Der bemühte Konservatismus des Globalen Flüchtlingspakts: Eine Kritik

Der am 17. Dezember 2018 angenommene Globale Flüchtlingspakt wird weitgehend begrüßt. Was ein diplomatischer Erfolg sein mag ist flüchtlingspolitisch jedoch weder innovativ, noch realistisch und ist auch keine Errungenschaft für den Flüchtlingsschutz. Das Dokument fixiert im Bestreben, einen globalen Rahmen für flüchtlingspolitische Kooperationen zu etablieren, politische Instrumente, deren Unzulänglichkeiten weitgehend bekannt sind. UNHCR ist jedoch trotz des Minimalergebnisses des Pakts zu applaudieren. In Antizipation der politisch schwierigen Bedingungen wurden die Errungenschaften des internationalen Flüchtlingsrechts weitgehend bewahrt – indem sie aus den Verhandlungen über den Flüchtlingspakt ausgeklammert wurden.

 

Die Bedeutung der Migrations- und Flüchtlingspakte

Die verschwörungstheoretisch unterlegte Stimmungsmache gegen den globalen Migrationspakt hat auch dem parallel verhandelten Flüchtlingspakt mehr Aufmerksamkeit verschafft. Dabei scheint eine differenzierte öffentliche Debatte über die Vor- und Nachteile der beiden Abkommen allerdings recht kurz gekommen zu sein. Die Ablehnung des Migrationspakts durch reaktionäre Protagonist*innen der politischen Debatte führte zu reflexhafter Verteidigung durch Linke und Liberale. Dabei wurde weitgehend ignoriert, dass die finalen Dokumente wesentliche migrationspolitische Positionen europäischer Staaten und zumal solche rechter Regierungen beinhalten – die den Wortlaut teils mit aushandelten ehe sie ihn ablehnten. So sind die von rechten Kritikern geäußerten Sorgen um einen Verlust von Souveränität nicht nur absurd, sondern Resultat einer gefährlichen schmittschen Konzeption von konflikt-orientierter Souveränität. Die Errungenschaft der Pakte liegt jedoch gerade im Bestreben, durch Kooperationen souveräner Staaten in der Migrations- und Flüchtlingspolitik Konflikte zu vermeiden. Nur mit dem alleinigen Verweis darauf, dass mit den Pakten soft-law, also Normen der zwischenstaatlichen Kooperation, gesetzt werden, gehen zu leicht Hoffnungen auf (oder auch Befürchtungen über) eine menschenrechtliche Politik und Praxis einher. Hingegen geraten die Machtverhältnisse zwischen den paktschließenden Staaten aus dem Auge, die bestimmen, wo, wann und wie formulierte Normen des Pakts in zukünftigen internationalen Kooperationen zum Tragen kommen. Diese Machtverhältnisse liegen aus der Perspektive des politisch und wirtschaftlich dominanten Europas allzu oft im toten Winkel der Debatte. Angesichts der relativen Unverbindlichkeit der Abkommen werden Machtbeziehungen auch in Zukunft wesentliches Mittel der Durchsetzung migrations- und flüchtlingspolitischer Interessen sein. Dies ist gerade für den Flüchtlingspakt nicht unerheblich, der weniger auf Rechte als auf verstärkte Kooperationen und internationale Beziehungen im Bereich des Flüchtlingsschutzes zielt. Es gilt hier also zu verstehen, warum das so ist und welche Probleme dies für die Rechte und den Schutz von Flüchtlingen mit sich bringt – und warum UNHCR trotzdem strategisch klug verhandelt hat.

 

Ein Flüchtlingspakt für die Zukunft?

Fragte man Praktiker*innen und Wissenschafter*innen nach den großen Herausforderungen des Flüchtlingsschutzes der Zukunft, so würde ein Thema dabei sicherlich nicht fehlen: klimabedingte Flucht. Umweltveränderungen können nicht nur zu mehr Konflikten und Vertreibungen führen, sondern auch ganz neue Umstände von Zwangsmigration hervorrufen. Indem große Landstriche unbewohnbar werden, müssen Menschen ohne individuelle Verfolgung oder Rückkehrmöglichkeit migrieren und staatliche Verantwortung wird angesichts globaler Ursachen relativiert. So hat die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) in solchen Fällen kaum Relevanz, da klima- und umweltbedingte Vertreibung nicht von deren Flüchtlingsdefinition gedeckt wird.

