Flüchtlingsforschung gegen Mythen 3

WissenschaftlerInnen diskutieren Behauptungen aus der Flüchtlingsdebatte

Immer wieder stellen Politikerinnen und Politiker sowie Personen des öffentlichen Lebens fragwürdige Behauptungen in den Raum, die durch Medien aufgegriffen und teils zu Stammtischparolen werden. Häufig werden Stereotypen über Asylsuchende gefördert, die als Fakten dargestellt werden, doch im besten Fall nicht viel mehr als Annahmen sind. Sie erfahren jedoch große Aufmerksamkeit und können weitreichende Konsequenzen haben.

Was sagen WissenschaftlerInnen zu solchen Behauptungen? Im dritten Teil unserer Serie ‘Flüchtlingsforschung gegen Mythen’ (hier Teil 1 und Teil 2) kommentieren Mitglieder des Netzwerks Flüchtlingsforschung wieder typische Aussagen, um mit Hilfe wissenschaftlicher Erkenntnisse Mythen aufzuklären.

 


 

  1. „Die Verteidigung der deutschen Grenze mit Waffengewalt als Ultima Ratio ist eine Selbstverständlichkeit.“

Marcus Pretzell, Europaparlamentarier der Alternative für Deutschland (AfD), in: Der Tagesspiegel, 01.11.2015

Zu dieser Antwort verlinken.

Kommentiert von Prof. Dr. Florian Trauner

Diese Aussage verzerrt die deutsche Rechtslage. Deutsche Vollzugsbeamte können zwar „im Grenzdienst Schusswaffen auch gegen Personen gebrauchen, die sich der wiederholten Weisung, zu halten oder die Überprüfung ihrer Person oder etwa mitgeführten Beförderungsmittel und Gegenstände zu dulden, durch die Flucht zu entziehen versuchen. Ist anzunehmen, dass die mündliche Weisung nicht verstanden wird, so kann sie durch einen Warnschuss ersetzt werden“ (§ 11 UZwG). Von der Schusswaffe darf aber nur Gebrauch gemacht werden, um „angriffs-, oder fluchtunfähig zu machen“. Falls Kinder involviert sind oder mit hoher Wahrscheinlichkeit Unbeteiligte gefährdet werden, ist vom Gebrauch der Schusswaffe ganz abzusehen (§ 12 UZwG).

Die Anwendung von Waffengewalt beim Schutz der deutschen Grenze ist daher keine Selbstverständlichkeit. Vielmehr müssen deutsche Polizisten die Verhältnismäßigkeit ihrer Mittel beachten, insbesondere hinsichtlich des im deutschen Grundgesetz verankerten „Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit“ (Artikel 2 des Grundgesetzes). Das Verhältnismäßigkeitsprinzip beim Grenzschutz wird auch im Schengener-Grenzkodex betont (z.B. Kapitel II, Artikel 6).

Wichtige Schlüsse können auch von den Gerichtsprozessen gegen DDR-Grenzschützer gezogen werden, die tödliche Schüsse während ihres Dienstes abgegeben haben. Der Bundesgerichtshof befand im Jahr 1994, dass selbst das DDR-Grenzgesetz, das die (bedingte oder unbedingte) vorsätzliche Tötung von Menschen deckte, als Rechtfertigungsgrund unzureichend sei. „Ein solcher Rechtfertigungsgrund, der der Durchsetzung des Verbots, die Grenze unerlaubt zu überschreiten, Vorrang vor dem Lebensrecht von Menschen gibt, ist wegen offensichtlichen, unerträglichen Verstoßes gegen elementare Gebote der Gerechtigkeit und gegen völkerrechtlich geschützte Menschenrechte unwirksam“, so der Bundesgerichtshof.

 


­

 

  1. Priority c) Achieving greater convergence in the EU asylum system. Objective: Strengthening and harmonising further the Common European Asylum System rules, so as to ensure more equal treatment across the EU and reduce undue pull factors to come to the EU”

Aus einer Mitteilung der Europäischen Kommission an das Europäische Parlament und den Rat mit dem Titel “Towards a Reform of the Common European Asylum System and Enhancing Legal Avenues to Europe“ vom 06.04.2016

Zu dieser Antwort verlinken.

