Rückkehr von Migranten nach Gambia: Die junge Demokratie darf nicht überstrapaziert werden

Ein Regimewechsel im westafrikanischen Gambia veranlasst die EU und Deutschland zur Hoffnung, gambische Migranten in großen Zahlen zur Rückkehr zu bewegen. Was für die Aufnahmeländer innenpolitisch vorerst attraktiv erscheint, erschwert die ohnehin herausfordernden notwendigen Reformen in Gambia und gefährdet damit die Bearbeitung von Fluchtursachen.

 

Anfang 2017 kam es im kleinsten Land des afrikanischen Kontinents, Gambia, überraschend zu einem Regimewechsel. Der 22 Jahre herrschende Diktator Yahya Jammeh wurde durch dem demokratisch gesinnten Adama Barrow durch Wahlen abgelöst. Jetzt steht der angemessene Umgang mit gambischen Geflüchteten für die EU und besonders Deutschland zu Debatte. Aufgrund des drastischen und vielversprechenden Politikwechsels und der hohen Zahl von Gambiern unter den Mittelmeerflüchtlingen ist der Fall aus Sicht Europas besonders interessant, da sich Gambia als entwicklungsorientierter demokratischer Staat als Partner für eine gemeinsame Migrationspolitik in Westafrika anbietet.

 

Europagerichtete Migration aus Gambia

Die europagerichtete Auswanderungsquote aus Gambia ist im Verhältnis zu anderen westafrikanischen Ländern überdurchschnittlich hoch. Derzeit leben knapp 140.000 Gambier im Ausland. Seit Jammehs Militärputsch 1994 stieg die Zahl der Asylgesuche und gleichwohl hat die Zahl irregulärer Migranten nach Europa in den 2000er Jahren zugenommen. Deutschland ist seit 2012 neben Italien Hauptaufnahmeland für gambische Migranten. Der sogenannte „backway“ über Libyen stellt die meistgewählte Route dar und zieht vor allem junge Männer auf der Suche nach Erwerbsmöglichkeiten an. Statistiken über die Anzahl von „backway migrants“ existieren nicht, aber das Phänomen hat ein Ausmaß angenommen, das in der journalistischen Berichterstattung Bilde von „deserted villages“ gezeichnet werden.

So sehr politische Fluchtgründe unter der Diktatur unumstritten existierten, provozierten vor allem auch fehlende Erwerbschancen unter dem despotischen Diktator Jammeh die Entscheidung zur Migration. Jammeh wusste zum Beispiel verschiedenste Branchen zu seinen Gunsten auszunutzen und umzugestalten, was Wirtschaftsleistung und Arbeitsmarkt in Gambia extrem belastet hat. „Jammeh has monopolised any sector youths could fit into, now these will be areas the new government can develop for youths”, beschreibt es die Jugendaktivistin Mariama Saine in einem Interview mit Journalistin und Gambia-Expertin Louise Hunt.

 

Rückführung darf die Bekämpfung von Fluchtursachen nicht konterkarieren

Die neue Regierung muss also umfassende Reformen in mehreren migrationsrelevanten Sektoren vornehmen, um die generell junge Bevölkerung (Durchschnittsalter 16,8 Jahre) zum Bleiben oder sogar zur Rückkehr zu bewegen. Letzteres ist für die neue Regierung nicht nur für ihre eigene Legitimierung wichtig, sondern auch ein symbolisches Entgegenkommen gegenüber den europäischen Aufnahmeländern.

Da politische Fluchtgründe aus Zeiten der Diktatur quasi über Nacht abhandengekommen zu sein scheinen, bietet der Regimewechsel für die EU und speziell Deutschland die Chance auf eine aktivere Rückkehrpolitik. Die EU als bisher größte Geldgeberin der bankrotten Regierung hat zur Ankurbelung des Ausbildungs- und Wirtschaftssektors das „youth empowerment scheme“ des EU Emergency Trust Funds (EUTF) geschaffen. Es sieht den Aufbau von Erwerbsperspektiven für junge Gambier vor und zielt dabei explizit auf die Reduktion der „backway migration“ wie auch die Rückkehr von „skilled migrants“ ab.

Das EUTF Projekt ist nicht – wie bisherige von der EU geförderte Projekte – nach den lang etablierten entwicklungspolitischen Prinzipien des Cotonou-Abkommens ausgerichtet. Auch wenn dies nicht bedeutet, dass die Prinzipien per se vernachlässigt werden, bedarf es hier besonderer Aufmerksamkeit. Denn das Bestreben europäischer Staaten und der EU, Gambier ohne Asylstatus zeitnah zurückzuführen und möglichst viele weitere zu einer freiwilligen Rückkehr zu motivieren, darf entwicklungsorientierte Kooperation nicht konterkarieren oder gar Mittelpunkt der Kooperation sein. Wenn Flüchtlingspolitik ‚Ursachenbekämpfung‘ zum Ziel haben soll, muss dringend beachtet werden, was eine zeitnahe Rückkehr vieler Geflüchteter für die junge Demokratie bedeutet.

 

Überstürzte Rückführungen erschweren wirtschaftspolitische Reformerfolge

Bereits im Wahlkampf hatte Präsidentschaftskandidat Adama Barrow irreguläre Migration als zentrales Problem angesprochen, wobei die Dimension der Rückkehr heikel ist. Barrow signalisiert große Bereitschaft zur Wiederaufnahme von backway-Migranten, jedoch sind eine Reihe von Schwierigkeiten damit verbunden. Generell ist die neue Regierung unerfahren und auf die Zuarbeit eines Verwaltungsapparates angewiesen, der durch die vorherige Diktatur in seinen Kapazitäten extrem eingeschränkt ist. Zudem muss Barrow die ökonomischen Hoffnungen, die die Bevölkerung in die Migranten setzt, ernst nehmen, um sein Vertrauen aufrechtzuerhalten.

