Von Petra Bendel, Magdalena Fackler und Lorenz Wiese
Welche Auswirkungen hat die Covid-19 Pandemie auf Fluchtmigration? Und welche Menschenrechte sind dabei betroffen? Diesen Fragen ging das Centre for Human Rights (CHREN) der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) im Rahmen des Projekts FFVT („Flucht- und Flüchtlingsforschung: Vernetzung und Transfer“) im Jahr 2020 in seiner Vortrags- und Diskussionsreihe „Corona, Flucht und Menschenrechte“ nach. Im Rahmen von drei Online-Veranstaltungen analysierten Expert*innen die Folgen der Pandemie für Geflüchtete und Migrant*innen in Westafrika und Libyen, auf der griechischen Insel Lesbos sowie auch vor Ort: in Aufnahmezentren in Deutschland. Dieser Blogbeitrag fasst die wesentlichen Ergebnisse der Vortragsreihe zusammen.
Menschliche Mobilität in West-Afrika und Libyen
Als Auftakt der Reihe warfen Expert*innen am 29.6.2020 einen Blick auf menschliche Mobilität in Westafrika und Libyen.
Zuerst berichtete der freie Journalist und Fotograf Benjamin Moscovici von der Covid-19-Lage in West- und Zentralafrika und konstatierte eine (zu diesem Zeitpunkt) vergleichsweise kontrollierte Eindämmung der Pandemie in den meisten Ländern dieser Region. Für höchst problematisch befand er die Maßnahme der Grenzschließungen aller Staaten. Laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) gibt es um die sechs Millionen Binnenvertriebene, zehn Millionen Migrant*innen und 20 Millionen Nomad*innen in der Region; die Bevölkerung ist also sehr mobil. Die Grenzschließungen hatten u.a. zur Folge, dass immer mehr Menschen in sogenannten Transitzentren strandeten. Die Transitzentren der IOM dienen als Anlaufstelle für Geflüchtete auf der Durchreise oder auf der Rückkehr in ihre Heimat. Durch die Grenzschließungen konnte die IOM rückkehrwillige Migrant*innen nicht mehr in ihre Heimatländer begleiten. Zudem fehlten die Mittel, die Menschen ausreichend vor dem Virus zu schützen. Moscovici gab Einblicke in das Transitzentrum Arlit sowie in ein Geflüchtetenlager in Mali anhand von Videos, in welchen die Betroffenen selber ihre Lage verdeutlichten. Er resümiert: „Ich fürchte, wir werden Zeugen einer stillen Katastrophe. Die Todeszahlen sind niedrig, deshalb gibt es keine Schlagzeilen. Die neue Frage ist jetzt: Was passiert, wenn die ökonomische Krise (resultierend aus der Covid-19-Pandemie) auf Volkswirtschaften wie in Mali oder Sierra Leone trifft? Was passiert, wenn es auf Menschen trifft, deren finanzielle Reserven kaum für einen Tag reichen?“
Die Psychologin Kristin Pelzer schilderte ihre Erfahrungen in Internierungslagern in Libyen, wo sie zehn Monate lang für Ärzte ohne Grenzen e.V. (MSF) im Einsatz war. Ungefähr 1500 Geflüchtete und Migrant*innen lebten zu diesem Zeitpunkt dort in Internierungslagern, in welchen sie unmenschlichen Lebensbedingungen, Gewalt und Folter ausgesetzt sind. Mit der Covid-19-Pandemie verschlechterte sich die Situation für die Menschen in den Lagern weiter. Durch Überfüllung, Mangel an Hygiene und unzureichende Grundversorgung sind die Migrant*innen und Geflüchteten einem hohen Erkrankungsrisiko ausgesetzt. So gab es keine Präventionsmaßnahmen. Die Migrant*innen haben keinen Zugang zum libyschen Gesundheitssystem, welches zudem kaum Kapazitäten für die Behandlung von Erkrankten mit schweren Verläufen hat. Außerdem wurden Migrant*innen als „Krankheitsbringer“ stigmatisiert, was auch für Migrant*innen außerhalb der Lager zu einer Verschlechterung der Lebensbedingungen (wie bspw. zu Arbeitslosigkeit und Wohnungsverlust) führte. Aufgrund von Einreisebeschränkungen konnten nur wenige humanitäre Akteure in das Land gelangen; außerdem wurden alle Evakuierungen von Geflüchteten durch das UNHCR oder die IOM und damit die einzig sicheren Ausgangswege aus dem „Kreislauf der Gewalt in den Lagern“, so Pelzer, ausgesetzt. „Es muss sichere Wege aus Libyen geben. Es muss sichere Alternativen zu Internierungslagern geben und eine Gesundheitsversorgung für Migrant*innen, die nicht diskriminierend alle Menschen bestmöglich versorgt“, plädierte Kristin Pelzer.