Schon länger wird die beschränkte Reichweite des Flüchtlingsrechts beklagt, das die meisten Vertriebenen weltweit aus verschiedenen Gründen nicht erfasst. So sind von den aktuell knapp 70 Millionen Vertriebenen weltweit knapp zwei Drittel Binnenvertriebene, die keine staatlichen Grenzen überschritten haben und deshalb vom Flüchtlingsrecht nicht profitieren können. Daher wird diskutiert, wie die Flüchtlingskonvention ausgedehnt werden könnte, um einen größeren Kreis an Schutzbedürftigen zu erreichen (Betts 2013, Martin et al. 2014, Shaknove 1985). Alternativ werden zusätzliche Instrumente angestrebt, die den spezifischen Schutzbedürfnissen Vertriebener gerecht werden können, die nicht in eine rechtliche Flüchtlingsdefinition passen (Nansen Initiative, Displacement Solutions, Orchard 2018). Das Bemerkenswerte ist: diese große und zentrale Frage des Flüchtlingsschutzes – nämlich wem dieser eigentlich zusteht, wie „Flüchtlinge“ also zu definieren sind – wird im Flüchtlingspakt nicht neu verhandelt. Cathryn Costello kritisiert in ihrer Interpretation der Migrations- und Flüchtlingspakte, dass sogar von einem Rückschritt gesprochen werden könne. In den Abkommen werde das über Jahrzehnte ausgeweitete Mandat von UNHCR ignoriert, das auch Binnenvertriebene, Staatenlose und klimabedingte Vertreibung umfasst und Flucht aufgrund von Konflikten, Gender, sexueller Orientierung sowie (Umwelt-)Katastrophen als flüchtlingsrechtrelevant anerkennt.

Es geht im Flüchtlingspakt um Flüchtlinge im engen Sinn und dabei wird einfach auf bestehendes internationales Recht und regionale Abkommen verwiesen (§5). Zwar werden Binnenvertreibung dreimal (§12, §89) und Klima einmal (§8) im Dokument erwähnt, aber als Phänomene, die nur in Verbindung mit GFK-Flüchtlingen relevant scheinen. Die starke Betonung des Pakts von freiwilliger Rückkehr ins Herkunftsland als in den meisten Fällen präferierte dauerhafte Lösung stellt diese drängenden Herausforderungen – bei denen eine solche Rückkehr teils gar nicht möglich ist — auch in einer möglichen Implementierung in den Hintergrund. Eine Aktualisierung der 68jährigen GFK, eine Dehnung oder Ergänzung, die aktuell relevante Phänomene berücksichtigt, wird trotz der oft herausgestellten Mängel der Konvention vermieden. So wurden einige der grundlegenden Herausforderungen des zukünftigen Schutzes von Flüchtlingen jenseits der engen GFK-Definition ausgeklammert. Dies scheint jedoch, wie ich argumentieren möchte, weniger ein Versäumnis als vielmehr Strategie des UNHCR gewesen zu sein.

 

UNHCRs Scheuklappen-Strategie

Die zwei Pakte wurden in den letzten zwei Jahren durch die Mitgliedsstaaten der Generalversammlung der Vereinten Nationen getrennt verhandelt. Die klare Trennung in Migranten und Flüchtlinge, die doch zumindest umstritten ist, spiegelt nicht nur eine rechtliche Unterscheidung zwischen Flüchtlingen und anderen Migrant*innen wieder, sondern auch institutionelle Zuständigkeiten innerhalb der Vereinten Nationen (VN). Die Internationale Organisation für Migration (IOM), überhaupt erst seit kurzem mit den VN assoziiert, übernahm die Federführung bei den Verhandlungen des Migrationspaktes. UNHCR trug die Verantwortung für den Flüchtlingspakt. Beide Organisationen sind bei ihrer Arbeit auf die Finanzierung durch Staaten des Globalen Nordens angewiesen und stützen sich zugleich auf normative Prinzipien. Im Fall von IOM sind dies die allgemeinen Menschenrechte (zumindest seit der Assoziation mit den VN) und im Fall von UNHCR ist es sein Schutzmandat und die Genfer Flüchtlingskonvention. Während die Menschenrechte im Migrationspakt aber zumindest eine formell zentrale Rolle spielen, wird sich im Flüchtlingspakt nur indirekt auf die spezifischen Flüchtlingsrechte der Genfer Flüchtlingskonvention bezogen. Anders als die Konvention, die Internationales Recht ist, das von Unterzeichnerstaaten in nationales Recht implementiert werden muss, ist der Pakt nur eine Selbstverpflichtung von Staaten, der aber selbst keine Flüchtlingsrechte formuliert.

