Kein Anker für Schutzsuchende – eine Stellungnahme zu den geplanten AnkER-Zentren

Von Tim Röing, Esther Meininghaus und Simone Christ

 

Spätestens seit der Vorstellung des sogenannten Masterplans Migration durch Innenminister Horst Seehofer sind die geplanten AnkER-Zentren für Schutzsuchende in aller Munde. Doch welche Folgen ergeben sich eigentlich aus der Gestaltung dieser Einrichtungen für diejenigen, die in ihnen leben müssen?

 

AnkER – das steht für Ankunft, Entscheidung und Rückführung. Alle in Deutschland einreisenden AsylbewerberInnen sollen künftig in den so benannten AnkER-Zentren untergebracht werden, bis über ihren Antrag entschieden wurde. Dies geht aus dem sogenannten Masterplan Migration hervor, welchen Bundesinnenminister Horst Seehofer ausarbeiten ließ (die entsprechenden Angaben finden sich dort unter Punkt 32). Nach den Vorstellungen des Ministers sollen AntragstellerInnen, deren Anträge abgewiesen wurden, oder die bereits in einem anderen EU-Staat registriert sind, die Zentren gar nicht erst verlassen dürfen und direkt zurückgeführt werden. Erfolgreiche AntragstellerInnen werden schließlich auf Kommunen verteilt. Die maximale Verweildauer in den Zentren soll 18,  bzw. sechs Monate für Familien, nicht überschreiten. Zur Effizienzsteigerung sollen die Asylverfahren direkt vor Ort durchgeführt und alle beteiligten Behörden in den Zentren gebündelt werden. Statt wie bisher Taschengelder auszuzahlen, sollen die BewohnerInnen zudem in erster Linie Sachleistungen erhalten.

Seit seiner Vorstellung wird dieses Konzept viel diskutiert und kritisiert. Unter anderem heißt es, es sei illusorisch anzunehmen, dass Asylverfahren in derart kurzer Zeit durchführbar seien. Auch die lange Verweildauer wird kritisiert, genauso wie die zu befürchtende Beschneidung der Grundrechte der BewohnerInnen und die zumindest fragwürdige Annahme, alle abgelehnten AsylbewerberInnen auch tatsächlich abschieben zu können. Weniger im Fokus standen dabei die Folgen, welche sich aus dem Leben in einer derartigen Unterkunft für die BewohnerInnen selbst ergeben. Auf diesen Punkt wollen wir in dieser Stellungnahme eingehen.

 

Studienergebnisse: Konflikte in Gemeinschaftsunterkünften sind strukturell bedingt

Im Prinzip handelt es sich bei den AnkER-Zentren um nichts anderes als Flüchtlingslager, welche der Registrierung und Verteilung Geflüchteter dienen sollen. Wissenschaftliche Studien weisen schon seit Jahren darauf hin, dass das Leben in derartigen Lagern mit vielfältigen negativen Konsequenzen für die BewohnerInnen verbunden ist. Dies ist auch das Ergebnis einer Studie zu Konflikten in Flüchtlingsunterkünften, welche wir im vergangenen Jahr am Bonn International Center for Conversion erstellten und auf deren Grundlage wir Empfehlungen zur Konfliktprävention gaben. Die Studie beruht auf einer empirischen Forschung in insgesamt 33 Flüchtlingsunterkünften im Land Nordrhein-Westfalen zwischen September 2016 und Mai 2017.

Aus den Ergebnissen dieser Forschung lassen sich auch Rückschlüsse auf das Leben in den geplanten AnkER-Zentren ziehen. Die Studie konnte zeigen, dass Gemeinschaftsunterkünfte für Geflüchtete strukturell konflikthaft sind. Das dortige Leben ist gekennzeichnet durch fehlende Privatsphäre, Lärm, mangelnde Sauberkeit und ständigen Stress. Ganze Familien teilen sich oft ein oder zwei Zimmer, während es kaum Gemeinschaftsräume oder Rückzugsmöglichkeiten gibt. Menschen mit unterschiedlichen Tagesrhythmen und Ruhebedürfnissen halten sich so gegenseitig vom Schlafen ab und stören sich im Alltag.

Insbesondere für kleine Kinder, aber auch für alte und kranke Menschen bedeuten diese Zustände eine starke Belastung; die Stabilisierung traumatisierter Personen ist unter diesen Bedingungen fast unmöglich. Hinzu kommen Probleme mit der Hygiene: Waschräume und Toiletten sowie Küchen sind häufig verdreckt, weil sich niemand verantwortlich fühlt.

Die bauliche Struktur mancher Unterkünfte bedingt zudem ein starkes Unsicherheitsgefühl insbesondere für Bewohnerinnen. Dunkle, schlecht einsehbare Ecken, mangelhaft abgeschlossene Waschräume und ein unübersichtlicher Außenbereich stellen Angst-und Gefahrenräume dar, deren Umgehung zu einer beträchtlichen Bürde im Alltag werden kann. Auch die Anwesenheit eines Sicherheitsdienstes trägt oft nicht zu mehr Sicherheit bei.

