Das Gegenteil eines Durchbruchs: Analyse und Kritik der wichtigsten Aspekte des Ratsbeschlusses zur Asylrechtsreform

Die Entscheidung der EU-Mitgliedstaaten, das europäische Asylrecht zu verschärfen, hat für eine kontrovers geführte öffentliche Debatte gesorgt. Zwar muss das Vorhaben, das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) zu reformieren, noch mit dem Europäischen Parlament verhandelt werden; jedoch zeichnet sich ab, dass der Zugang zum menschenrechtlich verbrieften Antrag auf Asyl in der EU deutlich erschwert, das Schutzniveau gesenkt und der Zustand der Prekarität an den europäischen Außengrenzen verstetigt werden soll. Warum diese Ziele internationales Recht torpedieren, europäische Grundprinzipien erodieren und die wesentlichen Probleme der EU-Asylpolitik damit nicht angegangen werden, zeigt dieser Beitrag.

 

Am 8. Juni 2023 einigte sich der Rat für Justiz und Inneres der EU auf eine Reform wesentlicher Teile des europäischen Asylrechts, die als Verhandlungsposition in den Deliberationen mit dem Europäischen Parlament dienen wird. Die EU-Kommissarin für Inneres bezeichnete die Einigung als „historisch“, ebenso wie die deutsche Innenministerin. Konterkariert wurde dieses Lob von teils fundamentaler Kritik von NGOs und Expert*innen. Seitdem ist ein Ringen um die Deutungshoheit im Gange, das quer durch das Parteienspektrum ausgetragen wird und ein erhebliches mediales Echo erzeugt. Erste wissenschaftliche Kommentierungen im Fluchtforschungsblog haben den Beschluss bereits eingeordnet und auf einige Problematiken hingewiesen. Als Forscher*innen des „Arbeitskreises Europa“ des Netzwerks Fluchtforschung möchten wir diese Analysen erweitern und vertiefen, indem wir die aus unserer Sicht bedeutendsten Aspekte und Implikationen des Reformvorhabens ausleuchten.

 

Zur Praxistauglichkeit der Reformvorschläge

Wie ist es um die Umsetzbarkeit der Reform im Rahmen geltender Grund- und Freiheitsrechte bestellt? Obwohl die EU-Innenminister*innen den konstruktiven Charakter des Reformvorschlags betonen, müssen angesichts der Erfahrungen der letzten Jahre wesentliche Eckpunkte als reine Absichtserklärungen mit geringer Aussicht auf erfolgreiche Implementierung gesehen werden. Der Rat für Migration wies in einer ersten Stellungnahme auf Evidenz aus Pilotprojekten an den EU-Außengrenzen hin, die eine Art Blaupause für die jetzige Reform darstellen. Die Evaluierung dieser Projekte zeigt, dass menschenrechtliche Standards in Auffangzentren an der Grenze nicht eingehalten wurden.

Auch ist nicht geklärt, wie und ob (abgelehnte) Asylbewerber*innen in den geplanten Grenzverfahren Rechtsbeistand erhalten – ein zentrales Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, das sich die EU bekanntlich auf die Fahnen schreibt. Zwar wurde Zugang zu unabhängiger Rechtsberatung in die Entscheidung des Rats hineinverhandelt, aber wie das in den – vermutlich bald bis zur Kapazitätsgrenze gefüllten – Außenlagern in Mitgliedstaaten mit wenig entsprechenden Asylstrukturen gelingen soll, bleibt fraglich. Tatsächlich zeigten die Pilotprojekte, dass Anwält*innen und NGOs in der Praxis nicht zugelassen oder sogar kriminalisiert wurden.

Auch die Frage nach der Durchsetzbarkeit der jetzigen Reform gegenüber den beiden nicht zustimmenden Ländern Polen und Ungarn bleibt offen. Wie hoch die Verteilungsquoten pro Land sind, ob es ein Matching-Verfahren sein wird, ob die Interessen und Familienangehörigkeit der Geflüchteten in die Verteilung einbezogen wird – all das wird noch zu klären sein.