Die Genfer Flüchtlingskonvention entstand als Reaktion auf die „Flüchtlingskrise“ in Europa nach dem 2. Weltkrieg vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus und des beginnenden Kalten Krieges. Sie spricht Flüchtlingen neben Grundrechten auch soziale und politisch-demokratische Rechte zu. Auch der globale Flüchtlingspakt kam im Zuge einer (europäischen) „Flüchtlingskrise“ zustande, jedoch in gänzlich anderem Kontext. Die Verhandlungen um den Pakt begannen 2016 bei noch weitgehend positiven Einstellung in vielen Staaten, einschließlich Europas und Nordamerikas, gegenüber zumindest manchen Flüchtlingen. So kam es auch zur Annahme der vielversprechenden New Yorker Erklärung im September 2016, die die Grundlage für die Verhandlungen legte. Dennoch war UNHCR recht zurückhaltend in dem Zero-Draft, dem ersten Entwurf des Flüchtlingspakts, den die Organisation im Januar 2018 für die Verhandlungen vorlegte. Das Flüchtlingshilfswerk wurde für die mangelnde Innovation und das Aufwärmen alter Instrumente kritisiert. UNHCR vermied es, die Flüchtlingsdefinition und Flüchtlingsrechte überhaupt zur Diskussion zu stellen – weder mit dem Ziel ihrer Ausdehnung noch mit dem Vorschlag ihrer Ergänzung. Volker Türk, der die Verhandlungen für UNHCR leitete, begründete dies so: „For us, it was a conscious decision not to put up for discussion what is already international law and policy, which is why you see a fairly cautious approach on that.“

Das Aufschnüren der Genfer Flüchtlingskonvention würde unter gegenwärtigen Interessenskonstellationen vermutlich zum Verlust wichtiger Errungenschaften führen. Mit Blick auf die Debatte um den Migrationspakt und die inzwischen flüchtlingsfeindliche Stimmung in vielen Ländern scheint dies retrospektiv eine weitsichtige Entscheidung von UNHCR gewesen zu sein.

„Historisch“, wie nun von UNHCR behauptet, ist der Pakt jedenfalls nicht. Die frühen Kritiker des Flüchtlingspakts haben mit ihrer Skepsis Recht behalten. Das Dokument enthält in Anerkennung staatlicher Interessensgegensätze bereits angewandte aber auch teils gescheiterte Instrumente des Flüchtlingsschutzes, die lediglich konserviert werden. Der Versuch, Flüchtlingsschutz zu stärken, bleibt nicht nur hinter den etablierten Rechten von Flüchtlingen zurück, sondern gefährdet sogar Errungenschaften der GFK. Dies soll an zwei Beispielen kurz gezeigt werden.

 