Die fehlenden Erwerbschancen sind durch den Regierungswechsel allein nicht verbessert. Zunächst müssen Ausbildungsprogramme ausgebaut, verschiedene Wirtschaftssektoren angekurbelt und der Arbeitsmarkt reformiert werden. Zwar entstehen derzeit viele Projektideen und -pläne der Regierung, internationaler Organisationen und NGOs. Aber allein aufgrund der vielzähligen reformbedürftigen Felder, in denen die Regierung derzeit handeln muss, wird es noch längere Zeit dauern, bis Reformen und Initiativen spürbare Erfolge erzielen.

Entwicklungen hängen auch mit Rücküberweisungen von Gambiern aus dem Ausland zusammen. Gambias Wirtschaft könnte durch die abrupte Abnahme von den wichtigen Rücküberweisungen erheblich geschwächt werden. Sie machen 22% des Bruttosozialproduktes aus – der zweithöchste Wert in Subsahara-Afrika. Rücküberweisungen werden vornehmlich für die Grundversorgung sowie für Bildungs-, Gesundheits- und Wohnkosten innerhalb Gambias eingesetzt. Fallen sie weg, ohne dass die Ausfälle durch einen Wirtschaftsaufschwung ausgeglichen werden können, drohen Versorgungslücken zu entstehen.

Schließlich haben irreguläre Migranten der letzten Jahre selten Weiterbildungsmöglichkeiten bekommen und wenn dies doch der Fall war, dann waren diese nicht zwingend an den Bedarfen des zukünftigen gambischen Arbeitsmarktes angepasst. Somit kann zu diesem Zeitpunkt auch nicht von einem signifikanten „brain-regain“ ausgegangen werden, der die Entwicklung des Landes nennenswert unterstützen könnte. Vor dem Hintergrund diese vielfältigen Herausforderungen würde eine Rückkehr vieler den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zu diesem Zeitpunkt noch zusätzlich belasten.

 

Überstürzte Rückführungen bergen Konfliktpotential

Sollte eine weitreichende Rückkehr die ökonomische Entwicklung hemmen, untergräbt dies das Vertrauen der Bevölkerung in die neue Regierung. Der Regimewechsel ist aber auch seitens der backway-Migranten mit Erwartungen verknüpft. Diejenigen, die einer Rückkehr zustimmen, um in Gambia anstatt in Europa auf Erwerbsmöglichkeiten zu hoffen, könnten angesichts der langsamen Veränderungen enttäuscht sein. Mit der Flucht haben sie neben großer Hoffnung auch viele Kosten und Risiken auf sich genommen und mit ihrer Rückkehr geben sie die (ggf. imaginären) Chancen in Europa wieder auf. Ihr Ansehen ist aufgrund der verhältnismäßig leeren Hände, mit denen viele der ehemaligen Hoffnungsträger zurückkehren, geschwächt und es droht eine Stigmatisierung durch den fehlenden Erfolg.

Diese Enttäuschung birgt erhebliches Frustrationspotential, das zu wiederholter Migration, aber auch zu Protest und Gewalt gegen die neue Regierung führen könnte. Für eine Studie formulierten 15 gambische Rückkehrer aus Libyen in einer Fokusgruppendiskussion eine große Unzufriedenheit mit ihrer Situation seit der Rückkehr und leiteten daraus Gewaltbereitschaft ab. Sie hatten sich aufgrund ihrer bedrohlichen Lage in Libyen und der Inaussichtstellung neuer Zukunftsperspektiven unter dem neuen Regime zum Abbruch ihres Fluchtversuchs bereiterklärt. Nun fühlen sie sich von der International Organisation for Migration (IOM), die die Rückführungen durchführte, und der Regierung verraten, da sie weder Reintegrationsunterstützung noch Austauschmöglichkeiten mit offiziellen Stellen erhalten hatten. Die Regierung des ‚neuen Gambia‘ setzt auf eine bevölkerungsorientierte Regierungsführung. Diese Neuausrichtung konnten die Rückkehrer noch nicht einmal symbolisch, wie zum Beispiel durch Kontakt zu einem Regierungsvertreter, erkennen. Ein Interviewter formulierte: „If this happens to continue, then we can do something crazy“. Auch ein Entwicklungsexperte vermutet: „Bringing them back now is a recipe for violence and unrest“. Reintegrationsmaßnahmen sind bei der IOM zwar in Planung, aber auch hier gibt es Verzögerungen.

Daher könnte eine schnelle Rückführung vieler Gambier den Wiederaufbau, der gleichzeitig Fluchtursachen abbauen soll, hemmen. Die entwicklungsorientierten Bemühungen der Regierung in Zusammenarbeit mit internationalen Akteuren würden von der Priorisierung flüchtlingspolitischer Interessen Europas untergraben werden. Sinnvoller wäre es, mit denjenigen, die aus freien Stücken zurückkehren, politische Repräsentations- und Kommunikationsstrukturen für ehemalige Migranten aufzubauen. Ansätze, die reintegrativ wirken und gleichzeitig politische Partizipation erhöhen würden, wären etwa der Aufbau von Interessenvertretungen, Gesprächskreise mit politischen Vertretern oder die Koordination von Rückkehr-Netzwerken in den digitalen Medien.

 

 

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