Die Interessen derjenigen, die am unmittelbarsten von dieser Reform betroffen sind, nämlich der Schutzsuchenden selbst, müssten schon aus humanitären und menschenrechtlichen Gründen berücksichtigt werden. Ein solcher Ansatz wäre aber auch im Sinne eines aufgeklärten Eigennutzes der EU – denn man wird die Zahl der Überfahrten über das Mittelmeer nur verringern können, wenn man die Motivation jener kennt, die dieses Risiko in Kenntnis aller damit verbundener Gefahren auf sich nehmen. Das betrifft etwa die Miteinbeziehung grundlegender Migrationsdynamiken, die nicht zuletzt von der Verfügbarkeit zentraler Ressourcen wie Finanzen und Transportmöglichkeiten vor Ort (sogenannte „Capabilities“) abhängen; das betrifft Fluchtursachen in Herkunftsländern, von politischer Verfolgung aufgrund Zugehörigkeit zu einer religiösen, ethnischen oder sexuellen Minderheit bis hin zu Adaptationsstrategien an die bereits spürbaren Folgen der Klimakrise, insbesondere in den Ländern südlich der Sahara. Und es betrifft auch die tatsächlichen Aspirationen der Geflüchteten, die vom Wunsch genährt werden, vorrangig in jene Länder zu gehen, wo bereits ihre Familie oder die weitere Community leben, was positive Effekte auf Orientierung, psychosoziale Unterstützung und rasche Integration im Aufnahmeland haben kann („community effect“).

Dass es rasch zu Kapazitätsengpässen und somit überfüllten Aufnahmezentren kommen kann, verdeutlichen wiederum Erfahrungen aus der bisherige EU-Aufnahmepraxis: Das Lager Moria auf der Insel Lesbos war zunächst als befestigte Unterkunft für wenige tausend Menschen ausgelegt. Doch zuletzt, unmittelbar vor dem Brand des Lagers im September 2020, waren mehr als 12.000 Personen dort untergebracht. Rund um das Zentrum breitete sich eine Zeltstadt aus, in der im nasskalten griechischen Winter katastrophale hygienische Zustände herrschten. Solche Überbelegungen und halb formelle Lager rund um Auffangzentren lassen sich kaum verhindern, wenn Fluchtbewegungen aufgrund von (Bürger-)Kriegen, Wirtschaftskrisen oder Naturkatastrophen zunehmen.

 

Hinter all dem aber besteht ein Kernproblem des EU-Asylregimes weiter, das von der Reform unangetastet bleibt: Die mangelnde Rechtsdurchsetzung und das Ausbleiben von Sanktionen gegenüber jenen, die EU-Asylregeln brechen. Bereits jetzt gibt es eine „gemeinsame europäische Asylpolitik“, auf die sich die Mitgliedstaaten geeinigt haben und die klare Standards für die weitgehend menschenrechtskonforme Aufnahme von Schutzsuchenden und faire Verfahren festlegt. Bereits jetzt sind Push-backs, Verweigerung des Rechtsbeistands, dauerhafte Zeltlager ohne Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Anlagen illegal – dennoch geschieht es und wurde in insbesondere in der jüngeren Vergangenheit nicht geahndet, sodass sich zahlreiche Mitgliedstaaten am „race to the bottom“, also an der Nivellierung von Aufnahmestandards für geflüchtete Menschen, beteiligten und somit den Diskurs, aber auch die Realität der Aufnahme weiter nach unten verzerrten. Griechenland befindet sich im offenen Bruch mit der EU-Aufnahmerichtlinie, was Unterbringung und Versorgung von Asylbewerber*innen, aber auch -berechtigte betrifft; in Ungarn ist das Asylrecht de facto ausgesetzt; ebenso in Polen, das im Grenzkonflikt mit Belarus auch mit Gewalt gegen ankommende Schutzsuchende vorgeht und humanitären Organisationen den Zugang zum Grenzgebiet verweigerte. An zahlreichen Außen- wie auch Innengrenzen, zuletzt gar zwischen Deutschland und Österreich, finden systematisch völkerrechtswidrige Zurückweisungen statt, oft unter Einsatz von Gewalt. Die Mitgliedstaaten haben ganz offenbar gelernt, dass ihnen nichts passiert, wenn sie Asylregeln ignorieren.

