Geld statt Schutz: Wie Rückkehrhilfen Asylentscheidungen beeinflussen

In Asylverfahren vor Gericht dienen Rückkehrhilfen zunehmend als Argument gegen das Risiko einer lebensbedrohlichen Verelendung im Herkunftsland – und damit als Argument gegen Schutz. Häufig genügt Gerichten dabei der Verweis auf die bloße Existenz der Programme, während ihre Wirksamkeit nebensächlich ist. Indem durch Rückkehrhilfen Asylanträge abgelehnt werden und die „Freiwilligkeit“ bei Rückkehrentscheidungen betont wird, setzen Richter:innen indirekt politische Maßnahmen um.

Der Beitrag basiert auf dem Aufsatz Money, not protection. Assisted return programmes and the timing of future harm in refugee status determination, der im Januar 2025 im Journal of Ethnic and Migration Studies erschienen ist (open access). Ein früherer Entwurf erhielt 2023 den Best Paper Award des Netzwerks Fluchtforschung.

 

Programme der geförderten Rückkehr werden oft als humane und kostengünstige Alternative zur Abschiebung dargestellt. Neben Beratungsleistungen umfassen sie vor allem finanzielle Unterstützung bei der Rückkehr sowie Starthilfen, die die Reintegration im Herkunftsland unterstützen sollen. Das Rückkehrprogramm REAG/GARP (Reintegration and Emigration Programme for Asylum Seekers in Germany/Government Assisted Repatriation Programme) bietet finanzielle Unterstützung in drei Bereichen: Reisebeihilfe (Fahrkarten und 200 Euro Reisegeld), medizinische Unterstützung (bis zu 2.000 Euro für maximal drei Monate nach der Ankunft) und eine einmalige Barauszahlung (1.000 Euro pro Person, bis zu 4.000 Euro pro Familie). Durch das Programm „StarthilfePlus“ werden ein halbes Jahr nach der Rückkehr weitere bis zu 1.000 Euro pro Person (bzw. bis zu 2.000 Euro pro Familie) ausgezahlt. Verfügbarkeit und genaue Höhe dieser Auszahlung richten sich nach dem Herkunftsland.

Mittlerweile sind diese Programme aber nicht mehr nur Maßnahmen nach einem abgelehnten Asylantrag, sondern beeinflussen das Asylverfahren selbst. In Deutschland erhalten Asylsuchende bereits vor der Antragstellung Rückkehrinformationen und ihnen werden finanzielle Anreize dafür geboten, nicht gegen einen Ablehnungsbescheid zu klagen und stattdessen direkt auszureisen. Darüber hinaus verwenden Gerichte zunehmend Informationen über Rückkehrprogramme, um zu entscheiden, ob eine lebensbedrohliche Verelendung im Herkunftsstaat wahrscheinlich ist. Denn dafür kann es Schutz geben. Ausgehend von Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), dem Verbot von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe, gibt es in Deutschland neben Flüchtlingseigenschaft und subsidiärem Schutz einen dritten Schutzstatus: das Abschiebungsverbot. Es wird gewährt, wenn Menschenrechtsverletzung nicht durch zielgerichtete menschliche Handlungen drohen, sondern durch die sozio-ökonomische Lage im Herkunftsland. Extreme Armut wird so zum Schutzgrund.

Für die Analyse, wie Gerichte Rückkehrhilfen in Asylentscheidungen verwenden, habe ich die größte Rechtsprechungsdatenbank juris nach allen Gerichtsentscheidungen zu den Herkunftsstaaten Afghanistan, Irak, Nigeria, Somalia, Äthiopien und Russland durchsucht, die Stichwörter zu Rückkehrprogrammen enthalten. Bei Verfahren von Asylsuchenden aus diesen Ländern ist das Abschiebeverbot ein zentrales Element der juristischen Argumentation. Die daraus hervorgegangenen 346 Entscheidungen aus dem Zeitraum 2006 bis 2024 stammen von 46 der 51 Verwaltungsgerichte und von 10 der 15 Oberverwaltungsgerichte. Der Datensatz erfasst damit die Vielfalt der deutschen Asylrechtsprechung und bietet eine solide Grundlage für die Analyse, wie Gerichte auf Rückkehrprogramme in ihren Entscheidungen verwenden.