Auch Dr. Benjamin Schraven vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) betonte die enorme Einschränkung der Mobilität in Westafrika, die sich auf die landesinterne, aber auch grenzüberschreitende Arbeitsmigration auswirkte. Laut Schraven ist das dynamische Migrationsgefüge historisch gewachsen, was sich vielerorts bspw. in multilokalen Haushalten zeige. Auch würden viele Kinder zu Bildungszwecken zwischen Land und Stadt hin- und hergeschickt. Nach Ankündigung des Lockdowns in großen Städten in Ghana sei es zu chaotischen Szenen gekommen, da viele Migrant*innen versuchten, noch schnell an ihre Heimatorte zu gelangen. So beschrieb Schraven die Lage als ein Wettrennen um Maßnahmen und bezeichnete die Frage der erzwungenen Immobilität als enormes Politikum. „Dreieinhalb Wochen des Lockdowns haben schon gereicht, um einen schweren Schaden anzurichten und die traditionellen Sicherheitsmaßnahmen der normalen westafrikanischen Mobilität nachhaltig zu erschüttern“, bekräftige Schraven.
Abschließend hob Michael Krennerich, FAU-Professor für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik, die von dieser Situation besonders betroffenen Menschenrechte hervor. So gälte eine besondere Schutzpflicht für Menschen in Hafteinrichtungen, Internierungs- und Geflüchtetenlagern. Mehrere UN-Menschenrechts-Kontrollausschüsse hätten Staaten bereits aufgefordert, Lager als Unterbringung generell zu hinterfragen. Krennerich forderte außerdem, dass das Menschenrechts-Monitoring besonders jetzt in diesen Lagern verstärkt werden müsse. „Gerade in der Pandemie ist es besonders wichtig, auf Menschenrechte zu achten in Grenzregionen, in Haftanstalten, in Internierungslagern und Flüchtlingscamps“, so Krennerich. Des Weiteren wies er daraufhin, dass es ein Menschenrecht sei, in das Heimatland zurückkehren zu können, und kritisierte Massenausweisungen von Arbeitsmigrant*innen. Zuletzt betonte er die Notwendigkeit von internationaler Unterstützung und Kooperation auch im Hinblick auf die globale Verteilung von Impfstoffen.
Die Situation Geflüchteter an den griechischen EU-Außengrenzen
Das zweite Panel der Veranstaltungsreihe beleuchtete am 20.7.2020 die Situation Geflüchteter an den griechischen EU-Außengrenzen.
