Globale Trends zu Flucht und Asyl: Mehr Geflüchtete in Langzeitsituationen, weniger dauerhafte Lösungen

Von Ulrike Krause und Marcus Engler

Anlässlich des seit 2001 stattfindenden Weltflüchtlingstags publiziert das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) jährlichen seinen Bericht über die globalen Entwicklungen. Darin geht es auf aktuelle Fluchtbewegungen weltweit ein und zeichnet Trends nach. In unserem Beitrag möchten wir diese Entwicklungen diskutieren. Die Zahl von geflüchteten Menschen ist erneut gestiegen. Fluchtsituationen dauern zunehmend lang und der Zugang zu dauerhaften Lösungen verschlechtert sich. Die überwiegende Mehrheit der Geflüchteten befindet sich weiterhin in Ländern im Globalen Süden, während Länder im Globalen Norden Flüchtlingsschutz und -politiken zunehmend restriktiver gestalten.

Überblick über globale Entwicklungen

UNHCRs Bericht ‚Global Trends: Forced Displacement in 2018‘ gibt einen Überblick über den Stand der globalen Fluchtbewegungen zum Ende des vergangenen Jahres. Laut dem Bericht waren 2018 rund 70,8 Mio. Menschen weltweit auf der Flucht. Im Vergleich zu 2017, als 68,5 Mio. Zwangsmigrant*innen registriert worden waren, ist dies ein Anstieg um 2,3 Mio. Personen. Die Zahlen sind nun zum sechsten Mal in Folge gestiegen und offenbaren den höchsten Wert seitdem diese statistische Erfassung Anfang der 1990er Jahre eingeführt wurde. Zehn Jahr zuvor, im Jahr 2009, waren es noch 43,3 Mio. Zwangsmigrant*innen (siehe nachstehend ‚Figure 1‘).

Die Gesamtzahl der von UNHCR erfassten Zwangsmigrant*innen setzt sich aus den Gruppen der Flüchtlinge, Asylsuchenden und Binnenvertriebenen zusammen. Wie auch in den Vorjahren bilden auch 2018 Binnenvertriebene mit 41,3 Mio. Menschen die größte Gruppe (2017: 40 Mio.). Sie sind innerhalb ihrer Herkunftsländer geflohen. Zudem gab es 2018 25,9 Mio. Flüchtlinge (2017: 25,4 Mio.), also Personen, die in einem anderen Land Schutz gefunden haben. Von diesen sind 5,5 Mio. palästinensische Flüchtlinge unter dem Mandat des UN-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA). Bei den 3,5 Mio. Asylsuchenden war der rechtliche Status noch nicht festgestellt. Ihre Zahl ist im Vergleich zum Vorjahr ebenfalls leicht gestiegen (2017: 3,1 Mio.).

 

Quelle der Abbildung: UNHCR (2019), Global Trends: Forced Displacement in 2018, S. 5.

Nicht berücksichtigt sind in dieser Aufstellung mindestens 3,9 Mio. Staatenlose, wobei UNHCR die Zahl der nicht registrierten Staatenlosen als deutlich höher einschätzt. Auch Millionen von Menschen, die keine dieser Rechtskategorien erfüllen, sind nicht enthalten, wie jene, die ihre Heimat wegen ökonomischer Perspektivlosigkeit oder Klima- und Umweltveränderungen verlassen haben. Das Monitoring-Zentrum für Binnenvertreibung (IDMC) erhebt seit 2008 Daten über klima- und umweltbedingte Flucht und gibt an, dass 2018 etwa 17,2 Mio. Menschen wegen Naturgefahren geflohen sind.

Neue Vertriebene und Langzeitsituationen

Unter den über 70 Mio. Zwangsmigrant*innen sind sowohl Neuvertriebene als auch viele, die bereits vor Jahren ihre Herkunftsorte verlassen mussten. 13,6 Mio. Menschen wurden 2018 neu vertrieben, wobei 2,8 Mio. Flüchtlinge über Landesgrenzen hinweg und 10,8 Mio. Binnenvertriebene innerhalb ihrer Herkunftsländer geflohen sind. In vielen Fällen handelt es sich um Personen, die bereits in der Vergangenheit fliehen mussten und die also mehrfach vertrieben wurden. Daher überlappen sich die Gruppen der Neuvertriebenen und derjenigen, die schon länger auf der Flucht sind. Neu registriert wurden im vergangenen Jahr weltweit etwa 1,7 Mio. Asylanträge.