Bevor also bestehende Regelungen in einer „historischen Einigung“ reformiert werden, wäre deren Durchsetzung, etwa in Form von Vertragsverletzungsverfahren, zielführender. Denn ansonsten droht, dass die bisher mangelnde Durchsetzung der EU-Asylregeln mit in die Reform geschleppt wird.

 

Wer muss ins Grenzverfahren? Eine neue Ungleichbehandlung von Schutzsuchenden

Der Beschluss sieht eine pauschale Trennung zwischen Personen mit Staatsangehörigkeiten vor, aus deren Herkunftsländern nach den neusten Eurostat-Daten im Jahresdurchschnitt mehr oder eben weniger als 20% der Asylanträge im Schnitt der Mitgliedstaaten positiv beschieden wurden. Diese Einteilung ignoriert das individuelle Recht auf Asyl sowie die Tatsache, dass auch in Ländern ohne größere politische Konflikte oder Vertreibungen bestimmte vulnerable Personen einer Verfolgung ausgesetzt sind. Diese EU-weite Trennung in Personen mit mehr oder weniger unterstellter Aussicht auf Schutz würde dazu führen, dass Menschen aus dem Zugang zu einem vollwertigen Verfahren herausfallen und in die verkürzten Grenzverfahren müssen, obwohl ihre persönliche Anerkennungschance aufgrund ihrer Fluchtgründe und in ihrem konkreten Zielland ggf. deutlich höher gelegen hätte. Asylanträge aus einem Herkunftsland werden je nach Alter, Geschlecht oder ethnischer Zugehörigkeit unterschiedlich häufig positiv entschieden (in Deutschland zum Beispiel wegen geschlechtsspezifischer Verfolgung oder der Verfolgung ethnischer Minderheiten). In Kenntnis dessen soll entsprechend dem Beschluss die Prüfung der Anträge nicht beschleunigt werden, wenn der “Antragsteller einer Personengruppe angehört, bei der der Anteil von 20 % oder weniger nicht als repräsentativ für ihren Schutzbedarf angesehen werden kann”. Dieses abstrakt formulierte Kriterium gibt den Mitgliedstaaten Spielraum, garantiert Ausnahmen für besonders schutzbedürftige Personen aber keineswegs.

 

Des Weiteren bedeutet die Verwendung eines EU-weiten Jahresdurchschnitts der Anerkennungsquoten, dass Mitgliedstaaten, die grundsätzlich weniger Anträge positiv bescheiden, den Schnitt für bestimmte Herkunftsstaaten nach unten ziehen und dies in Zukunft strategisch tun könnten, um Geflüchtete aus weiteren Ländern für die Grenzverfahren zu qualifizieren. Es ist problematisch, die Asylanerkennungspraxis der Mitgliedstaaten selbst zu einem Kriterium dafür zu erheben, ob Personen überhaupt noch Zugang zu einem ordentlichen und individuellen Asylverfahren haben. Insgesamt schafft die Differenzierung nach der 20%-Regelung eine deutliche Ungleichbehandlung von Gruppen und ist durch den Rückgriff auf einen EU-weiten Durchschnittswert zudem völlig ungeeignet, um auf kurzfristig entstehende Konflikte und Krisen in den Herkunftsländern zu reagieren.

Ausgenommen von den Grenzverfahren sollen unbegleitete Minderjährige bleiben, während Familien mit Kindern ebenso wie andere in der jetzigen Version des Reformvorschlags in die beschleunigten Verfahren an den Grenzen gehen werden. Trotz vielfacher Traumatisierungen (auch während der Flucht) werden diese Familien mindestens mehrere Monate unter haftähnlichen Bedingungen verbringen müssen. Die kann zu einem verstärkten Anreiz für Familien führen, einzelne unbegleitete Minderjährige vorzuschicken, um deren Risiko, im Rahmen des Grenzverfahrens beschleunigt wieder abgeschoben zu werden, zu reduzieren.