Verantwortungsteilung: An einem Strang ziehen

Der Pakt formuliert zentrale Ziele (§7), die an Herkunftsstaaten (Rückkehr), Erstzufluchtsstaaten (Integration) und alle anderen Staaten (Resettlement) gerichtet sind. Sie sollen mit je spezifischen Aufgaben zur dauerhaften Lösung von Fluchtsituationen beitragen. Diese Instrumente des Flüchtlingsschutzes sind keineswegs neu, sondern bereits in die Statuten von UNHCR eingeschrieben. Wenn jedoch im Prinzip alle Staaten angesprochen sind, dann fühlt sich mithin niemand verantwortlich. Die Frage der Zuständigkeit kann ethisch ganz unterschiedlich festgestellt werden: durch Nähe Ressourcen oder kulturelle/historische Bezüge. Realistisch wird Verantwortungsteilung jedoch vor allem durch Macht- und Interessensverhältnisse bestimmt. Im Kalten Krieg waren diese politisch so gelagert, dass Flüchtlinge aus kommunistischen Staaten bereitwillig in westlichen Staaten aufgenommen wurden: Erstmals wurden Ungarn 1956 aus Jugoslawien und Österreich in anderen Staaten neu angesiedelt; im bisher größten Resettlementprogramm wurden zwischen 1982 und 1997 über zwei Millionen Südost-Asiaten von rund 50 Staaten aufgenommen. Doch mit dem Ende des Kalten Krieges schwand schnell das Interesse im Globalen Norden, sich an Verantwortungsteilung zu beteiligen. Die Präferenz wurde die „freiwillige“ Rückkehr der Geflüchteten – so wurden die 1990er Jahre mit zweifelhaftem Erfolg zur „Dekade der Repatriierung“ erklärt – was im Flüchtlingspakt heute erstaunlicher Weise noch immer als bevorzugte Lösung genannt wird (§ 87). Erstaunlich deshalb, da anhaltende Konflikte dazu führen, dass Flüchtlinge zumeist unter äußerst prekären Bedingungen in den Zufluchtsländern der Herkunftsregion verbleiben (Protracted Refugee Situations). Dies führte nicht zuletzt zu einer humanitären Flüchtlingskrise in diversen Staaten des Globalen Südens, die eine Reform des globalen Flüchtlingsregimes notwendig machte und ein Anlass für den Flüchtlingspakt wurde.

Gegen diese Ungerechtigkeit, unter der insbesondere Flüchtlinge litten, versuchte UNHCR bereits in den frühen 2000ern durch ein globales und allgemeines Abkommen eine faire Verantwortungsteilung durchzusetzen. In der Convention Plus Initiative sollten Aufnahme- und Geberstaaten an einem Strang ziehen. Bei Beibehaltung des Ziels freiwilliger Rückkehr sollte eine lokale Integration in Zufluchtsländern in den Herkunftsregionen dadurch begünstigt werden, dass Staaten des Globalen Nordens einen Teil der Flüchtlinge durch Resettlement aufnehmen würden.

Wer den aktuellen Flüchtlingspakt gelesen hat, dem mag das Modell bekannt vorkommen. Schon für den damaligen Versuch stellten Alexander Betts und Jean-François Durieux fest, dass wenig Erfolg zu verzeichnen gewesen sei. Anstatt große multilaterale Abkommen zu schmieden, täte UNHCR laut Betts und Durieux besser daran, lokale best-practice Projekte des Flüchtlingsschutzes erfolgreich zu entwickeln, zu implementieren und damit flüchtlingspolitische Normen zu setzen.

An dieser Einschätzung, dass große internationale Abkommen wenig zu einer Verantwortungsteilung im Flüchtlingsschutz beitragen, dürfte sich auch heute wenig geändert haben. Während das Modell einer globalen Verantwortungsteilung schon damals wenig Anklang fand, entzieht sich der globale Norden inzwischen durch Abschottung um so mehr seiner Verantwortung und resettelt die geringste Anzahl an Flüchtlingen seit zehn Jahren. Selbst innerhalb Europas sehen wir, wie schwierig ein System der Verantwortungsteilung ist. Denn wenn alle am gleichen Strang ziehen, sich also eine gerechte Flüchtlingspolitik wünschen, so bedeutet das eben nicht, dass sie in die gleiche Richtung wollen. Im schlimmsten Fall wird daraus noch ein Strick für die Betroffenen. Dem grundsätzlichen Interessens- und Machtkonflikt im Feld globaler Flüchtlingspolitik können Absichtserklärungen wenig entgegensetzen. Seit 25 Jahren wird erfolglos versucht, ohne äußeren Druck zur Kooperation, der global durch die übergeordneten Interessens- und Machtkonflikte des Kalten Krieges bestand, dauerhafte Regeln der Verantwortungsteilung in der internationalen Flüchtlingspolitik zu finden. Dass der Flüchtlingspakt angesichts der Dominanz des Globalen Nordens diesem Trend etwas entgegensetzen kann, wäre zwar wünschenswert, ist aber nicht erkennbar. Die dem Pakt zugrundeliegende formelle Gleichheit der beteiligten Staaten, lässt deren Machtunterschiede eben unberücksichtigt. Er wird so nicht dazu führen, dass europäische und andere Staaten des globalen Nordens mehr Verantwortung übernehmen, wenn dies nicht zugleich in ihrem Interesse der Flucht- und Migrationsvermeidung ist.

