von Miriam Schader, Tim Rohmann und Sybille Münch
Seit August 2018 läuft die Pilotphase der zentralen Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungseinrichtungen (AnKER-Zentren), die sich an den bereits existierenden bayerischen Transitzentren orientieren und nach Wunsch des Bundesinnenministers künftig bundesweit eingerichtet werden sollen. Während Kirchen, Forschende und NGOs vor negativen Folgen für Betroffene und Standorte warnen – so auch wir in der Z’Flucht – versprechen sich die Befürworter*innen eine schnellere und effizientere Bearbeitung von Asylverfahren.
Stolz präsentierte sie Bundesinnenminister Horst Seehofer zusammen mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (beide CSU): Die ersten AnKER-Zentren! Anfang August sind die eilig umgewidmeten Unterkünfte in Bayern offiziell vorgestellt worden. Seehofers „Masterplan“ sowie der nach der letzten Bundestagswahl ausgehandelte Koalitionsvertrag sehen die bundesweite Einrichtung solcher zentralen Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungseinrichtungen (AnKER-Zentren) vor. Orientieren sollen sie sich an den bereits existierenden bayerischen Transitzentren – die nicht nur von NGOs und Aktivist*innen, sondern unter anderem auch von der Stadt Bamberg, selbst Standort eines Transit- und jetzt AnKER-Zentrums, scharf kritisiert werden, da solche Massenunterkünfte „den sozialen Frieden in der Stadt gefährden“.
In einem ersten Schritt wurden sieben bestehende bayerische Aufnahmeeinrichtungen öffentlichkeitswirksam in AnKER-Zentren umbenannt, ohne dass wesentliche strukturelle Änderungen vorgenommen wurden. Ähnlich verhält es sich auch mit dem einzigen AnKER-Zentrum außerhalb Bayerns in Dresden. Dort wurde eine bestehende Erstaufnahmeeinrichtung in ein AnKER-Zentrum umgewidmet. Auf eine kleine parlamentarische Anfrage hin erklärte das sächsische Innenministerium, dass sich das AnKER-Zentrum nicht „wesentlich […] von den in Sachsen bereits bestehenden Ankunftszentren“ unterscheiden und das „Aufnahmeprocedere“ dadurch nicht geändert werde.
Im Rahmen einer 12- bis 18-monatigen Pilotphase sollen in den AnKER-Zentren laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) „verschiedene Arbeitsprozesse rund um Einreise, Aufenthalt und Unterbringung, Asylverfahrens- und Klagebearbeitung, Integration und Rückkehr hinsichtlich Umsetzbarkeit und Nutzen an den Standorten getestet“ werden. Die Ergebnisse werden demnach in die Verhandlungen des Bundesinnenministeriums (BMI) mit den Ländern über die konkrete Ausgestaltung der AnKER-Zentren einfließen. Die Bundesländer zeigten jedoch eine große Zurückhaltung, sich auch nur an der Pilotphase zu beteiligen. Neben Bayern und Sachsen hatten bis September 2018 lediglich Hessen, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen ein prinzipielles Interesse bekundet, bislang jedoch ohne konkrete Kooperationszusagen.
Vor diesem Hintergrund beleuchten wir folgende Fragen:
Was sind die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Einrichtung dieser Zentren? Welche Erfahrungen wurden mit den bayerischen Einrichtungen bislang gemacht? Und was würde der geplante Policy-Transfer für Asylsuchende und Kommunen in Zukunft bedeuten?
Rechtliche Rahmenbedingungen
Zwar entscheidet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) über Asylanträge (§ 5 Abs. 1 Asylgesetz (AsylG)), für die Registrierung, Gesundheitsuntersuchung und Unterbringung sind hingegen die Länder zuständig. Die bundesweite Einführung der AnKER-Zentren kann daher nur im Rahmen einer Kooperation von Bund und Ländern erfolgen.