Kommentiert von Dr. Svenja Gertheiss

In ihrer Mitteilung formuliert die Europäische Kommission eine Reihe von Prioritäten für die Weiterentwicklung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Dabei wird auch die Sorge ausgedrückt, liberale Regelungen für Flüchtlinge könnten diese gewissermaßen „anlocken“ und somit bewirken, dass Menschen vermehrt nach Europa kommen. Eine solch einseitige Sicht auf sogenannte „Pull“-Faktoren vernachlässigt die vielfältigen Faktoren, die zu Flucht und Migration beitragen können und verkürzt Erkenntnisse aus der Migrations- und Flüchtlingsforschung auf fahrlässige Art und Weise.

Der Fokus auf „Pull“-Faktoren lässt zum einen sogenannte „Push“-Faktoren unbeachtet, also Umstände in den Herkunftsregionen, die, wie im Falle von Krieg und Verfolgung, Migration zu einer zentralen Überlebensstrategie werden lassen. Zum anderen machen Forschungsergebnisse deutlich, dass Flucht als Prozess zu verstehen ist, in dem gerade auch soziale und historische Aspekte sowie Netzwerke eine zentrale Rolle spielen. So zeigen beispielsweise Seraina Rüegger und Heidrun Bohnet die Bedeutung von ethnischen Bindungen und früheren Migrationserfahrungen bei der Auswahl des Zufluchtsorts. Eine Untersuchung des Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) über Fluchtgründe unbegleiteter afghanischer Minderjähriger legt unter anderem dar, dass Familienmitglieder häufig in die Migrationsentscheidung eingebunden sind. Außerdem wird deutlich, dass Jugendliche aus solchen Regionen, aus denen bereits viele Personen ins Ausland gegangen sind, eher versuchen wollen, ebenfalls zu fliehen.

Neben „Push“-Faktoren wie Unsicherheitserfahrungen und Perspektivlosigkeit spielt hier eine Rolle, dass bestehende Netzwerke Unterstützungsleistungen anbieten können und Emigranten als positive Rollenvorbilder gesehen werden. Auch eine Studie des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), die sich mit der Frage „Warum Deutschland?“ befasst, weist darauf hin, dass sich Entscheidungen für einen Zielstaat nicht auf einzelne Charakteristika dieser Länder zurückführen lassen. Nicht zuletzt können sich Entscheidungen während der Flucht ändern, etwa auf Grund neuer Informationen, Bekanntschaften oder äußerer Einflüsse, wie den Bedingungen von Schleusern.

Liberale Regelungen für Flüchtlinge als zentralen Anreiz zu rahmen, in die Europäische Union zu kommen, vernachlässigt also sowohl die unzureichenden Lebensbedingungen vieler Flüchtlinge in Ländern des Globalen Südens, als auch die komplexen und dynamischen Prozesse, die vor und während der Flucht Einfluss nehmen.

 


 

  1. „Ein Klima des gesellschaftlichen Zusammenhalts ohne Hass und Hetze (…) verlangt harte Maßnahmen in einer Gesellschaft, die Integration regeln (…) Deswegen wollen wir regeln, dass auch anerkannte Flüchtlinge – jedenfalls solange sie keinen Arbeitsplatz haben, der ihren Lebensunterhalt sichert – sich an dem Ort aufhalten, wo wir das als Staat für richtig halten, und nicht, wo das der Flüchtling für richtig hält”

Innenminister Thomas de Maizière zur geplanten „Wohnsitzauflage“, die im neuen Integrationsgesetz für Flüchtlinge verankert werden soll, in: Tagesschau, 26.03.2016

Zu dieser Antwort verlinken.

Kommentiert von Larissa Fleischmann, M.Res.

Diese Aussage De Maizières bezieht sich auf die „Wohnsitzauflage“, die anerkannten Flüchtlingen den Wohnort vorschreiben soll und ist aus vielerlei Hinsicht problematisch.

