Studium nach der Flucht?

Welche Angebote gibt es für Geflüchtete mit Studieninteresse an deutschen Hochschulen und wie werden sie organisiert? Wie werden Geflüchtete bei der Aufnahme eines Studiums unterstützt und wie erhalten sie tatsächlich Zugang? Diesen Fragen ging ich gemeinsam mit Hannes Schammann in einer qualitativen Studie nach, in der wir Öffnungsprozesse an neun deutschen Hochschulen untersuchten. Im diesem Beitrag gehe ich auf einige Erkenntnisse der Studie zu Herausforderungen von Geflüchteten ein.

 

Neben den klassischen Aufgaben von Forschung und Lehre begreifen sich Hochschulen in den letzten Jahren zunehmend als gesellschaftliche Akteure. Diese „third mission“ fand einen vorläufigen Höhepunkt im Engagement für Flüchtlinge ab dem Sommer 2015. In vielfältiger Weise waren Hochschulangehörige (Studierende und MitarbeiterInnen) entweder in die Unterbringung involviert, übernahmen diverse Aufgabe einer sozialen Unterstützung oder führten ehrenamtlich Sprachkurse durch. Nicht selten hing das (vor allem auch ehrenamtliche) Engagement von Hochschulangehörigen damit zusammen, dass auf dem Hochschulgelände Aufnahmeeinrichtungen beherbergt wurden, so etwa an der TU Dresden oder der HHU Düsseldorf.

An den Hochschulen entstand somit ein Potpourri von Angeboten für Geflüchtete, wobei zunächst selten auf die Schaffung eines akademischen Angebots  abgezielt wurde. Vielmehr war es den Akteuren der neun untersuchten Hochschulen wichtig, eine Form der „Soforthilfe“ bereitzustellen, um sich somit beispielsweise an der gesellschaftlichen Aufgabe der Flüchtlingsunterbringung zu beteiligen. Allerdings rückten zunehmend auch Öffnungsprozesse der Hochschulen selbst für Geflüchtete mit Studieninteresse in den Fokus.

Die Studie Studium nach der Flucht? wurde an der Universität Hildesheim durchgeführt und veröffentlicht. Es wurden neun Hochschulen in unterschiedlichen Bundesländern als Fallbeispiele ausgewählt, worunter sieben Universitäten – Bremen, Dresden, Düsseldorf, Frankfurt a.M., Freiburg, München, Oldenburg – und zwei (Fach-)Hochschulen – Lübeck und Magdeburg-Stendal – waren. Die Studie basiert auf 39 Expertinneninterviews, die an den verschiedenen Hochschulstandorten mit unterschiedlichen Akteuren innerhalb und außerhalb der Hochschulen zwischen Dezember 2015 und Februar 2016 geführt wurden. Hinzu kommen Dokumentenanalysen. Untersucht wurden die Angebote der Hochschulen wie auch administrative Herausforderungen, interne Kommunikationsstrukturen und Kooperationen mit externen Akteuren wie dem JobCenter. In Zusammenarbeit mit Praktikerinnen wurden Handlungsempfehlungen entwickelt. Ziel der Studie war es eine qualitative Nahaufnahme ausgewählter Angebote zu leisten, sie hat daher keinen Anspruch auf Repräsentativität, sondern liefert eine tiefere Durchdringung einzelner Fallbeispiele.

 

Einige Erkenntnisse aus der Studie

Aus der Studie gehen deutliche Entwicklungen, aber auch Herausforderungen hervor. Nachstehend gehe ich auf Angebote und Zielgruppen, Diversität, Hürden und Governance-Modelle ein und benenne letztlich Handlungsempfehlungen.

 

Angebote und Zielgruppen

Zu Beginn des Wintersemesters 2015/16 wurden vermehrt kostenlose Gasthörendenschaften an den Hochschulen realisiert, die Struktur im Alltag der Geflüchteten schaffen sollten. Entsprechend wurden sie an manchen Standorten als „Bespaßungs- und Beschäftigungsmaßnahmen“ definiert, eine Vorbereitung auf ein reguläres Studium stand nicht im Mittelpunkt. Zum Sommersemester 2016 lässt sich erkennen, dass die Angebote spezifischer werden und sich hauptsächlich auf die Förderung von formal studierfähigen Geflüchteten fokussieren.