Asylsuchende sind künftig verpflichtet, für bis zu 18 Monate – bei Familien mit minderjährigen Kindern sechs Monate – in den AnKER-Zentren zu wohnen. Im Gegensatz zu den ehemaligen bayerischen Transitzentren, in denen vorwiegend Personen mit „schlechter Bleibeperspektive“ untergebracht wurden, trifft diese Verpflichtung nunmehr alle Asylbewerber*innen. Der gesetzliche Regelfall sieht in § 47 I AsylG hingegen eine Aufenthaltszeit von 6 Wochen, längstens jedoch bis zu 6 Monaten vor. Zwar gibt es hiervon in eng umgrenzten Fallkonstellationen gesetzliche Ausnahmen (§ 47 Abs. 1a, 1b AsylG). Doch auch insoweit sind die Landesbehörden verpflichtet, Asylsuchende „unverzüglich aus der Aufnahmeeinrichtung zu entlassen und innerhalb des Landes zu verteilen“, wenn feststeht, dass die Abschiebung „kurzfristig nicht möglich ist“, § 49 AsylG, oder das BAMF mitteilt, dass nicht oder nicht kurzfristig entschieden werden kann, dass der Asylantrag unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist, § 50 I 1 Nr. 1 AsylG. Die undifferenzierte Anwendung der politischen Vorgabe von 18 Monaten wäre daher rechtswidrig.
Ein weiteres zentrales Problem ist die Frage, wie die noch im Koalitionsvertrag (S. 105) vorgesehene „unabhängige und flächendeckende Asylverfahrensberatung“ gewährleistet werden soll, die im Masterplan des Innenministers anders als die sogenannte „Rückkehrberatung“ keine Erwähnung mehr findet. Gemäß Art. 18 Abs. 2 lit. c) der Richtlinie 2013/33/EU (Aufnahmerichtlinie) tragen die EU-Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass Rechtsbeistände oder ehrenamtliche Berater*innen Zugang erhalten, um den jeweiligen Antragsteller*innen zu helfen. Dies gilt gemäß Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32/EU (Asylverfahrensrichtlinie) auch für Rechtsanwälte. Nach den bisherigen Erfahrungen in Bayern ist dieser Zugang häufig nicht hinreichend gewährleistet. Nach den Plänen des BAMF soll die Asylverfahrensberatung künftig verstärkt durch Mitarbeiter*innen der Behörde selbst erfolgen. Dies ist vor dem Hintergrund, dass die enorme Bedeutung einer unabhängigen Beratung in einem vom BAMF selbst in Auftrag gegebenen Pilotprojekt explizit bestätigt wurde und Art. 21 der Asylverfahrensrichtlinie das zur Umsetzung erforderliche rechtliche Instrumentarium bereithält, nur schwer nachvollziehbar. In der Zusammenschau mit den im Asylprozessrecht ohnehin sehr kurzen Rechtsbehelfsfristen ( § 74 AsylG) erscheint daher fraglich, ob die AnKER-Zentren die institutionellen Rahmenbedingungen für die Einhaltung insbesondere europarechtlich vorgegebener Verfahrensstandards bieten. .
Bayern als Testlauf
Während sich die anderen Bundesländer zurückhaltend zeigen, existieren in Bayern bereits seit Längerem ähnliche Vorläufer, an die nun angeknüpft werden soll. Die 2015 eingerichteten „Ankunfts- und Rückführungseinrichtungen“ in Ingolstadt/Manching und Bamberg, sollen „der Verfahrensbeschleunigung und damit dem öffentlichen Interesse an einem möglichst effizienten Einsatz öffentlicher Mittel“ dienen. Anhand der Erfahrungen mit diesen Einrichtungen lassen sich bereits einige Probleme antizipieren, die auch mit den AnKER-Zentren fortbestehen könnten.
Zunächst sollten in den Ankunfts- und Rückführungseinrichtungen ARE I (Manching) und ARE II (Bamberg) ausschließlich Menschen mit geringer Bleibewahrscheinlichkeit untergebracht werden, deren erwartungsgemäß aussichtlosen Asylanträge innerhalb weniger Wochen bearbeitet werden sollten. Diese Erwartung wurde jedoch von Anfang an nicht erfüllt. Alle im Rahmen einer Pilotstudie zu Kinderrechten in der ARE II Befragten hielten sich seit mindestens zwölf Monaten in Deutschland auf, eine Mehrheit von ihnen war bereits seit mehr als drei Monaten in der ARE II untergebracht.
Der bayerische Fall illustriert, wie räumliche und soziale Ausgrenzung und die Einrichtung großer Sammelunterkünfte mit bis zu 1.500 Plätzen Konflikte im Lagerinneren und Vorurteile vor Ort weiter schüren (vgl. dazu auch den Blogbeitrag von Röing et al.). Außerhalb Bayerns oft wenig beachtet, berichten regionale Medien regelmäßig von Protesten der Bewohner*innen bis hin zu Hungerstreiks gegen die Unterbringungsbedingungen.
