„Die anderen machen es doch auch.“

Die deutsche Regelung zu sicheren Herkunftsstaaten im europäischen Vergleich

Die Entscheidung der deutschen Bundesregierung Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären, war höchst umstritten. Dieser Beitrag betrachtet den Beschluss im europäischen Vergleich. Dabei wird deutlich, dass die seitens der Bundesregierung vorgebrachte angebliche europäische Einigkeit in dieser Frage sich bei näherem Hinsehen als trügerisch herausstellt.

 

Seit September 2014 werden Anträge von Asylbewerbern aus Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien offiziell in einem beschleunigten Verfahren behandelt. Grundlage der Gesetzesänderung ist §29a des Asylverfahrensgesetzes. Dieser erlaubt, dass Anträge von Asylbewerbern aus bestimmten Herkunftsstaaten als “offensichtlich unbegründet” abgelehnt werden können. Mit der Einstufung geht der Gesetzgeber davon aus, dass Asylbewerber aus diesen Staaten grundsätzlich keinen Anspruch auf Schutz in Deutschland haben. Dieser Beitrag diskutiert die deutsche Entscheidung im europäischen Vergleich. Tatsächlich befindet sich Deutschland mit der Erweiterung seiner Liste sicherer Herkunftsstaaten nur in der Gesellschaft einiger weniger anderer EU-Mitglieder. Gesamteuropäisch gibt es nach wie vor keinen Konsens in der Frage, welche Herkunftsstaaten als sicher deklariert werden können.

Sichere Herkunftsstaaten

Die Grundidee der ‚sicheren Herkunftsstaaten‘ ist folgende: die Menschenrechtssituation in einigen Herkunftsländern ist so sicher, dass Menschen, die von dort kommen und (z.B. in Deutschland) Asyl beantragen wollen, grundsätzlich keinen Anspruch auf Schutz haben. Ihr Asylantrag wird in einem beschleunigten Verfahren bearbeitet und ist mit eingeschränkten Rechtsgarantien verbunden. Auch die Beweislast ist umgekehrt: es ist Aufgabe der Antragsteller zu zeigen, dass die Situation in ihren (vermutlich sicheren) Herkunftsländern für sie nicht sicher genug ist, um dahin zurückzukehren – und sie somit Anspruch auf einen Schutzstatus haben.

Die Politik der sicheren Herkunftsstaaten ist aber höchst umstritten. Viele Kritiker bezweifeln, dass sie im Einklang mit dem internationalen Flüchtlingsrecht – und insbesondere mit dem Refoulement-Verbot – steht (siehe z.B. Pro Asyl, Deutsches Institut für Menschenrechte). Umstritten ist außerdem die Frage, ob  solche restriktiven Maβnahmen tatsächlich dazu führen, dass Asylbewerber ‚abgeschreckt‘ werden. Auch die anvisierte Beschleunigung der Asylverfahren kann bezweifelt werden, da es mittlerweile eine ganze Reihe von Gerichtsverfahren gibt (z.B. in Frankreich, Luxemburg aber auch in Deutschland), die sich mit der Einstufung von Herkunftsländern als sicher beschäftigen – und somit die Entscheidungsverfahren hinauszögern.

Hintergrund der deutschen Regelung

Die Idee der sicheren Herkunftsstaaten existiert seit den frühen 90er Jahren und wird seitdem in einigen europäischen Ländern angewendet. In Deutschland wurde sie als Teil des Asylkompromisses 1992/1993 eingeführt. Klares Ziel war damals schon die Abschreckung (und erleichterte Möglichkeit der schnellen Abschiebung) von Asylbewerbern aus bestimmten Ländern, insbesondere Rumänien und Bulgarien. Damals umfasste die Liste noch weitere Länder, schrumpfte aber bis Mitte 2014 auf Ghana und Senegal.

Bereits im Koalitionsvertrag vom November 2013 einigte sich die große Koalition darauf, die drei Westbalkanstaaten Bosnien-Herzegovina, Serbien und Mazedonien als sicher zu erklären. In diesem Zusammenhang sprach die künftige Regierung von “aussichtslosen Asylanträge[n]”, die man “schneller bearbeiten [wolle, um den Aufenthalt dieser Menschen] in Deutschland schneller beenden zu können.”

Dabei bezieht sich die deutsche Regelung auf die hohe Zahl der Asylbewerber aus diesen drei Staaten. Die Bundesregierung argumentiert, dass die Asylanträge zumeist aus nicht asylrelevanten Gründen gestellt würden, da die Menschen lediglich ‚Armutsflüchtlinge‘ seien. Die Bearbeitung ihrer Anträge sei also mit erheblichen Kosten für Bund, Länder und Kommunen verbunden, und gehe – aufgrund der beschränkten Kapazitäten im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – zulasten der tatsächlich schutzbedürftigen Asylsuchenden.

Keine europäische Einigung

Auf europäischer Ebene gab es mehrere Versuche, bezüglich der sicheren Herkunftsstaaten zu einer gemeinsamen Linie zu gelangen. Als Teil der Londoner Beschlüsse bestimmten die EU-Innenminister im Jahr 1992 folgendes: grundsätzlich gebe es Länder, in denen die Menschenrechtssituation so sicher sei, dass die Anträge entsprechender Bewerber als offensichtlich unbegründet abgelehnt werden könnten. Bereits damals gab es Versuche, sich auch auf eine EU-weite Liste sicherer Herkunftsländer zu einigen – allerdings ohne Erfolg.