Eng verknüpft mit der Frage nach der Ausrichtung des Angebots ist die notwendige Überlegung, welche Zielgruppe mit dem Angebot erreicht werden soll. Eine Reflexion über die Zielgruppen und die damit verbundene Ausrichtung des Programms erfolgte bei der Mehrheit der neun untersuchten Hochschulen erst im Rahmen der Planungen zum Sommersemester 2016. Dabei lässt sich die Zielgruppengestaltung mit zwei Dimensionen beschreiben: „Bleibeperspektive“ und „Studierfähigkeit“. Während die Bleibeperspektive wesentlich über das Herkunftsland bestimmt ist und sich an asylrechtlichen Vorgaben orientiert, ist der Grad der Studierfähigkeit hochschulrechtlich reglementiert (insb. deutsche Sprachkenntnisse und formale Hochschulzugangsberechtigung). Die Studie zeigt hier, dass die Hochschulen sich zunehmend an tendenziell jüngere Studieninteressierte mit einer guten Bleibeperspektive und einer hohen Studierfähigkeit wenden.

Bislang noch wenig diskutiert wird die Frage, wie lange Studieninteressierte als Geflüchtete gelten und Zugang zu den speziellen Programmen haben sollten? Auch eine Diskussion um die Frage, ob geflüchtete Studieninteressierte als internationale Studierende mit all den dazugehörigen Konsequenzen, wie beispielsweise die Bewerbung über die ausländische Studierendenquote bei zulassungsbeschränkten Studienfächern wie Medizin oder Pharmazie, definiert werden müssen steht noch aus.

 

Diversität – Alles eine Frage des Alters?

Das Festlegen einer Zielgruppe, hinsichtlich der Programme für Geflüchtete an den Hochschulen, bedeutet ein gleichzeitiges Ausschließen anderer. Legt man die zentralen Dimensionen der menschlichen Diversität (§1 AGG) zugrunde, die in Artikel 1 des Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz festgehalten sind, lassen sich an den untersuchten Hochschulen implizite Exklusionsmechanismen erkennen. So fanden die Dimensionen Religion, Ethnie, Behinderung und sexuelle Identität keine besondere Berücksichtigung. Der Umstand, dass relativ geringe Teilnehmendenzahlen von weiblichen geflüchteten Studieninteressierten vorzufinden waren, wurde zwar bemerkt, Ursachenforschung und Lösungsvorschläge stehen jedoch noch aus. Besonders stark und durch rechtliche Hürden noch intensiviert wirkten Exklusionsmechanismen, die sich auf das Alter der Geflüchteten beziehen. Zu nennen ist hier beispielsweise die Tatsache, dass der kostengünstigere Studententarif der gesetzlichen Krankenkassen nur bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres gilt. Geflüchtete mit Studieninteresse sind jedoch häufig älter – und ohne eine Krankenversicherung ist eine Immatrikulation nicht möglich. Ähnliches gilt für BAföG und Stipendien.

 

Hürden bei der Aufnahme eines Studiums oder der Teilnahme an propädeutischen Maßnahmen

Geflüchtete stehen vor zahlreichen rechtlichen und faktischen Hürden, wenn sie sich an einer Hochschule regulär immatrikulieren oder lediglich für die Teilnahme an propädeutischen Maßnahmen bewerben wollen. Auch wenn die Aufnahme eines Studiums unabhängig vom Aufenthaltstitel einer Person möglich ist, ergeben sich vielfältige Einschränkungen. Insbesondere die Sicherung des Lebensunterhalts bei Studieninteressierten kann zur geradezu unüberwindlichen Herausforderung werden. Beispielsweise hängt die Förderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) von dem Aufenthaltsstatus und ggf. von weiteren Umständen wie etwa der Voraufenthaltsdauer ab, so dass eine Erwerbstätigkeit neben dem Studium zur Finanzierung des Lebensunterhalts notwendig werden kann.

Auch die für Asylsuchende bereits bestehende und für anerkannte Flüchtlinge bevorstehende, Wohnsitzauflage stellt eine rechtlich induzierte Hürde dar. Weitere Hindernisse ergeben sich aus der Wohnsituation der Geflüchteten zur Erreichbarkeit der Hochschule (Mobilität bei nicht-immatrikulierten Personen) oder auch bei der Vereinbarkeit von verpflichtenden Integrationskursen und Sprachkursangeboten der Hochschulen. Die Hochschulen reagieren sehr unterschiedlich auf diese Herausforderungen und nutzen ihre Ermessensspielräume, beispielsweise bei der Anerkennung von Studienleistungen oder dem Erwerb von ECTS-Punkten als Gasthörende sehr verschiedenartig. Detaillierter gehen wir auf diese Herausforderungen in der Studie ein (siehe S. 39-40)

 