 

Alsbaldige Verelendung und das Problem der Verantwortung

Gerichte bewerten die Wirksamkeit der Programme unterschiedlich und legen unterschiedliche Maßstäbe an den Zeitpunkt drohender Gefahren einer Menschenrechtsverletzung an. Sie argumentieren entweder, dass nur solche Gefahren, die unmittelbar nach der Rückkehr drohen, schutzwürdig sind (Unmittelbarkeitsgebot/imminence requirement) oder, dass die langfristige Reintegration berücksichtigt werden muss (Nachhaltigkeitsgebot/sustainability requirement). Dabei überwiegt deutlich die Meinung, dass die Programme wirksam gegen Schutz sind und ein strenges Unmittelbarkeitsgebot gilt: Gerichte verwenden Rückkehrprogramme in erster Linie zur Begründung der Ablehnung von Asylgesuchen und argumentieren, dass lebensbedrohliche Armut nach der Rückkehr aufgrund der finanziellen Rückkehrhilfe unwahrscheinlich ist. Anstatt jedoch die Auswirkungen der Hilfen auf die Reintegration zu bewerten, schließen sie meist von der Existenz der Programme auf ihre Wirksamkeit, wobei sie auf allgemeine Aussagen in Länderberichten verweisen oder lediglich die generelle Verfügbarkeit von Rückkehrhilfe erwähnen.

Dieser oberflächliche Ansatz der Gerichte wird durch die Anwendung eines strengen Unmittelbarkeitsgebots noch verstärkt. Nur eine Minderheit der Gerichte argumentiert, dass Schutz nur bei einer absehbar nachhaltigen Reintegration verweigert werden sollte. Diese Gerichte gehen davon aus, dass Rückkehrhilfe einen begrenzten Einfluss auf die langfristige Reintegration hat und betrachten sie daher nicht als ausreichenden Grund, um eine Ablehnung zu rechtfertigen. Im Gegensatz dazu beschränkt die Mehrheit der Gerichte ihre Risikobewertung auf die Zeit unmittelbar nach der Rückkehr. Dieser Ansatz stützt sich auf das rechtliche Argument, dass Schutz einen direkten Kausalzusammenhang zwischen einer möglichen Abschiebung und der drohenden Menschenrechtsverletzung erfordert. Gefahr muss demnach „alsbald“ nach der Rückkehr eintreten. Solange aber Rückkehrhilfe eine kurzfristige Unterstützung bietet, muss kein Schutz in Deutschland gewährt werden.

Indem sie die Wirksamkeit von Rückkehrprogrammen als gegeben voraussetzen und ein strenges Unmittelbarkeitsgebot anwenden, umgehen die Gerichte eine gründliche Tatsachenermittlung zur Reintegration und den sozioökonomischen Herausforderungen der Rückkehr. Diese Argumentation reduziert Armut auf ein vorübergehendes Hindernis, anstatt sie als strukturelles Risiko anzuerkennen. Die Chancen auf ein Abschiebungsverbot werden damit eingeschränkt.

Ein strenges Unmittelbarkeitsgebot geht außerdem mit der Ansicht einher, dass es in der Verantwortung der Asylsuchenden liege, Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen, um Verelendung zu verhindern. Danach ist der oder die Einzelne dafür verantwortlich, sich selbst zu helfen, bevor er oder sie Schutz sucht. Rückkehrhilfen sind Teil dieser Eigenverantwortung. Das entspricht einem politischen Diskurs, der die persönliche Verantwortung und die „Freiwilligkeit“ bei Rückkehrentscheidungen betont. Von Asylsuchenden wird damit erwartet, dass sie an ihrer eigenen „Abschiebbarkeit“ („deportability“) mitwirken; sie sind sogar dafür verantwortlich, das zu tun. Gleichzeitig ist es demzufolge nicht die Aufgabe des Aufnahmestaates, Schutz vor lebensbedrohlicher Armut zu gewähren, solange er Geld bereitstellt, das diesen Schutz kompensiert.

