Klima- und umweltbedingte Flucht.

Von Dana Schmalz und Ulrike Krause 

Stehen Klima- und Umweltveränderungen mit Zwangsmigration im Zusammenhang? Können diese Veränderungen die Flucht und Vertreibung von Menschen verursachen und wenn ja, wieso? Wie werden diese Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen, völkerrechtlich geschützt?

 

Der Völkerrechtsblog und der FlüchtlingsforschungsBlog geben gemeinsam eine Serie von Beiträgen heraus, in deren Mittelpunkt diese und weitere Fragen zur klima- und umweltbedingten Flucht und Zwangsmigration stehen. Die Beiträge stammen von Expertinnen und Experten vornehmlich aus der Wissenschaft aber auch aus der Praxis. Jeder Beitrag nimmt eine andere disziplinäre Sicht auf das Thema und reflektiert spezifische Herausforderungen.

 

Klima- und umweltbedingte Flucht: Wovon sprechen wir?

Dass Klima- und Umweltveränderungen in verschiedenen Formen weltweit zu verzeichnen sind, wird wissenschaftlich kaum mehr in Frage gestellt. Vielmehr hat sich in den vergangenen Jahren eine Unterscheidung zwischen langsam einsetzenden und plötzlich auftretenden Erscheinungen etabliert. Beide können in einem so starken Ausmaß auf die Lebensgrundlagen und -bedingungen von Menschen wirken, dass die betroffenen Personen fliehen müssen. Die Folgen dieser Veränderungen können irreversibel oder reversibel sein.

Während diese grundsätzlichen Verbindungen von Klima- und Umweltveränderungen mit Flucht und Zwangsmigration wissenschaftlich weitgehend akzeptiert sind, gibt es unterschiedliche Definitionsansätze für die fliehenden Personen. Zum Beispiel definierte Essam El-Hinnawi Umweltflüchtlinge (englisch: environmental refugees) bereits 1985 als:

 „Menschen, die vorübergehend oder dauerhaft gezwungen wurden, ihren traditionellen Lebensraum zu verlassen, weil eine deutliche Umweltzerstörung (natürlich und/oder von Menschen ausgelöst) ihre Existenz gefährdet und/oder sich schwerwiegend auf ihre Lebensqualität auswirkt. Mit ‚Umweltzerstörung‘ in dieser Definition sind alle physischen, chemischen und/oder biologischen Veränderungen im Ökosystem (oder Ressourcen) gemeint, die das menschliche Leben vorübergehend oder dauerhaft negativ behindern.“ [Übersetzung aus dem Englischen; zitiert aus Müller et al. 2012: 19]

 

Frank Biermann und Ingrid Boas beziehen sich auf Klima(wandel)flüchtlinge (englisch: climate (change) refugees), die sie wie folgt definieren:

„Menschen, die ihre Lebensräume, sofort oder in naher Zukunft, aufgrund plötzlicher oder allmählicher Veränderungen in ihrer natürlichen Umgebung verlassen müssen, die mit mindestens einer von drei Folgen des Klimawandels verbunden sind: Meeresspiegelanstieg, extreme Wetterereignisse sowie Dürren und Wasserknappheit.“ [Übersetzung aus dem Englischen]

Daneben werden in der wissenschaftlichen Debatte vielfältige weitere Begriffsrahmungen vorgeschlagen und diskutiert.

 

Völkerrechtlicher Schutz bei klimabedingter Flucht?

Die völkerrechtliche Behandlung dieser unterschiedlichen Dimensionen von klima- und umweltbedingter Flucht ist komplex. Dies bezieht sich nicht zuletzt darauf, dass regelmäßig nicht ein spezifischer Fluchtgrund auszumachen ist, sondern die klima- und umweltbedingte Flucht auf multikausalen Zusammenhängen basiert.

Die Genfer Flüchtlingskonvention als Grundlage des internationalen Flüchtlingsrechts schützt grundsätzlich nur vor diskriminierender Verfolgung. Klimaveränderungen und Umweltkatastrophen bedrohen die Bevölkerung betroffener Gebiete jedoch zunächst unterschiedslos. Allerdings – so argumentiert beispielsweise Nora Markard in der ZAR – wirken sich die Veränderungen meist unterschiedlich stark auf Bevölkerungsgruppen aus, sodass auch unter geltendem internationalem Recht ein Umgang mit klimabedingter Flucht möglich scheint. Auch menschenrechtliche Normen, wie etwa die Europäische Menschenrechtskonvention, könnten als Grundlage dafür dienen.

Gerichtliche Praxis zur klimabedingten Flucht besteht hingegen bislang nicht. Viel diskutiert wurde ein Urteil in Neuseeland, das im Jahr 2014 Personen aus dem Inselstaat Tuvalu die Aufnahme gewährte. Die Personen wurden allerdings nicht ausdrücklich als Klimaflüchtlinge, sondern aus humanitären Gründen aufgenommen.

 

Aktuelle Entwicklungen

Seit einigen Jahren erhält das Thema nicht nur in der Wissenschaft, sondern zunehmend auch in der Politik, Praxis und den Medien Aufmerksamkeit. So setzen sich unter anderem UNHCR und IOM für den Schutz der Personen und die Integration des Themas in politischen Agenden ein. Dabei ist ein weltweites Ausmaß erkennbar.

In einem aktuellen Bericht hebt das Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC) hervor, dass zwischen 2008 und 2013 jährlich durchschnittlich 26,4 Millionen Menschen aufgrund Klima- und Umweltveränderungen vertrieben wurden bzw. fliehen musste. François Gemenne nimmt an, dass es 2050 ca. 150 Millionen Umweltflüchtlinge geben wird. Und auch wenn die Abschlusserklärung des G7-Gipfels nicht ausdrücklich die klimabedingte Flucht erwähnt, so lässt der Fokus auf den Klimawandel als internationale Aufgabe doch hoffen, dass auch die dadurch verursachte Zwangsmigration als Thema aufgegriffen werden wird.

 

Die Serienbeiträge

Die Beiträge der kommenden Wochen werden sich mit verschiedenen Aspekten des Themas Klima- und Umweltveränderungen sowie Zwangsmigration auseinandersetzen. Diesem Auftakt folgt ein Interview mit Walter Kälin über die Nansen-Initiative, die es sich zum Ziel gesetzt hat, den internationalen Schutz bei klima- und katastrophenbedingter Flucht zu verbessern. Anschließend wird Hélène Ragheboom die internationale Rechtslage von klima- und umweltbedingten ZwangsmigrantInnen genauer darstellen. Christiane Fröhlich und Michael Brzoska werden aus politikwissenschaftlicher Sicht die Zusammenhänge von Klimaveränderungen, Zwangsmigration und Konflikten untersuchen und vier Formen diskutieren. Die Serie schließt mit einem Beitrag aus der Praxis, in dem Sophia Wirsching von Brot für die Welt über globale Herausforderungen bei der Unterstützung der betroffenen Personen schreibt.

Alle Beiträge dieser Serie erscheinen parallel auf dem Völkerrechtsblog und dem FlüchtlingsforschungsBlog. Wir danken vorab allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern, freuen uns auf zahlreiche Kommentare und eine lebhafte Diskussion.

 

 

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