste Wert seit 2009 (siehe Grafik). Da die vielfältige Verschärfung der schwedischen Flüchtlingspolitik zeitlich zusammenfiel mit der Schließung der Grenzen entlang der „Balkanroute“, der Vereinbarung zwischen der EU und der Türkei zur Eindämmung der irregulären Fluchtmigration sowie Kontrollen Dänemarks an den Grenzen zu Deutschland, kann der starke Rückgang nicht ausschließlich auf die genannten schwedischen Maßnahmen zurückgeführt werden. Vielmehr ist anzunehmen, dass sowohl europäische als auch nationale Faktoren den Zugang gebremst haben. Wertet man die Asylzahlen des Jahres 2016 jedoch genauer aus, spricht vieles dafür, dass die verschiedenen schwedischen Maßnahmen je unterschiedliche Effekte hatten und zum Rückgang beigetragen haben.

 

Grafik: Asylantragsteller und unbegleitete minderjährige Asylantragsteller in Schweden, 2010-2016

ParuselGrafik

Quelle: Schwedische Migrationsbehörde

 

Weniger unbegleitete Minderjährige

Im Jahresvergleich 2015-2016 zeigt sich, dass die Zahl der unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden 2016 prozentual weit stärker zurückging (-94%) als die Zahl der Asylbewerber insgesamt (-82%). Da dies in anderen Ländern der EU nicht in diesem Ausmaß der Fall war, scheint die schwedische Politik eine wichtige Ursache hierfür zu sein. Die Asylstatistik zeigt, dass 2015 noch fast 24 % aller Asylbewerber in Schweden unbegleitete Minderjährige waren, 2016 aber nur noch rund 5 %.

Da unbegleitete Minderjährige noch häufiger als Erwachsene keine Ausweispapiere haben, dürften sie in besonderem Maß von den extraterritorialen Identitätskontrollen in Transportmitteln von Dänemark nach Schweden betroffen sein. Die schwedische Regierung hat im Zuge der asylrechtlichen Verschärfungen  2016 auch angekündigt, künftig strenger mit Alterseinschätzungen bei unbegleiteten Minderjährigen zu verfahren. 2016 galt jedoch noch die vorherige Regelung, nach der die Mitarbeiter der Migrationsbehörde bei der Alterseinschätzung in erster Linie von den Selbstaussagen der jungen Asylsuchenden ausgehen und medizinische Altersfeststellungen nur dann in Frage kommen, wenn ein Antragsteller oder eine Antragstellerin offensichtlich älter als 18 erscheint. Diese Praxis gilt als eine wichtige Ursache dafür, dass Schweden 2015 innerhalb der EU mit Abstand die meisten unbegleiteten minderjährigen Asylantragsteller registrierte.

 

Anteil von Frauen und Familien mit Kindern an der Asylzuwanderung steigt

Eine Analyse monatlicher Asylzahlen zeigt, dass im Oktober 2015, noch bevor die schwedische Regierung Einschränkungen des Familiennachzugs ankündigte, nur rund ein Viertel (26,8%) aller Asylbewerber Frauen waren und 20,8% Kinder (unbegleitete Minderjährige ausgenommen). Beide Anteile haben sich seither schrittweise erhöht und im Dezember 2016 waren fast 42 % der Asylbewerber Frauen und 32 % Kinder.

Da das Recht auf Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte ausgesetzt wurde, ist das früher häufige Muster, nachdem erst ein Familienvater die Reise antritt und  seine Familie später legal zu sich nachziehen lässt, ausgehebelt. So müssen Frauen und Kinder nun selbst die Flucht nach Schweden bewerkstelligen. Im Jahr 2016 wurden 60 % aller Asylanträge in Schweden positiv entschieden, wobei die mit Abstand meisten positiven Entscheidungen auf subsidiären Schutz lauten (70%) und nicht auf Flüchtlingsschutz (25%). Die Aussetzung des Familiennachzugsrechts betrifft damit eine große Gruppe und wirkt sich insofern massiv aus.