Die größte Gruppe der Neuvertriebenen bestand 2018 laut UNHCR aus Äthiopier*innen (ca. 1,6 Mio.), von denen etwa 98% im eigenen Land flohen. Mit 889.400 Menschen waren Syrer*innen die zweitgrößte Gruppe, von denen 632.700 in einem anderen Land Zuflucht suchten. In Nigeria ergriffen 661.800 Menschen die Flucht, davon 581.800 im eigenen Land, und aus Venezuela flohen etwa 341.800 Menschen in andere Staaten. Weitere umfangreiche Fluchtbewegungen gab es etwa aus dem Südsudan und der Demokratischen Republik Kongo (siehe nachstehend ‚Figure 4‘).

Quelle der Abbildung: UNHCR (2019), Global Trends: Forced Displacement in 2018, S. 8.

Sowohl die neuen Fluchtbewegungen als auch die langwierigen Aufnahmesituationen sind maßgeblich durch gewaltsame Konflikte geprägt – sie tragen nicht nur zur Flucht bei, sondern verhindern auch, dass Menschen an ihre Herkunftsorte zurückkehren können. Mit 15,9 Mio. befanden sich 2018 rund 78 % aller Flüchtlinge in langwierigen Aufnahmesituationen. Dies ist noch einmal ein deutlicher Anstieg gegenüber dem Vorjahr (2017: 13,4 Mio. bzw. 66% aller Flüchtlinge). Diese sogenannten Langzeitsituationen (engl. protracted refugee situations) erfasst UNHCR als jene, bei denen Flüchtlinge für mindestens fünf Jahre im Exil sind. In der Realität ist die Dauer jedoch häufig deutlich länger. 2018 waren 5,8 Mio. Menschen für mehr als 20 Jahre in Aufnahmeländern, manche sogar deutlich länger als 30 oder 40 Jahre. Zu letzteren zählen etwa afghanische Flüchtlinge im Iran und Pakistan sowie somalische Flüchtlinge in Kenia. Die nachstehende Grafik verdeutlicht die Anzahl und Dauer der Langzeitsituationen.

Eigene Darstellung (Ulrike Krause) auf Grundlage der Daten von UNHCR, siehe UNHCR (2019), Global Trends: Forced Displacement in 2018, S. 22-23.

Die vorherigen Verweise auf Herkunfts- und Aufnahmestaaten deuten bereits an, dass auch 2018 eine ungleiche Verteilung von Verantwortung zwischen den Ländern bestand. UNHCR stellt im Bericht heraus, dass 2018 etwa 17,1 Mio. bzw. 84 % aller Flüchtlinge unter UNHCR-Mandat in Entwicklungsländern lebten. Davon wurden 6,7 Mio. bzw. 33 % in am wenigsten entwickelten Ländern aufgenommen. Das wichtigste Aufnahmeland war 2018 erneut die Türkei mit 3,7 Mio. Flüchtlingen, überwiegend aus Syrien. An zweiter Stelle lag Pakistan mit rund 1,4 Mio. überwiegend afghanischen Flüchtlingen. Das kleine ostafrikanische Land Uganda beherbergte etwa 1,2 Mio. Flüchtlinge primär aus der Demokratischen Republik Kongo und dem Südsudan. Als einziges Industrieland befand sich 2018 Deutschland mit 1,1 Mio. aufgenommenen Flüchtlingen in der Liste der zehn wichtigsten Aufnahmestaaten (siehe nachstehend ‚Figure 6‘).

Quelle der Abbildung: UNHCR (2019), Global Trends: Forced Displacement in 2018, S. 17.

Diese Ungleichverteilung ist keinesfalls ein neuer Trend (siehe etwa die Blogbeiträge zu den Globalen Trends 2015, 2016 und 2017). Vielmehr reichen diese Entwicklungen bis in die 1960er Jahre zurück.

Zugang zu dauerhaften Lösungen verschlechtert sich weiter

Dass die Zahl der Zwangsmigrant*innen 2018 abermals angestiegen ist hängt auch damit zusammen, dass ein unzureichender Zugang zu den sogenannten dauerhaften Lösungen bestand. Als solche gelten die freiwillige Rückkehr, die Umsiedlung in aufnahmebereite Drittstaaten (engl. resettlement) und die dauerhafte lokale Integration, die eine Perspektive auf Einbürgerung für Geflüchtete bietet.