 

Eigenständigkeit: Ein Schritt vorwärts, zwei zurück

So sehr man in Europa meinte, eine Flüchtlingskrise zu erleben – im Globalen Süden besteht die eigentliche (globale) Flüchtlingskrise. Zwei Drittel aller Flüchtlinge weltweit sind länger als fünf Jahre und ohne Aussicht auf eine Lösung im Exil – in der Regel in äußerst prekären Umständen.

Hier kommt das vierte zentrale Ziel des Flüchtlingspaktes ins Spiel: die Stärkung der Eigenständigkeit (self-reliance) von Flüchtlingen (§7). In der Wissenschaft und Praxis wird in der Regel der recht unbestimmte und teils umstrittene Begriff „resilience“ benutzt, um auf eine individuelle Fähigkeit von Flüchtlingen zu verweisen, Krisen bewältigen zu können. „Resilienz“ wird im Pakt hingegen, um dies nicht zu verwechseln, nur soziologisch für Aufnahmegesellschaften und Flüchtlingsgruppen oder -communities genutzt, die sich sozial, ökonomisch und kulturell re-konstituieren sollen (§§64, 67, 84).

Man mag es begrüßen, dass Flüchtlinge im Pakt so weniger individualisiert und pathologisiert werden. Eigenständigkeit zu erreichen, hängt eben wesentlich von den richtigen Rahmenbedingungen ab. Diese Bedingungen zu schaffen, ist ein Ziel des Paktes. So soll durch das Stärken von Grundrechten und sozialen Rechten erreicht werden, dass Flüchtlinge nicht mehr von humanitären Leistungen abhängig sind, sondern ein eigenständiges Leben führen können. Dieses Ziel verfolgt UNHCR in seinen humanitären Programmen im Prinzip schon seit vielen Jahrzehnten. Mit dem Jordan Compact wurde in den letzten Jahren allerdings ein groß angelegtes Pilotprojekt hierzu aufgelegt. Syrische Flüchtlinge in Jordanien können sich auf eine begrenzte Anzahl an Arbeitserlaubnissen bewerben und Firmen erhalten Anreize der EU wie Importerlaubnisse und Zoll-Erleichterungen, wenn sie Flüchtlinge einstellten. Doch der Compact ist bislang wenig erfolgreich. Letztlich wurden die Bedürfnisse der Flüchtlinge selbst nicht ausreichend berücksichtigt. Indem Annahmen über Bedürfnisse und mithin staatliche und NGO-Interessen Flüchtlingspolitik leiten, replizierte der Ansatz das alte Problem des klassischen top-down Humanitarismus.

Der Flüchtlingspakt schreibt Programme fest, die das globale Flüchtlingsregime schon seit ein paar Jahren mit gemischten Resultaten praktiziert. Vielmehr fällt er gar hinter erreichte Ziele zurück. Während das implizite Ziel des Jordan Compacts eine sukzessive lokale Integration ist, wird im Flüchtlingspakt betont, dass solche Maßnahmen auch temporär sein könnten: „In addition to local integration — where refugees find a durable solution to their plight — some host countries may elect to provide other local solutions to refugees. Such solutions entail interim legal status…“ (§ 100). Dies bedeutet aber, dass mit unsicheren Maßnahmen das Streben nach dauerhaften Lösungen wieder umgangen wird, wie dies bislang durch Flüchtlingslager und humanitäre Hilfe praktiziert wurde. Die Konsequenz davon ist: So werden langwierige Fluchtsituationen aufrechterhalten, Europa muss an seine Grenzen keine Weiterwanderung befürchten, Arbeitgeber bekommen Unterstützung und potentiell günstige Arbeitskräfte – und Flüchtlinge bleiben langfristig in prekären Lagen.