Die Wohnsitzauflage geht grundsätzlich davon aus, dass Integration maßgeblich vom Staat „geregelt“ werden könne und hauptsächlich von den Geflüchteten geleistet werden müsse. Dabei wird jedoch außer Acht gelassen, dass es sich bei Integration um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handelt, die nicht nur die Geflüchteten, sondern alle in Deutschland lebenden Menschen betrifft. Ziel staatlicher Steuerung sollte es vielmehr sein, strukturelle Hürden abzubauen, die einer Anerkennung Geflüchteter als MitbürgerInnen und ihrer gleichberechtigten Teilhabe im Wege stehen.

Das geplante Gesetz nimmt zudem massive Einschnitte in den Rechten Geflüchteter vor, da es ihre Freizügigkeit erheblich einschränkt. Dies steht im starken Kontrast zu den Rechten der anerkannten BürgerInnen von Staaten der Europäischen Union (EU), die ihren Wohnort in der gesamten EU weitestgehend frei wählen können, wie es die EU Richtlinie 2004/38/EG vorsieht. Statt zu einem gleichberechtigten Miteinander führt die „Wohnsitzauflage“ so zu einer Verschärfung von Ungleichheiten. Folge dieser Ungleichbehandlung könnte die weitere gesellschaftliche Abwertung, Ausgrenzung und Stigmatisierung von Geflüchteten sein.

Letztlich wird Flüchtlingen damit auch die Möglichkeit entzogen, ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten. Welche Frustrationen dies unter den Geflüchteten schaffen kann, wurde nicht zuletzt im Zuge der langjährigen Proteste gegen die sogenannte „Residenzpflicht“ deutlich. Diese führten schließlich zu ihrer, wenn auch nur kurzfristigen, Abschaffung Ende des Jahres 2014, die als wichtiger Schritt für „mehr Integration“ von Seiten der Bundesregierung gedeutet wurde. So zeigen verschiedene Studien, dass sich Geflüchtete gerade dort am besten in Gesellschaft und Arbeitsmarkt eingliedern, wo sie bereits über soziale Netzwerke verfügen, die oft eine „Brückenfunktion“ erfüllen.

Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass die geplante „Wohnsitzauflage“ in langer Sicht kaum zur verbesserten Integration und Teilhabe Geflüchteter beitragen wird, sondern sich stattdessen gar negativ darauf auswirken könnte.

 


 

  1. „Wir müssen schnell in den Herkunftsländern helfen“

Sigmar Gabriel, Wirtschaftsminister, in: Der Tagesspiegel, 13.09.2015

Zu dieser Antwort verlinken.

Kommentiert von Dr. Joël Glasman

Dieser Spruch ist zum Motto der deutschen Flüchtlingspolitik geworden. Er klingt erstmal nicht verkehrt: „Helfen“ klingt humanistisch, „in den Herkunftsländern“ (oder wahlweise „in der Heimat“ oder „in der Herkunftsregion“) hört sich nach Stabilisierung am richtigen Ort an. Das Motto soll den Eindruck einer menschlichen, vernünftigen und politisch neutralen Lösung geben.

Diese Vorstellung basiert jedoch auf einem Denkfehler. Flüchtlinge fliehen gerade deswegen, weil sie von ihrer eigenen Regierung nicht geschützt, sondern bedroht werden, was auch ein Kernstück der Definition des Flüchtlings nach der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 ist. Nun ist es kaum möglich, Menschen in einem fernen Land zu helfen, ohne finanzielle Mittel über Staatsbehörden fließen zu lassen. Selbst den großen Nichtregierungsorganisationen wie Ärzte Ohne Grenzen oder Oxfam fällt es schwer, jenseits offizieller Kanäle Hilfe zu leisten. Sprechen europäische Regierungen von „Hilfe in den Herkunftsländern“, bedeutet dies: Den dortigen Regierungen helfen. Die EU nimmt zum Beispiel in ihren Verhandlungen mit afrikanischen Staatschefs in Kauf, dass sie Autokraten unterstützt. Hieraus wird deutlich, dass humanitärer Flüchtlingsschutz zur Flüchtlingspolitik wird.