2018 konnten lediglich 593.800 Flüchtlinge in ihre Herkunftsländer zurückkehren, 2017 waren es noch 667.400. Laut UNHCR waren hierunter auch Personen, die in unsichere Verhältnisse zurückkehrten. Auch die Zahl der in Drittstaaten umgesiedelten Flüchtlinge ist weiter gesunken und lag 2018 bei 92.400 Menschen (2017: 102.800). Dies erfasst auch Umsiedlungen durch Staaten ohne UNHCR-Beteiligung und liegt weit entfernt von dem von UNHCR ermittelten Resettlement-Bedarf von 1,2 Mio. Flüchtlingen für 2018. Weitere 62.600 Flüchtlinge konnten sich 2018 in Aufnahmeländern dauerhaft integrieren und wurden dort eingebürgert (2017: 73.400).

Folglich erhielten 2018 nur rund 3,7% aller Flüchtlinge unter UNHCR-Mandat Zugang zu einer dauerhaften Lösung. Damit wird der Abwärtstrend bei den dauerhaften Lösungen fortgeführt. Denn 2017 lag die Quote bei 4,2% und 2016 bei 4,4% aller Flüchtlinge. Die unzureichende Lösungsfindung trägt letztlich zu den zuvor genannten Langzeitsituationen bei. Für die betroffenen Menschen bedeutet dies häufig ein Leben in prekären Bedingungen, da sie in vielen Aufnahmestaaten rechtliche Beschränkungen sowie limitierte Zugänge zu Arbeit, Bildung, Wohnraum und anderen Bedarfen haben.

Flucht in Ländern im Globalen Süden vs. Restriktionen in Ländern im Globalen Norden

Die meisten der geflüchteten Menschen haben aufgrund gewaltsamer Konflikte und Auseinandersetzungen ihre Herkunftsorte verlassen. Langanhaltende und wiederaufflammende Konflikte führen wiederum zu erneuten Fluchtbewegungen wie auch langwierigen Aufnahmesituationen, da die Menschen nicht an ihre Herkunftsorte zurückkehren können und andere dauerhafte Lösungen kaum zur Verfügung stehen. Dies gilt sowohl für Flüchtlinge als auch für Binnenvertriebene.

Die Hauptverantwortung für den Schutz der Menschen tragen die jeweiligen Aufnahmeländer, die zumeist in der Nachbarschaft von Krisenherden liegen. Laut UNHCR-Bericht lebten vier von fünf Flüchtlingen in einem Nachbarland ihres Herkunftsstaates. Allerdings bedarf der Schutz von Geflüchteten wie auch die Suche nach dauerhaften Lösungen internationaler Zusammenarbeit und der Teilung von Verantwortungen unter Staaten weltweit. Eben dies wurde sowohl in der New Yorker Erklärung von September 2016 als auch im Ende 2018 verabschiedeten Global Compact on Refugees von der Staatengemeinschaft zugesagt (für Blogbeiträge, siehe hier).

Doch die tatsächliche Antwort der meisten Regierungen der Länder im Globalen Norden fällt seitdem anders aus. Sie setzen den Kurs der vergangenen Jahre fort und halten an restriktiven Politiken fest bzw. bauen diese aus. Im Ergebnis wird der Zugang zu Schutz in europäischen Ländern und anderen Industriestaaten durch Politiken des Grenzschutzes und der Externalisierung immer weiter erschwert.

Während die Zahl der Schutzbedürftigen weltweit anhaltend steigt, sinkt die Zahl der Schutzsuchenden, die den gefährlichen Weg in Länder im Globalen Norden nehmen. Zugleich ist – entgegen aller öffentlicher Erklärungen – auch ein deutlicher Rückgang bei der Aufnahme über Resettlement-Programme zu beobachten.

Nördliche Staaten verstehen Verantwortungsteilung im Flüchtlingsschutz vor allem in finanzieller Hinsicht. Doch die zur Verfügung gestellten Mittel sind weiterhin vollkommen unzureichend. Dies stellt Aufnahmestaaten und humanitäre Organisationen wie UNHCR, aber selbstverständlich in erster Linie die Geflüchteten selbst vor große Herausforderungen. Auch diese Entwicklungen sind keineswegs neu, sondern seit vielen Jahren zu beobachten.

Es bleibt zu hoffen, dass auf dem neu geschaffenen Globalen Flüchtlingsforum, dass im Dezember 2019 erstmalig stattfinden wird, ein Paradigmenwechsel der globalen Flüchtlingspolitik eingeleitet wird. Im Vergleich zur Weltbevölkerung von etwa 7,63 Milliarden Menschen liegt der Anteil der schutzsuchenden Flüchtlinge, Asylsuchende und Binnenvertriebene nur bei etwa 0,9%. Vor diesem Hintergrund muss sowohl der Schutz als auch die Lösungssuche für diese Menschen eine durchaus machbare Aufgabe für die internationale Gemeinschaft darstellen.

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