Durch aggressives oder unangemessenes Auftreten oder mangelnde kulturelle Sensibilität können SicherheitsdienstmitarbeiterInnen sogar Konflikte erst eskalieren lassen, Machtmissbrauch und Gewalt sind, auch das zeigt unsere Studie, schwer zu verhindern.

 

Intransparente Asylverfahren

Als besonders konflikthaft stellten sich bei unserer Forschung jedoch die Effekte des Asylverfahrens heraus. Die Verfahren dauern lange und sind oft intransparent, weshalb die Entscheidungen für die AntragstellerInnen häufig nicht nachvollziehbar sind. Wir trafen Menschen aus Syrien und Afghanistan, die unterschiedliche Bescheide erhielten, obwohl sie aus demselben Herkunftsland, ja manchmal sogar aus derselben Familie stammten, was für sie unverständlich war. Mit unterschiedlichen Aufenthaltstiteln gehen jedoch auch unterschiedliche individuelle Rechte und Möglichkeiten einher: Menschen mit Asyl- oder Schutzstatus dürfen aus den Unterkünften ausziehen, Sprach-und Integrationskurse besuchen und eine Arbeit aufnehmen, andere jedoch nicht.

Da im engen Raum der Flüchtlingsunterkunft den BewohnernInnen diese Statusunterschiede nicht verborgen bleiben, kommt es oft zu Neid, Misstrauen und offener Feindseligkeit zwischen unterschiedlichen BewohnerInnengruppen. Ethnische und religiöse Solidarisierungen waren dabei häufig zu beobachten, genauso wie teils offener Rassismus. All diese Faktoren sorgen dafür, dass teilweise schon kleine Streitereien gewaltsam eskalierten.

Einige junge Männer, die aufgrund ihres Status oder anderer Faktoren keinen Zugang zum Arbeitsmarkt bekommen und auch sonst kaum Beschäftigungsmöglichkeiten finden, greifen zu Alkohol oder Drogen. In einigen Fällen wurde in unsere Studie auch von Kriminalität durch Personen berichtet, für die keine Aussicht auf rechtliche Anerkennung ihres Asylstatus besteht.  Die Folgen sind sehr negativ, insbesondere für unbeteiligte BewohnerInnen, aber auch das Umfeld der Unterkünfte. Erschwerend kommt hinzu, dass es an allgemeinen Standards und Maßstäben zur Sanktionierung problematischen Verhaltens fehlt und BetreuerInnen, MitarbeiterInnen, aber auch die Polizei oft hilflos sind. Zudem gibt es in vielen Unterkünften zu wenig und nicht ausreichend qualifiziertes Personal.

 

Pilotprojekt zum Dublin-Verfahren gescheitert

Es ist davon auszugehen, dass in den geplanten AnkER-zentren all diese Konflikte und Probleme geballt auftreten werden. In ihnen sollen abgelehnte AsylbewerberInnen bis zu ihrer Ausreise gemeinsam mit Menschen mit guter Bleibeperspektive untergebracht werden. Die Einrichtungen sollen zudem allem Anschein nach eine sehr große Zahl an Menschen- sowie gleichzeitig allein reisende Männer und Familien beherbergen. Insbesondere von gelangweilten und teils frustrierten Gruppen junger Männer, die keine Perspektive in Deutschland haben, geht jedoch potentiell ein hohes Kriminalitäts-und Gewaltrisiko aus, welches nicht nur für die Bewohner der Zentren, sondern auch für das Umfeld zur großen Belastung werden kann. So musste ein Pilotprojekt des Landes NRW zur gemeinsamen Unterbringung ausreisepflichtiger Dublin-Flüchtlinge mit Neuankömmlingen bereits nach kurzer Zeit aufgegeben werden. Zuvor war es zu massiven Beschwerden seitens der Nachbarschaft, aber auch zu mehreren Gewalttaten innerhalb und außerhalb der Unterkunft gekommen.

All dies lässt befürchten, dass die geplanten AnkER-Zentren zu einer Brutstätte von Konflikten werden könnten. Dies wäre ein Geschenk an alle politischen Kräfte, welche die Gewalttaten von Zuwanderern für ihre politische Agenda instrumentalisieren, während gleichzeitig die Aufnahme Schutzsuchender in den Augen der Bevölkerung weiter de-legitimiert würde. Aus wissenschaftlicher Sicht ist eine dezentrale Unterbringung Geflüchteter mit guter Betreuung, welche der Autonomie der BewohnerInnen Rechenschaft trägt, eindeutig vorzuziehen.

 

 

Teilen Sie den Beitrag

Facebook
Twitter
LinkedIn
XING
Email
Print