Das Hinterland-Magazin des Bayerischen Flüchtlingsrates dokumentiert in verschiedenen Artikeln die strengen, von privaten Sicherheitsunternehmen implementierten Hausregeln. Zur Anwesenheitskontrolle diene der reglementierte Zugang zur Essensausgabe; Zimmerdurchsuchungen nach Nahrungsmitteln oder verbotenen Elektrogeräten seien an der Tagesordnung. All dies soll dezidiert abschreckend wirken und den Wunsch nach einer Ausreise oder Rückkehr bei den Bewohner*innen stärken. „Die vorhanglosen Mehrbettzimmer in der früheren Kaserne sind auch nicht auf Dauergäste ausgelegt“ resümiert die Süddeutsche die Lage in Bamberg.
In der Berichterstattung des Bayerischen Rundfunks wird explizit infrage gestellt, inwiefern die beiden Zentren in Bamberg und Manching/Ingolstadt mit rechtsstaatlichen Grundsätzen zu vereinbaren seien. Als besonders problematisch hat sich erwiesen, dass Kinder nicht in Regelklassen, sondern separiert und jahrgangsübergreifend in Klassen von bis zu 60 Schüler*innen auf dem Gelände der ARE unterrichtet werden. Der Ersatzunterricht findet oftmals auf Englisch statt, obwohl nach Einschätzung des Bayerischen Flüchtlingsrates viele Kinder zuvor lange in Deutschland gelebt und hier deutsche Schulen besucht haben.
Sammelunterkünfte als Hindernis für Orientierung und Teilhabe
Aus der aktuellen Forschung zur Unterbringung von Asylbewerber*innen wissen wir, dass Isolation, fehlende Privatsphäre und eingeschränkte Bewegungs- und Entscheidungsfreiheit gravierende Auswirkungen auf die untergebrachten Menschen haben können. So können selbst ‚normale‘ Gemeinschaftsunterkünfte als „Gefängnis“ erlebt werden. Zugleich laufen dezentrale, große Sammelunterkünfte Gefahr, vor Ort als Fremdkörper wahrgenommen zu werden und zur Zielscheibe gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu werden.
Gravierend dürfte für die Bewohner*innen auch der eingeschränkte Zugang zu unabhängiger Sozial- und Rechtsberatung sein. Darüber hinaus liegt nahe, dass es den in den AnKER-Zentren untergebrachten Asylbewerber*innen schwerfallen dürfte, die Berater*innen von anderen Akteur*innen zu unterscheiden. Wenn den Schutzsuchenden unterschiedliche Behörden direkt in den AnKER-Zentren gegenübertreten, wird die Unterscheidung staatlicher und nichtstaatlicher Akteur*innen noch schwieriger als ohnehin schon. Ist jedoch unklar, wer unabhängig ist und wer nicht, kann kein Vertrauen entstehen und eine effektive Beratung nicht gewährleistet werden.
Durch die Beschneidung des Zugangs zu Schule und Ausbildung verlieren die betroffenen Kinder in den AnKER-Zentren Zeit, die später kaum aufzuholen sein wird. Erwachsene sollen nicht arbeiten können – und auch an Integrationskursen sollen sie erst nach einer Verteilung auf die Kommunen teilnehmen können. Wenn noch dazu die Unterstützung durch Ehrenamtliche beschränkt ist, fehlt Kindern wie Erwachsenen Zugang zur Sprache, zu Beschäftigung und einer Vorbereitung auf das Leben in Deutschland – und das, obwohl den Statistiken des BAMF zufolge davon auszugehen ist, dass mindestens jede*r Dritte hierbleiben wird.
Potenzielle Folgen für die Kommunen
„Der entscheidende Vorteil der AnkER-Zentren“ sei laut „Masterplan Migration“, „dass künftig eine Verteilung der Antragsteller auf die Städte und Gemeinden erst erfolgt, wenn ihr Schutzstatus positiv festgestellt ist“.