 

Richter:innen setzen Politik um

Die Gemeinsamkeit zwischen politischen und richterlichen Verständnissen von Verantwortung und Freiwilligkeit wird noch deutlicher angesichts der ursprünglichen Idee von Rückkehrprogrammen, eine Alternative zur Abschiebung nach dem Asylverfahren zu bieten. Denn die zunehmende Verwendung der Rückkehrhilfe als Argument im Verfahren zeigt nicht nur, wie politische Maßnahmen über ihren ursprünglichen Zweck hinaus wirken. Wenngleich nicht direkt beabsichtigt, dient diese Verwendung auch dem politischen Ziel, die Zahl der Rückkehrer:innen durch Rückkehrhilfen zu erhöhen. Insofern wird diese Politik indirekt von Richter:innen umgesetzt, die die Ablehnung von Asylanträgen mit Rückkehrhilfen begründen.

In den Urteilen spielen solche Überlegungen keine Rolle. Richter:innen verwenden Rückkehrhilfen, um die Wahrscheinlichkeit eines Verelendungsrisikos nach der Rückkehr auf der Grundlage rechtlicher Standards zu bewerten. Rückkehrprogramme sind aus ihrer Perspektive keine politischen Maßnahmen, sondern Beweismittel. Durch die Verwendung in Gerichtsverfahren werden diese Maßnahmen verrechtlicht.

Angesichts der zunehmenden Bedeutung von Rückkehrhilfen für Asylentscheidungen sollten die Gerichte allerdings deren Wirkungen gründlicher und kritischer bewerten. Anstatt einfach davon auszugehen, dass die Programme effektiv sind, sollten Richter:innen unabhängige Quellen für diese Effektivität heranziehen. Zwar gibt es nur wenig Informationen, wie genau konkrete Rückkehrprogramme wirken. Die einzigen Evaluationen, die sich konkret mit deutschen Rückkehrprogrammen auseinandersetzen, stammen von BAMF und IOM, also den Organisationen, die diese Programme selbst umsetzen. Demgegenüber existiert allerdings eine breite wissenschaftliche Literatur, die Einflussfaktoren auf die Reintegration untersucht, etwa die Stigmatisierung von Rückkehrer:innen und die ambivalente Rolle sozialer Netzwerke, die Unterstützung durch Mentoringprogramme oder die Rolle von NGOs im Rückkehrregime.

Darüber hinaus ist die Dominanz des Unmittelbarkeitsgebots fragwürdig. Wenn die Gerichte ihre Risikobewertung nur auf den kurzen Zeitraum direkt nach der Rückkehr beschränken, können sie Entscheidungen stets damit rechtfertigen, dass die Existenz von Rückkehrhilfen ausreicht, um diesen kurzen Zeitraum zu überstehen. Langfristige Folgen können außer Acht gelassen werden. Im internationalen Asylrecht gibt es jedoch keine juristische Grundlage dafür, dass eine Menschenrechtsverletzung unmittelbar nach der Rückkehr eintreten muss, um berücksichtigt zu werden. Diese Vorstellung geht zurück auf ein weit verbreitetes, aber irreführendes „event paradigm“ und vernachlässigt langsamer eintretende Schäden („slow-onset harms“), die weniger unmittelbare, aber nicht weniger schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen bedeuten können – wie etwa extreme Armut. Verelendung ist kein Event.

Rückkehrprogramme sind stillschweigend zu einem Beurteilungselement in Asylentscheidungen geworden. Ihr Einsatz in Asylverfahren verlagert die Verantwortung auf die Asylsuchenden und schmälert die Chance auf Schutz. Während Rückkehrhilfen in Deutschland besonders umfangreich in gerichtlichen Asylverfahren verwendet werden, sind ähnliche Trends auch in anderen europäischen Ländern zu beobachten. Zum Beispiel wird im Handbuch der Schweizerischen Asylbehörde auf Rückkehrhilfen zur „Abfederung“ einer existenzbedrohenden Situation verwiesen (S. 16) und im Vereinigten Königreich führt das höchste Asylgericht das nationale Voluntary Returns Scheme in Länderleitentscheidungen an (S. 7). Die Fallstudie zu Deutschland bietet eine Grundlage für vergleichende Untersuchungen zu Rückkehrförderung als Instrument des Migrationsmanagements und zum Zusammenhang von politischen Maßnahmen und richterlicher Entscheidungspraxis.

Teilen Sie den Beitrag

Facebook
Twitter
LinkedIn
XING
Email
Print