 

Verschärfung der restriktiven Asylpolitik durch die Ausweitung der sicheren Drittstaatenregelung

Die sichere Drittstaatenregelung ist ein wesentlicher Bestandteil der Einschränkungen des Rechts auf Asyl in der EU, da die Mitgliedstaaten Anträge grundsätzlich als unzulässig ablehnen dürfen, wenn eine Person nachweisbar über einen als sicher eingestuften Drittstaat in die EU eingereist ist. Es steht zu befürchten, dass durch die geplante GEAS-Reform diese Regeln intensiviert werden und Personen, die sich kurz- oder mittelfristig in einem solchen Drittstaat aufgehalten haben oder auch als Transit durchreist sind, legal in diese Länder zurückgeschoben werden dürfen. So könnten entsprechend des Beschlusses die Anträge eines Großteils der Schutzsuchenden in den Grenzverfahren behandelt und dort als unzulässig abgelehnt werden. Denn viele sozialwissenschaftliche Studien zeigen, dass Fluchtwege häufig über mehrere Zwischenstationen und Transitländer führen. Immer wieder werden Phasen des Wartens und Aufenthalte nötig, weil Menschen aufgrund von unzureichenden Schutzmöglichkeiten in “Transit”-Staaten oder durch restriktiven Grenzpolitiken von der Weiterreise abgehalten werden. Zudem besteht oft die Notwendigkeit, zwischenzeitlich den Lebensunterhalt zu sichern und Geld für den nächsten Abschnitt der Reise zu verdienen, bevor weiter entschieden wird, wann und wohin die Flucht fortgesetzt wird. Auch sind Familienangehörige oftmals unfreiwillig getrennt, weil sie auf der Flucht auseinandergerissen werden oder nur Ressourcen vorhanden sind, einzelne Mitglieder vorzuschicken.

Zudem können entsprechend des Beschlusses in Zukunft Länder zu sicheren Drittstaaten erklärt werden, wenn sie einen „effektiven Schutz“ (Aufnahme, minimaler Zugang zu Gesundheit, Bildung) bieten können, die Genfer Flüchtlingskonvention mitsamt Zusatzprotokoll jedoch nicht ratifiziert haben und umsetzen. Dies wäre ein erheblicher Rückschritt gegenüber der bisherigen Regelung und ein direkter Angriff auf die Konvention, da ihre Ratifizierung und Einhaltung inklusive ihres Zusatzprotokolls für die EU damit nicht mehr als Mindeststandard für den Flüchtlingsschutz gelten. Diese Aufweichung von Kriterien für die sichere Drittstaatenregelung würde es nach den Vorschlägen der Innenminister*innen unter anderem ermöglichen, die Türkei EU-weit als sicheren Drittstaat anzuerkennen. Bislang hat dies nur Griechenland getan und wurde dafür kritisiert, weil dies gegen EU-Recht verstoße. Die EU-weite Anerkennung könnte eine weitere große Gruppe von Schutzsuchenden pauschal und ohne Berücksichtigung ihrer Herkunft oder Fluchtgründe von einem Asylbegehren in der EU auszuschließen: Insbesondere viele Syrer*innen und Afghan*innen wären betroffen, die über die Türkei und die Balkanroute versuchen, die EU zu erreichen, was in der Folge weitere Personen aktiv auf die deutlich gefährlichere und tödlichere Route über das zentrale Mittelmeer zwingen würde.

 

Der neue Solidaritätsmechanismus

Generell ist festzuhalten, dass Solidarität ein von der Politik überbeanspruchter Begriff ist, was insbesondere auf die EU-Ebene zutrifft. Meist wird darunter jegliche Art von zwischenstaatlicher Unterstützung subsumiert, nicht zuletzt, weil innerhalb der EU unterschiedliche Ansichten darüber zu existieren scheinen, was eigentlich unter europäischer Solidarität zu verstehen ist. Dabei gibt es in der EU ein allgemeingültiges Solidaritätsprinzip, das für die gemeinsame Zielverwirklichung unabdingbar ist.