Dafür berichtete zunächst die seit fast drei Jahren auf Lesbos ansässige freie Journalistin Franziska Grillmeier von der Lage im ehemaligen Geflüchtetenlager Moria auf Lesbos, das inzwischen niedergebrannt ist. Zum Zeitpunkt der Veranstaltung befanden sich die Menschen in Moria in einer zum wiederholten Male verlängerten Ausgangssperre, die aufgrund der Pandemie am 22. März 2020 verhängt worden war. Dies bedeutete, dass die Lagerbewohner*innen das Camp nur mit personalisierten Sondergenehmigungen verlassen durften. Bereits im Januar und Februar hatten die Bewohner*innen gegen die unmenschlichen Lebensbedingungen im Lager protestiert. Die Proteste waren mit enormer Polizeigewalt niedergeschlagen worden. Mit der Grenzöffnung der Türkei im Februar eskalierte die Situation an der türkisch-griechischen Außengrenze mit dem Einsatz von Scharfschützen und Tränengas. Diese Impulse übertrugen sich laut Grillmeier auch auf die Inselbevölkerung; Aggressionen entluden sich in Angriffen auf NGO-Mitarbeitende und Journalist*innen, die als „fremde Akteure zur Begünstigung der Ankunft von Geflüchteten“ auf der Insel wahrgenommen wurden. Gleichzeitig setzte die griechische Regierung das Recht auf Asyl aus. Sie beschrieb, dass die strukturelle Gewalt durch die Corona-Pandemie „nach innen implodierte“. Schließlich setzten die griechischen Behörden finanzielle Unterstützungsleistungen für einen Monat aus, und durch die Ausgangssperre wurde jeglicher Zugang zu Bildung, Apotheken, Anwält*innen oder Therapiesitzungen für Opfer von sexueller Gewalt oder Folter verwehrt. Nur in extremen Fällen konnten Patient*innen ins Krankenhaus eingeliefert werden, jegliche weitere medizinische Versorgung entfiel. Und obwohl die Resilienz und der Überlebenswille im Camp laut der Journalistin enorm gewesen seien, was sich bspw. durch eine verstärkte Selbstorganisation hinsichtlich der Verpflegung und Bildung zeigte, verschärfte sich die Lage besonders durch die ständige Retraumatisierung im Camp während der Pandemie. So gab es durch die Ausgangssperre keine Möglichkeit mehr, dem traumatischen Stress, der Tag für Tag in Moria erlebt wird, zu entfliehen und zur Ruhe zu kommen. „Man hat dort nur einen Reißverschluss und keine Tür, die man zumachen kann“, so Grillmeier. Zu beobachten waren in dieser Zeit auch schnellere Asylverfahren, die von der Journalistin als willkürlich wahrgenommen wurden. Auch der anerkannte Flüchtlingsstatus bedeute oftmals keine Verbesserung der Lebensbedingungen, da die Menschen dann das Lager verlassen müssten und auf sich alleine gestellt seien. Ohne Integrationsprogramme sei es jedoch schwierig, eine Wohnung oder eine Arbeit zu finden, was sich durch die Pandemie weiterhin verstärkt habe.
Wie sind diese Praktiken aus einer menschenrechtlichen Perspektive zu beurteilen? Diese Frage erörterte Anuscheh Farahat, FAU-Professorin für öffentliches Recht, Migrationsrecht und Menschenrechte. Sie betonte, dass Griechenland auch schon vor der Corona-Pandemie Menschenrechtsverletzungen begangen habe, diese seitdem jedoch noch deutlicher hervorträten. So sei das Recht auf Gesundheit, das Teil der Europäischen Menschenrechtskonvention ist, schon vor Covid-19 durch das Nichteinhalten von Hygienestandards verletzt gewesen. Durch die Abschottung der Lager habe sich dies potenziert. Sowohl Griechenland als auch die EU hätten eine Schutzpflicht für die Menschen in den Lagern und müssten demnach zumindest ihre Gesundheitsversorgung sicherstellen. Des Weiteren müssten Eingriffe in das Recht auf Bewegungsfreiheit immer verhältnismäßig sein. Doch „eine vollständige Kasernierung in einem Camp wie in Moria kann man unter den Bedingungen, die dort herrschen, kaum als verhältnismäßig einschätzen“, so Farahat. Auch sei der Schutz vor erniedrigender und unwürdiger Behandlung nach Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention in Griechenland nicht gegeben. Dafür gäbe es bereits eine ganze Bandbreite von Rechtsprechungen vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Somit stelle die Unterbringung der Geflüchteten in Lagern wie in Moria eine Menschenrechtsverletzung dar.
