Von Lisa Riedel und Gerald Schneider
Das deutsche Asylrecht sollte wie jede zentralstaatliche Politik einheitlich vollzogen werden. Die Autoren weisen in einer neuen Studie nach, dass dies im Vergleich der Bundesländer nicht gilt. Die Anerkennungsquoten unterscheiden sich so systematisch, dass von gravierendster Ungleichbehandlung gesprochen werden muss.
Einer der zentralen Maßstäbe eines funktionierenden Rechtstaates besteht darin, dass er seine Bürger gleich behandelt. Dabei darf es keine Rolle spielen, wo die Einwohner eines Landes ihre Lebensentwürfe verwirklichen wollen. Dieses Fairnessgebot gilt natürlich für alle Mitglieder einer Gesellschaft, auch diejenigen, die in diesem Land Schutz und Zuflucht suchen – die Flüchtlinge. Dies gilt gerade deshalb, weil Asylbewerber außer dem Anspruch, dass ihr Gesuch eine ebenso vorurteilslose wie gründliche Würdigung durch die staatlichen Behörden erfährt, nur wenig vom Gastland erwarten dürfen.
Eigentlich sollten die Asylbewerber bei den Entscheidungen über ihre Asylgesuche keine Diskriminierung erfahren. So entscheidet ausschließlich eine zentralstaatliche Behörde, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), über ihr Schicksal. BAMF-Mitarbeiter befinden über die Asylgesuche in Entscheidungszentren, die in ganz Deutschland angesiedelt sind. Wenn man die Anerkennungsquoten dieser Zentren auf die Bundesländer hochrechnet, ergeben sich zum Teil erhebliche Unterschiede.
Anerkennungsraten variieren zwischen 69 und 25 Prozent
Während das Saarland mit 69 Prozent und Bremen mit 55,7 Prozent die höchsten Anerkennungsraten von 2010 bis 2015 auswiesen, liegen Berlin und Sachsen mit 24,6 und 26,9 Prozent am Schluss der Rangliste. Wie die nachfolgende Grafik für ausgewählte Jahre zeigt, bestehen diese Unterschiede trotz einer generellen Zunahme der Anerkennungsquoten über den Zeitraum von 2010 bis 2015 hinweg. Im statistischen Sinne ist über diesen Zeitraum hinweg Brandenburg neben Berlin und Sachsen-Anhalt ein signifikanten „Ausreißer nach unten“ mit unterdurchschnittlichen Anerkennungsquoten, während sich neben Bremen und dem Saarland auch Schleswig-Holstein signifikant öfters positiv entscheiden.
Quelle: Riedel/Schneider (2017) “Dezentraler Asylvollzug diskriminiert: Anerkennungsquoten von Flüchtlingen im bundesdeutschen Vergleich, 2010-2015”, Politische Vierteljahresschrift 58(1), 21-48.
Ähnlich drastisch ist die Ungleichbehandlung für die im Zeitraum 2010 bis 2015 wichtigsten Flüchtlingsgruppen aus dem Nahen und Mittleren Osten. Niedersachsen hat zum Beispiel 75,5 Prozent der Asylgesuche aus dem Irak anerkannt, in den in Sachsen-Anhalt liegenden BAMF-Entscheidungszentren lag diese Quote jedoch nur bei 37,5 Prozent. Für Asylantragsteller aus Afghanistan war mit 34,4 Prozent die höchste Anerkennungschance in Nordrhein-Westfalen zu verzeichnen, während in Brandenburg nur 10 Prozent der Gesuche anerkannt wurden. Wenn wir die Unterschiede zwischen den Bundesländern über die Jahre hinweg betrachten, fällt die Ungleichbehandlung noch frappanter aus. 80 Prozent aller Asylgesuche aus Afghanistan fanden 2015 in Bremen Anerkennung, aber nur 2 Prozent in Sachsen-Anhalt oder 9 Prozent in Sachsen. Diese Differenzen weisen so nach unserem Dafürhalten schlüssig darauf hin, dass Asylsuchende mit einem identischen Herkunftsland unterschiedliche Chancen auf Anerkennung haben, abhängig davon, in welchem Bundesland ihr Antrag bearbeitet und entschieden wird.
Einflussfaktoren für die unterschiedlichen Anerkennungsraten
Die Unterschiede fallen nicht weg, wenn wir für allerlei Einflussfaktoren wie die Bevölkerungsgröße kontrollieren. In statistischer Hinsicht macht es auch keinen Unterschied, ob die Landesregierung von der CDU oder der SPD geführt wird.