Im Bereich der europäischen Asylpolitik (ebenso Grenzkontrollen und Einwanderung) wird Solidarität zudem mit gerechter Verantwortlichkeitsteilung zwischen den Mitgliedstaaten verknüpft. Dies steht nicht nur im Artikel 80 des AEUV, sondern hat auch der EuGH bestätigt. Damit müssen alle asylpolitischen Maßnahmen diesem Anspruch genügen. Problematisch ist hier das “Verursacherprinzip” im Dublin-System. Dies besagt, dass die Verantwortung für einen Asylantrag demjenigen Mitgliedstaat zugewiesen wird, der den nicht autorisierten Grenzübertritt in die EU “ermöglicht” hat. Dies führt dazu, dass die Verantwortung unter den Mitgliedsaaten von vornherein ungerecht verteilt wird. Dass dadurch kontinuierlich bestehende Solidaritätsdefizit zeigte sich besonders deutlich im Zuge der Krise 2015/2016.

Wie schon beim damals gescheiterten Plan, temporäre, aber verpflichtende Umsiedlungskontingente aus Italien und Griechenland in alle weiteren Mitgliedstaaten umzusetzen, wurde der Beschluss vom 8. Juni 2023 wieder mit Gegenstimmen gefasst. Dies lässt eine ähnliche Entwicklung wie nach 2015 erwarten, als sich ein Teil der opponierenden Mitgliedstaaten dem Beschluss schlicht verweigerte. Seitdem kann die verpflichtende Umverteilung von Schutzsuchenden in der EU als politisch erledigt gelten, weil die Umsetzung ohne die Zustimmung aller Mitgliedstaaten nicht durchführbar ist. Daher trübt der abermalige Verzicht darauf, bei einer solch kontroversen Abstimmung im Rat Einstimmigkeit zu erzielen, in Anbetracht der Erfahrungen seit 2015 die Erfolgsaussichten des neuen, verpflichtenden Solidaritätsmechanismus. Es ist wahrscheinlich, dass einzelne Mitgliedstaaten die Entscheidung in dieser Form wieder nicht umsetzen werden.

Die polnische Regierung hat nach der Beschlussfassung angekündigt, eine Koalition der Unwilligen zu schmieden, um jegliche als ‚Solidarität‘ gerahmten Unterstützungs- oder Ersatzleistungen zu verhindern. Ungarn und Tschechien haben ebenfalls öffentlich erklärt, sich solchen Bestimmungen zu verweigern. Hier zeigt sich, welch ein fatales Signal die Kommission – aber auch die weiteren Mitgliedstaaten – gesendet haben, als sie die Regierungen Polens, Ungarns und Tschechiens einfach gewähren ließen, als diese sich weigerten, den Umsiedlungsbeschluss von 2015 umzusetzen, selbst nachdem der EuGH diese Praxis verurteilt hatte. Die Kommission hat die intransigenten Mitgliedstaaten sogar noch belohnt, indem sie ihre politischen Präferenzen, wie den Rückbau der Integrationserfolge in der Asylkooperation bei gleichzeitigem Ziel der Verhinderung von jeglicher ungewollter Schutzsuche in ihre Reformvorschläge für das GEAS miteinbezog und sie damit endgültig zum asylpolitischen Mainstream in der EU machte. Damit wurde ein Präzedenzfall geschaffen, der Umsetzungsverweigerer darin bestätigt hat, die Herrschaft des Rechts auch in der Asylpolitik nicht mehr anerkennen zu müssen. Anstatt eine rote Linie zu ziehen, hat sich die Kommission für eine Art Appeasement entschieden, die das Solidaritätsprinzip eindeutig verletzt, indem es Rechtsbrüche toleriert und eine gerechte Verteilung der Verantwortung unter den Mitgliedstaaten nicht ausreichend verfolgt. Dass dabei der Bestand der europäischen Integration entkernt wird, sollte die Kommission als „Hüterin der Verträge“ nicht unterschätzen.

