Nur wenige Tage nach Beginn der Klimakonferenz 2013 in Warschau traf der Taifun Haiyan die Philippinen. Es war einer der stärksten tropischen Stürme seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Schnell verbreitete sich auf der Konferenz die Nachricht von den verheerenden Folgen der Naturkatastrophe. Mehrere Tausend Menschen waren gestorben, Millionen waren obdachlos geworden. Yeb Sano, Delegierter der Philippinen, forderte die Weltgemeinschaft in einer bewegenden Rede dazu auf, den Stillstand in den Klimaverhandlungen zu durchbrechen und erklärte, auf der Konferenz so lange zu fasten, bis ambitionierte Verhandlungserfolge erreicht würden. Viele junge Aktivist_innen schlossen sich seinem Fasten an und zahlreiche Solidaritätsaktionen unter dem Motto „We stand with the Philippines“ folgten.
Die Konferenz selbst wurde allerdings alles andere als ein Durchbruch in den Klimaverhandlungen. Stattdessen war die massive Präsenz der Industrielobby auf der Konferenz so deutlich sichtbar, dass Klimaaktivist_innen das Konferenzgebäude schließlich in großer Zahl aus Protest verließen. Wieder einmal war deutlich geworden, dass jene Länder und Menschen, die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben, am meisten unter den Folgen leiden werden und zugleich kaum Möglichkeiten haben, die internationale Klimapolitik mitzugestalten.
Neu ist allerdings, dass die Folgen des Klimawandels nicht mehr in der Zukunft liegen, sondern bereits spürbare und sichtbare Auswirkungen haben und Klimakonferenzen daher inzwischen mit einer gewissen Regelmäßigkeit von Medienberichten über Extremwettereignisse begleitet werden. Es ist ein geradezu zynischer Zufall, dass die Philippinen auch ein Jahr später, während der Klimakonferenz in Lima 2014 von einem tropischen Sturm getroffen wurden, während die Aufbauarbeiten nach Haiyan noch lange nicht abgeschlossen sind.
Die spürbaren Folgen des Klimawandels verändern auch den Diskurs auf den Klimakonferenzen
Trotz nach wie vor fehlender politischer Fortschritte ist nicht zu leugnen, dass diese Entwicklungen sich auch in den internationalen Klimaverhandlungen niedergeschlagen haben. Bis vor wenigen Jahren wurde primär darüber diskutiert, die Emissionen von Treibhausgasen zu senken, um einen katastrophalen Klimawandel zu verhindern. Inzwischen stellt sich zunehmend die Frage, wie mit den aktuellen und zukünftigen Folgen des Klimawandels umgegangen werden sollte. Das heißt, es geht inzwischen nicht mehr nur um die Reduktion von Treibhausgasen (Mitigation), sondern auch um die Anpassung an die Folgen des Klimawandels (Adaption). Und schließlich wird insbesondere seit Warschau über einen dritten Bereich debattiert: Loss and Damage. An viele Folgen des Klimawandels wird es kaum Möglichkeiten der Anpassung geben. Schäden und Verluste – um es in der umständlichen Sprache internationaler Klimapolitik zu sagen – werden unvermeidlich sein. Oder, wie Yeb Sano es in Warschau ausdrückte: „Even as a nation familiar with storms, Haiyan was nothing we ever experienced before”. Die zentralen Fragen lauten: Wer kommt für die Kosten der Anpassung an den Klimawandel auf? Woher sollen Gelder für Hilfeleistungen bei zukünftig häufigeren und schwereren Extremwetterereignissen stammen? Und was passiert, wenn Menschen in ihrer eigenen Heimat aufgrund von Dürren, Überschwemmungen und Stürmen nicht mehr (über-)leben können?