Die Nachfrage, wieso es trotz aller Beweise für diese Praktiken rechtlich dennoch so schwer sei, die geltenden Gesetze durchzusetzen, beantwortete Grillmeier mit der fehlenden unabhängigen externen Kontrolle von Institutionen wie der Europäischen Grenzschutzbehörde Frontex. Außerdem betonte sie, dass der Raum für Journalist*innen und Menschenrechtsorganisationen immer enger würde. „Griechenland wird wie eine Art Labor, um zu testen: wie weit kann man eigentlich gehen in Menschenrechtsbrüchen, um die Grenzen zu sichern und Geflüchtete ‚rauszuhalten ohne eine Strafverfolgung?“, so Grillmeier. Farahat ergänzte, dass auch die Beeinträchtigung von zivilgesellschaftlicher, journalistischer und anwaltlicher Arbeit alarmierend sei und wies darauf hin, dass eine effektive Kontrolle über den Weg des Individualrechtsschutz sehr schwer zu erreichen sei. Stattdessen hielte sie eine politische Lösung für gangbarer als eine rechtliche und plädierte für eine gesamteuropäische Herangehensweise.
Die Unterbringung Geflüchteter in Deutschland und insbesondere Bayern
Das dritte Panel der Reihe beleuchtete am 1.12.2020 die Unterbringung Geflüchteter in Deutschland und insbesondere in Bayern. Laut Schätzungen leben ungefähr 330.000 Menschen in Aufnahmeeinrichtungen in Deutschland, wobei die Lebensbedingungen dort wiederholt von Journalist*innen, Menschenrechtsorganisationen und von den Vereinten Nationen kritisiert wurden.
Dr. Olaf Kleist, Politikwissenschaftler am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM), betonte die Verschärfung dieser Situation durch die Pandemie, vor allem für besonders schutzbedürftige Gruppen. Er beschrieb die sozialpsychische Distanz, die diese Unterkünfte herstellen, und wies auf die Covid-19-bedingte Ausweitung der Isolierung vom Rest der Gesellschaft hin. Wann immer ganze Einrichtungen unter Quarantäne gestellt wurden, ließe sich eine Art Kollektivhaft für Geflüchtete feststellen. Wiederum zeige sich ein Generalverdacht gegenüber Geflüchteten als potenziellen Träger*innen des Virus, welcher Rassismus und gesellschaftliche Stigmatisierung weiter verstärke. Zusammen mit anderen konkreten Einschränkungen, die u.a. auch einen Personalmangel in den Unterkünften zur Folge gehabt hätten, habe sich dies auf die Gewaltschutzkonzepte in den Unterkünften ausgewirkt. Im Rahmen einer Studie, die ein Monitoringsystem für Gewaltschutzkonzepte entwickelt, führte Kleist eine Online-Befragung unter Bewohner*innen in 16 Landes- und Kommunaleinrichtungen durch, die trotz mangelnder Repräsentativität einen guten Einblick in die Situation gäbe. So fürchteten viele Bewohner*innen Covid-19 zwar, andere Ängste verstärkten sich jedoch ebenso – wie bspw. Ängste vor den Sicherheitsdiensten, anderen Bewohner*innen, dem Asylverfahren oder einer Abschiebung. Besonders negativ bewerteten die Bewohner*innen die medizinische Versorgung und die Einstellung von Bildungs- und Betreuungsangeboten für Kinder und Jugendliche. Deutlich werde trotz der Verschärfung der Lage insgesamt aber auch die hohe Resilienz der Menschen – teilweise wurden auch kleine Verbesserungen attestiert, wie eine stärkere Beteiligung von Geflüchteten an den unterkunftsinternen Prozessen und ein Einbezug in die jeweiligen Schutzkonzepte. Kleist konstatierte insgesamt eine „Verschärfung der Lage in den Einrichtungen selbst – und im ganz Kleinen aber auch Hoffnung, dass sich hier und da etwas verbessert.“