 

Rekordzahl eingestellter Verfahren

Im Jahr 2016 wurden 12,8 % aller Asylverfahren eingestellt, weil die betroffenen Personen ihre Anträge entweder offiziell zurückgezogen hatten oder nicht mehr auffindbar waren. Dieser Wert war etwas niedriger als 2015, aber deutlich höher als in früheren Jahren und spricht dafür, dass der Ruf Schwedens als sicheres und stabiles Zielland schlechter geworden ist. Aus welchen Gründen Anträge zurückgezogen werden ist nicht systematisch erforscht, jedoch berichteten schwedische Medien über Fälle, in denen sich Asylbewerber frustriert zeigten über lange Wartezeiten, unsichere Bleibeperspektiven aufgrund der nunmehr geltenden Befristung der Aufenthaltserlaubnisse oder die Verweigerung des Familiennachzugs.

 

Mehr soziale Misere anstatt erhöhter Rückkehrbereitschaft

Erste verfügbare Zahlen sprechen deutlich dafür, dass der Versuch der schwedischen Regierung, die Rückkehrbereitschaft abgelehnter Asylbewerber durch den Entzug von Geldleistungen und den Verlust der vom Staat gestellten Unterkunft zu erhöhen, gescheitert ist. Wie die Migrationsbehörde in ihrem Jahresrechenschaftsbericht für 2016 schreibt, wurden im Jahr 2016 nach Inkrafttreten des entsprechenden Gesetzes knapp 4 100 Asylbewerbern Geldleistungen und Unterkunft gestrichen. Nur 142 der betroffenen Personen haben Schweden daraufhin freiwillig verlassen und 63 wurden abgeschoben. Nach Angaben der Migrationsbehörde wohnen die meisten Betroffenen in Wohnungen, die sie sich selbst beschafft haben, oder bei Verwandten oder Freunden, während andere untergetaucht sind. „Auf Basis der vorhandenen Statistiken hat die Gesetzesänderung die freiwillige Rückkehr nicht erhöht“, so die Migrationsbehörde. Die Lebensführung ausreisepflichtiger Asylbewerber zu anormalisieren, erweist sich somit nicht als geeignetes Mittel für mehr freiwillige Rückkehr – eher schafft man damit mehr soziale Notlagen.

 

Regierung zufrieden – Flüchtlingsschutz demontiert?

Da die erklärte Zielsetzung des schwedischen Umschwungs in der Asylpolitik war, den Zuzug von Flüchtlingen deutlich zu reduzieren, sprechen die verfügbaren Statistiken dafür, dass die durchgeführten Maßnahmen die intendierte Wirkung erzielt haben. Für den Flüchtlingsschutz und die Einheit von Familien hatten sie jedoch zahlreiche negative Effekte. Unbegleitete Minderjährige scheint es kaum mehr zu gelingen, nach Schweden zu kommen, und Familien bleiben auseinandergerissen.

Außerdem sieht sich die schwedische Politik mit einem Zielkonflikt konfrontiert: Während man einerseits versucht, Schweden weniger attraktiv zu machen, setzt man andererseits gleichzeitig mit einer Vielzahl von Initiativen und Projekten auf bessere Integration und eine schnellere Eingliederung der Schutzberechtigten in den Arbeitsmarkt. Für eine gelingende Integration ist es jedoch wichtig, dass Migranten nicht über längere Zeiträume hinweg über ihre Bleibeperspektive im Unklaren gelassen werden. Die neu eingeführte Befristung von Aufenthaltstiteln dürfte daher integrationspolitisch kontraproduktiv sein. Auch die Einschränkung des Familiennachzugsrechts ist kritisch zu beurteilen. Familien, die auf unbestimmte Zeit gegen ihren Willen getrennt bleiben, dürfte die Eingliederung schwerer fallen als Personen, deren Familieneinheit gewährleistet ist.

Als „Lichtblick“ für den Flüchtlingsschutz in Schweden weist die Regierung häufig darauf hin, dass sie das schwedische Resettlement-Programm aufstockt, über das mit Hilfe des UNHCR ausgewählte Flüchtlinge direkt aus Transitländern nach Schweden gebracht werden. Während die Zahl der Resettlement-Flüchtlinge in den letzten Jahren stets bei 1.900 Personen lag, sollen 2017 nun 3.400 aufgenommen werden und im nächsten Jahr 5.000. Wenn es aber darum geht, Resettlement als sicheren Zugangsweg als Alternative zum territorialen Asyl zu etablieren, wären eine noch weit größere Dimension nötig.

 

Photo Credits:

(c) Fredrik Rubensson

 

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