In einer anderen Variante heißt es „in der Herkunftsregion“ oder „in den Nachbarländern“ helfen. Die Idee ist nicht neu: In den 1990er Jahren sprach man von „sicheren Häfen“ (etwa in Bezug auf Südosteuropa), in den 2000er Jahren von „Auffanglager“ (für Nordafrika). Der Deal der EU mit der Türkei vom 18. März 2016 ist die Verwirklichung dieser Politik: Flüchtlinge werden aus der EU vertrieben und in türkischen Flüchtlingslagern untergebracht. Die Regierung von Erdoğan bekommt von der EU Hilfe in Milliardenhöhe.

Spricht die Politik also von Hilfe „in den Herkunftsländern“, ist es irreführend. In den Herkunftsländern können Regierungen nicht helfen. Sie können aber Politik machen.

 


 

  1. „Bis zum Sommer [2015] waren die Flüchtlinge dankbar, bei uns zu sein (…) Und jetzt gibt es schon viele Flüchtlinge die glauben, sie könnten sich selbst irgendwohin zuweisen, sie gehen aus Einrichtungen raus, sie bestellen sich ein Taxi, sie haben erstaunlicherweise das Geld, um hunderte Kilometer durch Deutschland zu fahren. Sie streiken, weil ihnen die Unterkunft nicht gefällt, sie machen Ärger, weil ihnen das Essen nicht gefällt. Sie prügeln in Asylbewerbereinrichtungen, das ist noch eine Minderheit, aber da müssen wir klar sagen: wer hier nach Deutschland kommt, wir verlangen eine Ankommenskultur, der muss sich dahin verteilen lassen, wo wir ihn bringen, sich einem fairen Verfahren unterstellen und unsere Rechtsordnung anerkennen.“

Thomas de Maizière, Bundesinnenminister, in: ZDF heute Journal, 01.10.2015

Zu dieser Antwort verlinken.

Kommentiert von Tobias Neef

Diese Äußerung Thomas de Maizières bezieht sich auf das am gleichen Tag in den Bundestag eingebrachte Gesetzespaket zur Reform des Asylbewerberleistungsgesetzes („Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz“). In seinem Statement greift er den mittlerweile geläufig gewordenen Begriff einer (fehlenden) „Ankommenskultur“ auf, der in den vorhergehenden Monaten insbesondere in rechtspopulistischen und nationalistischen Medien geprägt worden war.

Die Äußerungen de Maizières reproduzieren eine geläufige Distanzierung zwischen „uns“, den StaatsbürgerInnen, und „denen“, den Geflüchteten. Dieses „Othering“ von Flüchtlingen tritt in der Regel in zwei Formen auf: In einer humanitären Variante, die Flüchtlinge als „Opfer“ begreift, sowie als Versicherheitlichung der Asylpolitik, der die Äußerungen de Maizières zuzuordnen sind. Das Bild der Flüchtlinge, die „sich in Asylbewerbereinrichtungen prügeln“ und „streiken, weil ihnen die Unterkunft nicht gefällt“, betont Geflüchtete als potenzielle Gefahren für die öffentliche Sicherheit und den Wohlfahrtsstaat. Die so erzeugte Distanz zwischen den („die Sicherheit bedrohenden“) Geflüchteten und der bundesrepublikanischen Bevölkerung dient zunächst der Legitimation einer Verwaltungspolitik, die nicht in der Lage war, für adäquate Situationen in den Erstaufnahmeeinrichtungen zu sorgen. Die Aussage schürt jedoch im gleichen Zuge die Ressentiments wohlfahrtschauvinistischer Diskurse gegen(über) Geflüchtete(n).

Der Begriff der „Ankommenskultur“ richtet sich demnach gegen das Aufbegehren von Menschen, deren einziges demokratisches Recht nach der Flucht das auf öffentlichen Widerspruch gegen ihre Situation ist. Paradoxerweise verlangt de Maizière damit von Menschen, die in ein demokratisch verfasstes Land geflüchtet sind, der Verzicht auf dieses letzte ihnen verbleibende Partizipationsrecht.