Dr. Stephan Dünnwald, Mitarbeiter des Bayerischen Flüchtlingsrats, zeichnete ein ähnliches Bild von der Situation in Bayern. Als eines der großen Defizite zu Beginn der Pandemie benannte er das eklatante Informationsdefizit der Geflüchteten. Erst auf dringliche Bitten des Flüchtlingsrats habe das bayerische Innenministerium auch speziell für Geflüchtete Informationen in verschiedenen Sprachen bereitgestellt. „Eine zentrale Erfahrung, die wir gemacht haben, ist, dass die Behörden zwar punktuell lernen, aber zum einen sehr langsam und […] in der einen Kommune so und in der anderen so“, berichtete Dünnwald. Er kritisierte die mangelnde Koordination der Gesundheitsämter in Bezug auf die Verhängung und-Ausgestaltung von Quarantäneregelungen für Geflüchtete. Als Standardvorgehen bei einem Infektionsfall beschrieb Dünnwald die massive Einschüchterung der Bewohner*innen durch Security und Polizei. In einigen Fällen sei dabei nicht zwischen Infizierten, Kontaktpersonen und gesunden Menschen unterschieden worden, in einem Fall hätten Bewohner*innen die Einrichtung erst verlassen dürfen, wenn sie die Krankheit durchlaufen hatten. Der bayerische Flüchtlingsrat habe aufgrund dessen Strafanzeige gestellt, die jedoch nicht weiterverfolgt worden sei. „Wir denken, man hätte was machen können. Man hätte mehr machen können und früher. Was man gemacht hat, ist relativ früh zu entscheiden: man wird Flüchtlinge nicht verlegen. Man wird Flüchtlinge in dieser gefährdeten Lage, wo sie sich wenig selber schützen können, lassen“, so Dünnwald über die Situation in Bayern.
Lea Gelardi, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum Flucht und Migration an der Katholischen Hochschule Eichstätt-Ingolstadt (ZFM), beschrieb daraufhin die auch vor der Pandemie schon problematischen Lebensbedingungen in den ursprünglichen „Transitzentren“, die im Jahr 2018 in sogenannte „AnkER-Zentren“ umgewandelt worden waren. Sie benannte Praktiken der Immobilisierung, der räumlichen und sozialen Distanzierung, sowie der Stigmatisierung und Illegalisierung der Bewohner*innen. Diese exkludierenden Praktiken seien durch die Pandemie noch verschärft worden; so seien noch kleinteiligere Kontrollen, ständige Ermahnungen, und eine Überbelastung der Mitarbeiter*innen vor Ort zuständiger Wohlfahrtsverbände zu beobachten gewesen. Für problematisch befand sie auch den erschwerten Zugang für Ehrenamtliche. „Hier ist die Gefahr groß, dass noch weniger Kontrolle von außen stattfinden kann und Stigmatisierung und Diskriminierung sich erhöhen“, so Gelardi. Gelardi plädierte für eine bessere Vernetzung zwischen den Behörden, verkürzte Aufenthalte in solchen zentralisierten Einrichtungen sowie umfassendere und rechtssichere Verfahren.
Dünnwald forderte des Weiteren die Überprüfung der Restriktionen und den Abbau der nicht unbedingt notwendigen Einschränkungen. Zudem schlug er vor, die vielfältigen praktischen Erfahrungen Geflüchteter, welche diese in ihrer Vergangenheit durch Pandemien wie Ebola gesammelt hätten, in die Planung des Umgangs mit der Corona-Pandemie miteinzubeziehen. Auch Kleist betonte die Wichtigkeit der Partizipation Geflüchteter auf allen Ebenen. So sollten sie stärker in Entscheidungen miteingebunden, die wechselseitige Kommunikation ausgebaut, und Geflüchtete so als wesentlicher Teil der Bevölkerung mitgedacht werden.