Der nun vom Rat beschlossene ‚Solidaritätsmechanismus‘ sieht vor, dass Mitgliedstaaten, die keine bis wenige Schutzsuchende aufnehmen, sich zum Ausgleich finanziell mit 20.000 Euro pro schutzsuchender Person beteiligen müssen. Abgesehen von der Perfidität, Schutzsuchenden eine Art “umgekehrtes Preisschild” zu verpassen, scheint die Summe zudem noch weitgehend aus der Luft gegriffen. Dass dies Mitgliedstaaten nicht zufriedenstellen kann, die verpflichtende EU-Regelungen zur Asylpolitik generell abzulehnen scheinen, kann nicht überraschen. Es wäre verwunderlich, wenn dieser Mechanismus – abgesehen von seiner zu erwartenden bürokratischen Komplexität – greifen würde. Selbst wenn in den im Herbst stattfinden Parlamentswahlen in Polen eine liberale Regierung an die Macht käme.

Der neue Solidaritätsmechanismus wird das Solidaritätsdefizit in der europäischen Asylpolitik nicht bereinigt können, da der Kardinalfehler – das “Verursacherprinzip” – bei dieser Reform nicht zur Debatte steht, auch wenn die Dublin-Verordnung ersetzt werden soll. Solange sich nicht darauf verständigt wird, wie eine gerechte Teilung der Verantwortung zwischen den Mitgliedstaaten aussieht, der dann auch alle Unionsmitglieder folgen, und deren Nichtbefolgung echte Konsequenzen nach sich zögen, wird das GEAS dysfunktional bleiben. Das europäische Asylsystem muss zum Wohle aller Beteiligten funktionieren und dafür EU-weit möglichst gleiche Bedingungen aufweisen, um das Solidaritätsprinzip einhalten zu können. Davon ist der Status quo weit entfernt. Der Beschluss des Rates zeugt nicht davon, dass die Mitgliedstaaten daran grundsätzlich etwas ändern wollen.

Auch dieses Reformvorhaben zeugt von Kontinuität – man könnte auch sagen, Pfad-Abhängigkeit – in der europäischen Asylpolitik, da deren Grundprobleme und Paradoxien nicht angegangen werden. Stattdessen konzentriert sich die EU weiterhin auf die Zugangsbeschränkung mit all den damit einhergehenden negativen Implikationen für Schutzsuchenden und ihre Rechte.

 

Fazit: Kein Durchbruch

Der Ratsbeschluss bestätigt den Weg einer restriktiven Flüchtlings- und Asylpolitik, dessen primäres Ziel es ist, den Zugang von Schutzsuchenden über Externalisierung, die Diffusion von Zuständigkeit und offene Rechtsbrüche an den Grenzen der EU einzuschränken, zum Beispiel durch Pushbacks und überfüllte Auffanglager. Der Zugang zu Verfahren mit individueller Asylprüfung würde durch die Reform weiter verstellt. An den Fluchtbewegungen in Richtung EU, die nur einen kleinen Teil der gesamten weltweiten Fluchtbewegungen ausmachen, wird eine solche Reform nichts ändern, bleiben doch die dahinterliegenden Fluchtursachen davon unberührt. Solange es kaum legale Fluchtwege in die Europäische Union gibt, werden sich Menschen auch weiterhin auf den risikoreichen Weg nach Europa begeben, wie wir es täglich an den EU-Außengrenzen und nun zuletzt bei einem Schiffbruch vor der Küste Griechenlands mit vermutlich hunderten Toten sehen, die nicht gerettet wurden, obwohl die Küstenwache seit Stunden über die Situation des seeuntauglichen Bootes informiert war. Asylrechtsverschärfungen und fortschreitende Fortifikation der Außengrenzen machen diesen Weg noch gefährlicher und sogar teurer, weil sie den Preis der Schlepper*innen erhöhen, erodieren internationales Recht und europäische Werte und lösen keines der seit langem bestehenden systemischen Probleme.

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