Was ins Gewicht fällt, ist der Ausländeranteil – je größer der Anteil der Bürger in einem Land, die keinen deutschen Pass besitzen, desto besser stehen die Chancen, als Flüchtling anerkannt zu werden. Bedenklich ist vor allem, dass die Anzahl der fremdenfeindlichen Übergriffe in einem Bundesland die Anerkennungsquote im Folgejahr senkt.
Diese Ergebnisse zeigen, dass sich BAMF-Mitarbeiter in ihren Entscheidungen nicht nur von der Qualität eines Antrages leiten lassen. Viel mehr nehmen sie auch Rücksicht auf wahrgenommene Befindlichkeiten des Bundeslandes, in dem ihr jeweiliges Entscheidungszentrum angesiedelt ist.
Aus welchen Gründen einzelne Entscheider zur positiven oder negativen Diskriminierung neigen, können wir aufgrund unserer Aggregatdatenanalyse nicht sagen. Dass ähnlich wie in Deutschland in den USA, dem extrem föderalen Nachbarland Schweiz oder auch im Schengen-Raum ähnliche Diskrepanzen bestehen, weist auf die von William Riker identifizierte dunkle Seite von dezentraler Politikgestaltung hin. In einem Schlüsselwerk zum amerikanischen Föderalismus stellte er bereits in den 1960er Jahre fest: „(…) if in the United States one disapproves of racism, one should disapprove of federalism“. Nach Riker erlaubt der Föderalismus, dass sich die Politik an den Vorurteilen richtet, die in den Teilstaaten zum Teil stärker zum Vorschein treten als im Landesschnitt. Wenn der Zentralstaat nicht eingreift, kann so auch rassistischer Dünkel die regionale Entscheidungsfindung beeinflussen.
Die „Chancen auf Asyl“ sind nicht „bundesweit einheitlich“
Unser Nachweis von Ungleichbehandlungen im deutschen Asylföderalismus lässt sich nicht mit dem Hinweis des BAMFs entkräften, die „Chancen auf Asyl“ seien „bundesweit einheitlich“.
Erstens haben wir nie behauptet, dass das BAMF über Asylgesuche blockweise befinde. Im Gegenteil, unsere Studie erhärtet den Verdacht, dass ich die Entscheider des Bundesamt in ungebührlichem Maße von den Präferenzen der Region leiten lassen, in denen sie agieren. Zweitens unterscheiden sich die Anerkennungsquoten global und auch für einzelne wichtige Bewerbergruppen im zweistelligen Prozentbereich. Drittens haben wir nur Gruppen berücksichtigt, in denen es in jedem Bundesland eine ausreichend hohe Zahl von erstinstanzlichen Asylentscheidungen gab. Die hohe Zahl an behandelten Fällen macht es unmöglich, dass die Unterschiede zufälliger Natur sind. Viertens würden sich die Bundesländer dagegen wehren, wenn in Abweichung zum Königsteiner Schlüssel das BAMF systematisch einigen Ländern problematischere Fälle zuwiese als anderen. Nur über zusätzliche Zuteilungskriterien, für deren Existenz es aber keinen Beleg gibt, ließen sich die massiven Unterschiede in den Anerkennungsquoten belegen.
So halten wir trotz der Kritik aus Nürnberg an zweierlei Ergebnissen fest: Erstens, im deutschen Asylföderalismus liegt ein deutliches Diskriminierungspotential, sodass die Chance, als Flüchtling in diesem Land bleiben zu können, zu einem nicht geringen Teil von der Zuteilung auf ein Bundesland abhängt. Zweitens, diese Asyllotterie lässt sich nur vermeiden, wenn sich das BAMF einer Reform an Haupt und Gliedern unterzieht. Diese bestünde zum einen darin, dass es der Öffentlichkeit mehr und detailliertere Angaben zu seinem Entscheidungsverhalten zur Verfügung stellt. Zum anderen sollte das Monitoring der individuellen Entscheider zur Chefsache im BAMF und im Innenministerium erklärt werden. Die vorgeschlagene Reform der Bundesbehörde sollte also dem bewährten Rezept Lenins folgen, wonach Vertrauen gut ist, Kontrolle aber besser. Nur noch zufällig streuende Anerkennungsquoten hülfen der Politik auch, glaubwürdiger gegenüber den Asylsuchenden aufzutreten. Wer nämlich von Flüchtlingen und Asylbewerbern den Willen zur Integration fordert, sollte als Vorleistung zunächst gerechte Verfahren garantieren.
Dieser Beitrag basiert auf dem Aufsatz „Dezentraler Asylvollzug diskriminiert: Anerkennungsquoten von Flüchtlingen im bundesdeutschen Vergleich, 2010-2015“, erschienen in: Politische Vierteljahresschrift 58(1): 21-48.
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(c) Jeremy Brooks