Governance-Modelle und Einbindung Geflüchteter

Die Verortung und Koordination der Angebote wurde an den untersuchten Standorten unterschiedlich gehandhabt. Zusammenfassend lassen sich für das Wintersemester 2015/16 drei „Governance-Modelle“ an den neun untersuchten Hochschulen erkennen. In Modell 1 kooperierten zahlreiche Akteure der Hochschulen (Leitung, MitarbeiterInnen und Studierende) im Haupt- und Ehrenamt miteinander. Hier bestand vor allem die Herausforderung, ein kohärentes Vorgehen zu realisieren. In Modell 2 liefen alle Maßnahmen beim International Office der Hochschulen zusammen. Dies barg – verkürzt formuliert – die Gefahr, der Lebenswelt Geflüchteter mit Maßnahmen für Erasmus-Studierende zu begegnen. Modell 3 legte den Fokus auf die Kooperation hochschulinterner und externer Verwaltungsakteure, beispielsweise die Kooperation des International Office mit dem JobCenter. Durch professionelle Strukturen und engmaschige Prozessschritte können unter Umständen die ehrenamtlich engagierten Initiativen und ihr Potenzial übersehen werden. Keines der drei Modelle lässt sich alleine als „best practice“ bezeichnen. Vielmehr scheint bei allen Modellen wesentlich, dass die Kommunikationsstrukturen transparent gestaltet und Kompetenzen klar vergeben und kommuniziert sind

Die Einbindung der Geflüchteten war in allen Modellen allerdings äußerst gering und wurde kaum thematisiert. Wenn doch, so wurde es als unnötig oder unmöglich beschrieben. Ein Empowerment-Ansatz wurde somit meist durch anwaltschaftlich agierende Strukturen ersetzt. Insbesondere studentische Gruppen betonten jedoch die Notwendigkeit einer stärkeren Einbindung Geflüchteter. Vereinzelt lassen sich entsprechende Entwicklungen feststellen, was mit der Hoffnung verbunden wird, die spezifischen Lebensumstände der Geflüchteten, wie etwa die Wohnsituation oder der Zugang zu Mobilität, noch besser begegnen zu können.

 

Handlungsempfehlungen und offene Fragen

Auf der Grundlage unserer Empirie haben wir 15 Handlungsempfehlungen formuliert, um Herausforderungen mit expliziten Lösungsvorschlägen zu besetzen. Hierzu zählt unter anderem:

  • Die Zielgruppen der Angebote der Hochschulen sollten umfassend transparent nach Außen und nach Innen kommuniziert werden. Somit kann „falschen“ Erwartungen entgegen gewirkt werden (Empfehlung 1).
  • Geflüchtete sollten in die Gestaltung der Angebote einbezogen werden. Dies ermöglicht eine passgenauere Ausrichtung der Angebote (Empfehlung 4).
  • Die Lebensumstände der Geflüchteten sollten noch stärker aufgegriffen werden. Mobilität, Wohnen, Krankenversicherung und auch die Finanzierung eines regulären Studiums sollten in der Angebotsgestaltung mitgedacht werden (Empfehlung 11).
  • Die unterschiedlichen lokalen Gegebenheiten erfordern zudem ein intensives Zusammenarbeiten mit externen Akteuren vor Ort (Empfehlung 12).

 

Viele der vorgefundenen Herausforderungen werden mittelfristig auf der Agenda der Hochschulen und der Politik bleiben, ganz zentral etwa die Frage der Studienfinanzierung. Einiges deutet auf eine anstehende Selbstreflexion ganz grundsätzlicher Frage- und Vorstellungen der Hochschulen hin, etwa in Bezug auf ihr Bildungs- und Wissenschaftsverständnis. Werden Geflüchtete primär Gäste in Sonderprogrammen für internationale Studierende bleiben, oder werden sie Teil einer diversen Studierendenschaft? Lassen sich im Zuge der Flüchtlingszuwanderung eventuell sogar verkrustete Hochschulstrukturen aufbrechen und verändern? Und haben die Hochschulen möglicherweise einen Impuls bekommen, sich künftig noch stärker im Sinne einer „third mission“ an gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen zu beteiligen? Die Hochschulen haben sich im Zuge ihres Engagements für Geflüchtete als relevante gesellschaftliche Kraft erlebt und präsentiert

 

Hinweis zur Studie

Schammann, Hannes / Younso, Christin (2016): Studium nach der Flucht? Angebote deutscher Hochschulen für Studieninteressierte mit Fluchterfahrung. Empirische Befunde und Handlungsempfehlungen. Hildesheim: Universitätsverlag Hildesheim. Online verfügbar unter https://www.uni-hildesheim.de/media/presse/Studium-nach-der-Flucht.pdf

 

 

 

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