Das Ziel der Eigenständigkeit von Flüchtlingen mag gegenüber der Reduzierung aufs Überleben im Humanitarismus ein Fortschritt sein. Doch gerade im Vergleich mit der UNHCR-Satzung und der Genfer Flüchtlingskonvention ist das Ergebnis des Flüchtlingspakts bescheiden.

Der Pakt zählt diverse Bedürfnisse auf, die durch Staaten zu erfüllen seien (§§ 64–84): Bildung, Arbeit, Gesundheit, Wohnung etc. Doch das eigentliche demokratische Ideal und die tatsächliche Errungenschaft der Genfer Flüchtlingskonvention scheint völlig vergessen worden zu sein: das (Wieder-)Herstellen politischer Rechte von Flüchtlingen, ihr Recht Rechte zu haben. Sofern es im Pakt um eine lokale Integration geht, wird eben nicht über die ursprüngliche Idee politischen Asyls gesprochen. Ob dem post-koloniale Doppelstandards zugrundliegen oder einfach der Umstand, dass es in den wichtigsten Aufnahmestaaten allgemein wenig demokratisch-politische Rechte gibt, hängt von der Sichtweise ab. Doch das ultimative Ziel, Flüchtlingen eine neue Staatsbürgerschaft zu ermöglichen (GFK §34), wird durch das Festhalten an temporärem Schutz und einer finalen Rückkehr – sei es auch nach Jahrzehnten – gänzlich ignoriert. Auch wenn Arbeitsrechte besser sein mögen als keine, sehen wir im Pakt einen Rückschritt hinter das Mandat von UNHCR und die Genfer Flüchtlingskonvention, und eine Aufgabe des impliziten Ideals der Demokratie.

 

Der Flüchtlingspakt als Abwehrkampf und Ausgangspunkt

UNHCR ist in einer äußerst schwierigen Situation: Mit dem partiellen (doch hoffentlich vorübergehenden) Rückzug der USA aus dem globalen Flüchtlingsschutz ist die Flüchtlingsagentur zunehmend auf die finanzielle Unterstützung und das politische Gewicht der EU angewiesen, die aber ihre (externen) Grenzmaßnahmen gegen Flüchtlinge ausbaut. In dieser strukturellen aber auch zunehmenden Abhängigkeit durch wenige Geberstaaten war die Verhandlung eines globalen Flüchtlingspaktes ein schwieriges Unterfangen. Bei aller Kritik am finalen Dokument kann das Ergebnis insofern begrüßt werden, wenn man bedenkt, welche negativen Auswirkungen auf Flüchtlingsrechte hätten hieraus folgen können. UNHCR sollte daher nicht für den Erfolg des Paktes, sondern für dessen Belanglosigkeit gedankt werden. Der Verdienst des Festschreibens geringer Normen liegt im prinzipiellen Bewahren der zentralen internationalen Rechte von Flüchtlingen – indem sie im Pakt eben nicht thematisiert werden.

Das Ziel war, Rahmenbedingungen für eine Zusammenarbeit von Staaten zu formulieren. Der diplomatische Sieg des Paktes, einen solch weitgehenden Konsens zwischen allen beteiligten Staaten gefunden zu haben, bedeutet in der flüchtlingspolitischen Praxis ein Festschreiben minimaler Standards. Inwiefern bei UNHCR Illusionen bestehen, dass aus den Ergebnissen substantielle Verbesserungen im Flüchtlingsschutz entstehen, die ohne den Pakt nicht möglich gewesen wären, kann ich nicht sagen. In jedem Fall ist das Resultat der Verhandlungen ein strategischer Sieg für UNHCR, da angesichts einer international weit verbreiteten Feindseligkeit gegenüber Flüchtlingen, zunehmend restriktiver Migrationspolitik und vieler Rechtsaußen-Regierungen die grundsätzlichen Errungenschaften des Flüchtlingsregimes und -rechts erhalten wurden. Insofern liegt die Chance für den Flüchtlingsschutz weniger im globalen Pakt, sondern darin, die kommenden Herausforderungen in gezielten Kooperationen unter Bezug auf die GFK mit lokal spezifischen Projekten angehen zu können – im Rahmen oder auch jenseits des Flüchtlingspakts.

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