Tatsächlich gibt es in den vergangenen Jahren vermehrte Proteste von Geflüchteten gegen die Bedingungen, denen sie in den Erstaufnahmeeinrichtungen und im Zuge der Asylverfahren ausgesetzt sind. Häufig nehmen sie die Form von Hungerstreiks an, teilweise werden Protestcamps in den Städten eingerichtet. Analysen aus der Protestforschung zeigen, dass eine Formierung von Solidaritätsbeziehungen zwischen Geflüchteten und etablierten sozialen Bewegungsstrukturen mit ihnen verbunden ist. Auch Auseinandersetzungen in und um Erstaufnahmeeinrichtungen sind Gegenstand von Berichterstattungen. Beides resultiert häufig aus den zum Teil desolaten Zuständen in den Einrichtungen, in denen Menschen nach einer in der Regel psychisch und physisch beschwerlichen Flucht auf engstem Raum nebeneinander leben müssen.

 


 

  1. „Über 350 Flüchtlinge haben von Jahresbeginn bis zum 20. März beim Überqueren des Weges von der Türkei nach Griechenland ihr Leben verloren, ganze sieben – immer noch sieben zu viel – seit dem 20. März bis heute. Das allein zeigt schon (…) dass wir mit anderen Nachbarstaaten Regelungen sowohl zur Bekämpfung der Fluchtursachen als auch in Bezug auf die Wahrnehmung unserer humanitären Verpflichtungen finden müssen.“

Bundeskanzlerin Angela Merkel, 12.05.2016, leicht verändert in: Die Zeit Online, 12.05.2016

Zu dieser Antwort verlinken.

Kommentiert von Adèle Garnier, PhD

Zunächst steht Bundeskanzlerin Merkels Aussage im Einklang mit der Forschung. Wie in einem Blogbeitrag zu Flucht und ihre Ursachen hervorgehoben, kann die gegenwärtige Flüchtlingskrise nur bewältigt werden, wenn Fluchtursachen adressiert und mit Nachbarstaaten der Herkunftsländer von Geflüchteten zusammengearbeitet werden. Allerdings ist es hochproblematisch zu behaupten, dass der EU-Türkei-Deal zur Lösung der Krise führe und darüber hinaus Menschenleben rette.

Erstens ignorierte diese Aussage die hochpolitische Natur des Deals. Die EU strebt an, durch verstärkte Zusammenarbeit die Türkei als sichere Peripherie zu stabilisieren, um somit die politisch immer kontroverser diskutierte Ankunft von Flüchtlingen in der EU möglichst zu verhindern. Dieser Punkt wurde auch von der parlamentarischen Opposition in Deutschland zur Debatte gebracht. Jedoch wird angezweifelt, dass die EU diese Stabilisierungskapazität hat.

Zweitens ist die Reduzierung der Todesfälle im Mittelmeer zwischen der Türkei und Griechenland zu kontextualisieren. Wenn Flüchtlinge nicht mehr in Griechenland ankommen, heißt es noch lange nicht, dass sich ihre Lage gebessert hat. Die Situation von Flüchtlingen in der Türkei bleibt sehr prekär und Ressourcen fehlen, um die Durchsetzung des geltenden türkischen Rechts, das humanitären Schutz anerkennt, zu überwachen.

Drittens werden in Merkels Aussage Bootsflüchtlinge schleichend delegitimiert, was auch zur Delegitimierung des Rechts auf Asyl beiträgt. Wie ich in einem anderen Blogbeitrag gezeigt habe, erinnert das Statement an den politischen Diskurs in Australien, wo eine der restriktivsten Asylpolitiken aller Industrieländer mit der Reduzierung von Todesfällen vor den Küsten des Landes gerechtfertigt wird. Doch sind diese Entwicklungen nicht neu; vielmehr sehen wir eine lange Geschichte der europäischen Ambivalenz gegenüber Flüchtlingen. Zusammenfassend scheint der EU-Türkei-Deal praktisch und politisch die unpassende Lösung für das von Bundeskanzlerin Merkel richtig erkanntes Problem zu sein.

 

Redaktion: Dr. Ulrike Krause mit Unterstützung von Larissa Fleischmann, M.Res.

 

 

Teilen Sie den Beitrag

Facebook
Twitter
LinkedIn
XING
Email
Print