Mit dem Abschluss der Asylverfahrensrichtlinie 2005 wurde eine gemeinsame europäische Rechtsgrundlage geschaffen. Unter anderem wurden Kriterien festgelegt, nach denen ein Land als sicher zu erklären sei. In den Verhandlungen gab es erneut mehrere Vorlagen für eine gemeinsame Liste sicherer Herkunftsstaaten. Letztlich scheiterten diese Verhandlungen und eine gemeinsame Liste wurde nicht verabschiedet. Dies lag einerseits daran, dass die Vorstellungen welche Herkunftsländer als sicher deklariert werden könnten, zu unterschiedlich waren. Zusätzlich stellte aber der Europäische Gerichtshof im Jahre 2008 fest, dass die Verabschiedung einer solchen gemeinsamen Liste auch die Zustimmung des Europäischen Parlaments benötige (Rechtssache C-133/06).  Die neuverhandelte Richtlinie von 2013 enthält nur minimale Korrekturen zu den sicheren Herkunftsländern. Daher gibt es zwar einige gesamteuropäische (Minimal-) Vorgaben, die EU-Mitglieder haben aber letztlich jede Menge Spielraum, ob und wie sie Herkunftsstaaten als sicher einstufen.

Rechtslage und Praxis bezüglich der Westbalkanländer

Im Dezember 2014 sieht die Rechtslage über die drei Westbalkanstaaten in Europa wie folgt aus: Serbien wird von sechs EU-Mitgliedsstaaten als sicher eingestuft (Belgien, Bulgarien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien und Österreich), Bosnien-Herzegowina und Mazedonien von jeweils sieben EU-Mitgliedsstaaten (die genannten sowie Luxemburg). Darüber hinaus werden Albanien und Montenegro von diesen sieben und Kosovo von vier EU-Mitgliedern (Belgien, Dänemark, Großbritannien und Österreich) als sicher erklärt.

In der politischen Debatte hierzulande wird die Praxis der genannten EU-Mitgliedsstaaten auch als Beispiel herangezogen, an dem sich die deutsche Politik orientiert. So sprach Innenminister De Maizière davon, dass entsprechende Regelungen auch in Frankreich, Großbritannien und Belgien existieren. Auch die schriftliche Gesetzesbegründung verweist auf ähnliche Entscheidungen in „zahlreichen“ EU-Ländern. Tatsächlich muss aber festgehalten werden, dass – zumindest formell – lediglich ein Viertel der EU-Mitgliedsländer die Westbalkanstaaten als sicher einstuft. Somit kann von einem gesamteuropäischen Konsens bezüglich der sicheren Herkunftsstaaten keinesfalls die Rede sein.

Andere Herkunftsländer

Dabei sind die Westbalkanländer drei der wenigen Länder auf die sich mehrere EU-Mitglieder überhaupt als vermeintlich sichere Herkunftsstaaten einigen können. Eine ähnliche Häufung findet sich lediglich für einige westafrikanische Staaten. Senegal und Benin werden im Moment von vier und Ghana von acht EU-Ländern als sicher eingestuft. Über andere Länder der Welt herrscht weit weniger Einigkeit. Die überwiegende Mehrheit der Länder, die sich auf den entsprechenden Listen befinden, wird lediglich von einem oder zwei EU-Mitgliedsstaaten als sicher eingestuft, z.B. Ecuador vonseiten Großbritanniens.

Die Uneinigkeit der EU-Mitglieder zeigt auch, dass die Gründe für die Einstufung von Herkunftsstaaten als sicher durch die nationalen Begebenheiten geprägt sind. Überwiegend handelt es sich um Herkunftsländer, die durch Kolonialgeschichte mit den Empfängerländern verbunden sind (Großbritannien-Indien). Hinzu kommen außenpolitische Interessen, die Menschenrechtssituation in diesen Herkunftsländern als gut darzustellen – sei es, weil die Länder Beitrittskandidaten zur EU sind (im Falle Westbalkan) oder man die Effektivität eigener Entwicklungshilfe verdeutlichen will (Luxemburg-Kap Verde, Deutschland-Senegal). Darüber hinaus hofft man, mit der Einstufung der Länder als sicher die innereuropäischen Flüchtlingsströme zu regulieren bzw. sie mit restriktiven Politikentscheidungen am eigenen Land vorbeisteuern zu können.

Fazit

Innerhalb der Europäischen Union herrscht also wenig Einigkeit bei der Bestimmung der sicheren Herkunftsstaaten. Lediglich einige Länder des Westbalkans und – in geringerem Ausmaß – einige Länder Westafrikas werden von mehreren, nicht aber allen EU-Staaten als sicher eingestuft. Darüber hinaus weisen die Listen sicherer Herkunftsländer sehr große Unterschiede auf. Angesichts der Kontroverse (Refoulement-Verbot) und Komplexität solcher Entscheidungen ist das keine Überraschung. Hinzu kommt, dass es zweifelhaft ist, ob die Einstufung von Herkunftsstaaten als sicher tatsächlich dazu führt, dass Asylbewerber abgeschreckt und Verfahren beschleunigt werden. Somit handelt es sich insgesamt vielmehr um politische Alleingänge, die weder einer gesamteuropäischen Asylpolitik noch dem Schutzanspruch der Flüchtlinge zugutekommen.

 

Der Beitrag basiert auf einer Analyse, die im European Journal of Migration and Law veröffentlicht wurde.

 

 

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