Fazit
Viele Kernthemen, so die Quintessenz der Reihe, wiederholen sich auf den unterschiedlichen politischen Ebenen: Abermals zeigt die Covid-19-Pandemie auf, wie Gesellschaften in Krisenzeiten mit den verschiedenen Teilen ihrer Bevölkerung umgehen. So wurden im Jahr 2020 vielerorts Verschärfungen bereits vorher bestehender Ungleichheiten deutlich; insbesondere die Immobilisierung, Entmündigung, Einschränkung von Rechten und Vorfälle von Stigmatisierung von Geflüchteten. Auf der anderen Seite betonten alle Gesprächspartner*innen, dass in der Covid-19-Pandemie auch die Resilienz und die Kenntnisse von Geflüchteten zum Ausdruck kamen. Denn immer da, wo Regierungen und Behörden versagen, was den Schutz und die Gesundheitsversorgung Geflüchteter betrifft, liegt es gezwungenermaßen an diesen selbst, ihre Lage im Rahmen ihrer begrenzten Möglichkeiten durch ihre Fähigkeiten, Kenntnisse und Initiativen zu verbessern. Diese Erkenntnisse deuten also einerseits erneut darauf hin, dass es Sammelunterbringungen nach Möglichkeit zu vermeiden gilt; und zwingen uns auch darüber hinaus, genau hinzusehen, was außerhalb des Radars der Mehrheitsgesellschaft(en) passiert. Während es den eklatanten Menschenrechtsverstößen auf allen Ebenen entschieden entgegenzutreten gilt, sollte andererseits auf den zukunftsträchtigen Potenzialen, auf der Resilienz und den Kenntnissen Geflüchteter in (Post-)Pandemie-Situationen aufgebaut werden: Insbesondere Menschen, die viel mitgemacht haben, können sehr stark und resilient sein, unter widrigen Umständen also tendenziell weniger schnell zusammenbrechen. Zugleich gilt es aber auch, vorsichtig zu sein, die existierenden menschenunwürdigen und gesundheitsgefährdenden Umstände nicht durch die vermeintliche Resilienz der – möglicherweise mehrfach traumatisierten – Betroffenen zu rechtfertigen oder herunterzuspielen.
Für die Forschung und aktivistische Einmischung in diesem Bereich lassen sich unterschiedliche Desiderate ableiten: So ist unzureichend erforscht, welche Faktoren zur Resilienz von Migrant*innen und Geflüchteten (in Geflüchtetenunterkünften aber auch anderenorts) beitragen können. Daran anschließend stellt sich die Frage, ob und wie sich die Resilienz spezifischer Personengruppen gezielt fördern lässt. Auch gilt es, Prozesse innerhalb der Mehrheitsgesellschaft anzustoßen. Welche strukturellen Bedingungen tragen zum Zugang zu den Menschen- und Flüchtlingsrechten – dem Zugang zu Schutz, dem Zugang zu Gesundheit, zu Wohnen, zu Ernährung, zu Bildung und zu Arbeit – bei? Welche Rahmenbedingungen gilt es zu verbessern? Was tragen beispielsweise Projekte und Programme zur Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts zur gemeinsamen Ausgestaltung eines diskriminierungs- und stigmatisierungsärmeren Umfeldes bei? Diese und weitere Fragen, welche die Pandemie uns gewissermaßen „mit dem Brennglas“ vor Augen hält, verdienen unser aller Aufmerksamkeit – mehr denn je.
Eine zusammengeschnittene Audioaufzeichnung der Veranstaltung vom 1.12.2020 kann hier online als Podcast abgerufen werden. Der Blogbeitrag ist Teil der Reihe Folgen von COVID-19 für Flucht und Geflüchtete auf dem FluchtforschungsBlog.