Tatsächlich ist zu erwarten, dass dadurch die Kosten für die Unterbringung während des Asylverfahrens für durch die Kommunen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu zahlende Leistungen oder für vielerorts von Kommunen finanzierte Sprachkurse sinken. Jedoch ist ebenfalls davon auszugehen, dass die – dann voraussichtlich von den Ländern aufzubringenden – Kosten der stark zentralisierten Unterbringung häufig höher sind als bei (mehr oder weniger) dezentraler Unterbringung.
Darüber hinaus würde die AnKER-Unterbringung zusätzliche Mittel für die Kommunen nötig machen. Denn wenn ein großer Teil derjenigen, die in den AnKER-Zentren leben sollen, anschließend auf die Kommunen verteilt wird, sind hohe Folgekosten zu erwarten. Die Geflüchteten hätten in den vorausgegangenen Monaten kaum Gelegenheit gehabt, sich auf ein selbständiges Leben in Deutschland vorzubereiten. Zugleich fehlten ihnen Kontakte zu Ehrenamtlichen. Der von den Kommunen aufzufangende Beratungsbedarf dürfte im Vergleich dadurch deutlich erhöht sein.
Auch am Beispiel des (Schrift-)Spracherwerbs lässt sich leicht nachvollziehen, dass die Kosten für die Kommunen vermeintliche Ersparnisse übersteigen können: Statistiken zufolge sind nur etwa ein Drittel der Geflüchteten lateinisch alphabetisiert – doch gerade denjenigen, die die lateinische Schrift bereits beherrschen, fällt das Deutschlernen leichter. Bis zu eineinhalb Jahre Wartezeit ohne Zugang zu einem Kurs zum Sprach- und Schrifterwerb erscheinen im Sinne eines „möglichst effizienten Einsatz[es] öffentlicher Mittel“ daher wenig zielführend. Schließlich ist zu erwarten, dass sich durch den dadurch erschwerten Zugang zum Arbeitsmarkt der Leistungsbezug nach SGB II oder XII deutlich verlängert und die Belastung der Kommunen entsprechend erhöht.
„Effizienz, Geschwindigkeit und Qualität“ der Asylverfahren: Anspruch und Wirklichkeit
AnKER-Zentren werden sowohl im Koalitionsvertrag als auch im „Masterplan Migration“ als Baustein zur Optimierung von Asylverfahren präsentiert. Dass sie dieses Versprechen einlösen, ist aus wissenschaftlicher Sicht jedoch kaum zu erwarten.
Zwar kann die Bündelung von Behördenkompetenzen im Sinne eines „one-stop-governments“ dazu beitragen, dass Verwaltungsverfahren effizienter gestaltet und lange Wege für Asylsuchende vermieden werden. Je schneller über den Antrag auf internationalen Schutz entschieden wird, desto eher können sich die Betroffenen auf die neue Situation einstellen.
Effizienz- und Optimierungserwägungen müssen jedoch dort ihre Grenze finden, wo grund- und menschenrechtliche Mindestgewährleistungen tangiert oder gar unterschritten werden. Zudem besteht die Gefahr, dass die Bearbeitungsdauer der Asylanträge weiterhin hoch bleibt. Verfahren, die Recherchen oder auch medizinische Gutachten erforderlich machen, nehmen nach Auskunft des BAMF naturgemäß längere Zeit in Anspruch. Dasselbe gilt für Altfälle und bestimmt Herkunftsländer, mit denen sich die Zusammenarbeit schwieriger gestaltet.
Die „neuen“ Anker-Zentren stellen die Fortsetzung des vor allem in Bayern schon bisher praktizierten und wenig erfolgversprechenden Versuchs dar, unter dem Deckmantel der „Effizienz“ und mittels Restriktionen gegenüber den hier befindlichen Asylsuchenden steuernd auf fluchtbedingte Migrationsbewegungen nach Deutschland einzuwirken. Es bleibt zu hoffen, dass künftig – auch unter dem Eindruck der Ereignisse von Chemnitz Ende August/Anfang September 2018 und der sich daran anschließenden Debatte – wieder diejenigen Stimmen lauter werden, denen es nicht um Abschreckungsmaßnahmen und Stimmenfang am rechten Rand geht, sondern um eine humane Asyl- und eine rationale Integrationspolitik.
Dieser Beitrag baut auf dem kürzlich in der Zeitschrift für Flüchtlingsforschung erschienen Beitrag „Isolation im Gesetz verankern? Zu den Plänen der großen Koalition, zentrale Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungseinrichtungen einzuführen“ der Autor*innen auf.