Viele Nichtregierungsorganisationen (NGOs), kleine Inselstaaten und ärmere Länder haben deshalb in den vergangenen Jahren wiederholt gefordert, dass neben ambitionierten Reduktionszielen und finanziellen Mitteln zur Anpassung an den Klimawandel auch die Thematik der Klimaflucht bzw. des „climate change-induced displacement“ Eingang in ein neues internationales Klimaabkommen finde müsse. Dieser neue Fokus auf „Klimaflucht“ hat stark dazu beigetragen, dass sich die Perspektive auf die Thematik „Klimawandel“ inzwischen maßgeblich verschoben hat, denn hierdurch wird besonders deutlich akzentuiert, dass der Klimawandel massive Folgen für die Lebensgrundlagen von Millionen von Menschen haben wird und dass es eine Frage globaler Gerechtigkeit ist, dass die Industriestaaten ihrer historischen Verantwortung für den Klimawandel nachkommen.
Der Klimawandel verlangt vernetztes Denken und Handeln
Mit diesen Erweiterungen des Diskurses, ist ein zunehmendes Verständnis für die Vielschichtigkeit des Problems Klimawandel einhergegangen. Während der Klimawandel lange zum einen als sehr abstraktes, eher technisches Problem oder in verkürzter Form einfach als Umweltproblem verstanden wurde, werden inzwischen zunehmend verschiedenen Dimensionen und Perspektiven einbezogen und miteinander in Verbindung gebracht: Der Klimawandel spielt in völlig unterschiedliche Bereiche wie Armut und Entwicklung, Landwirtschaft, Energieversorgung, Wasserversorgung, Migration und militärische Konflikte hinein. Entsprechend können die Herausforderungen nur durch einen Ansatz angegangen werden, der viel stärker als bisher vernetztes Denken und Handeln beinhaltet. Dass diese Überlegung in der internationalen Klimabewegung, d.h. unter zivilgesellschaftlichen Akteuren, längst angekommen ist, zeigt sich an der gewachsenen Diversität der Gruppen, die jährlich zu den Klimakonferenzen anreisen. Längst sind nicht mehr nur Umweltorganisationen wie Greenpeace und der WWF involviert, sondern auch Frauen-, Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisationen sowie globalisierungskritische Gruppen bringen sich in die Debatte mit ein, vernetzen sich miteinander und entwickeln gemeinsame Positionen.
Klimaflucht und Menschenrechte auf der UN-Konferenz in Paris?
Entsprechend ist zu erwarten, dass insbesondere der 10. Dezember als internationaler Tag der Menschenrechte von vielen NGOs genutzt werden wird, um kurz vor dem Ende der UN-Klimakonferenz in Paris gemeinsam auf die sozialen Folgen des Klimawandels und insbesondere auf die Thematik „Klimaflucht“ hinzuweisen. Parallel hierzu haben sich Kampagnen gebildet, die Menschenrechte prominent, und nicht nur in der Präambel in dem neuen Klimaabkommen verankern wollen.
Diese Entwicklungen spiegeln sich allerdings nur begrenzt in den derzeitigen internationalen Verhandlungen wieder. Derzeit ist offen, ob und inwieweit Klimaflucht in einem neuen Klimaabkommen eine Rolle spielen wird. Während „climate change displacement“ als Thema in den vergangenen Monaten durchaus in den Entwürfen eines neuen Abkommens enthalten war und dort auch recht konkrete Maßnahmen vorgesehen waren, waren die betreffenden Paragraphen im Zuge einer deutlichen Kürzung des Entwurfs Anfang Oktober nicht mehr zu finden. Dies unterstreicht, dass einige Staaten durchaus – wie auch im Bereich Loss and Damage insgesamt – ein großes Interesse daran haben, Themen vom Tisch zu nehmen, welche die historische Verantwortung der Industriestaaten für den Klimawandel berühren.
Gerade angesichts der aktuell teilweise extrem aufgeheizten Stimmungsmache gegen Flüchtlinge in vielen europäischen Ländern wird es eine Herausforderung werden, auf die historische Verantwortung der Industrieländer für den Klimawandel und damit auch seine Folgen hinzuweisen und eine adäquate Unterstützung der betroffenen Menschen und vor allem der Flüchtlinge zu erreichen. Auf der anderen Seite könnte gerade die derzeit hohe mediale Aufmerksamkeit für die Flüchtlingsproblematik dazu beitragen, dass es den Delegationen der Industriestaaten schwerer fällt, das Thema gänzlich zu ignorieren.
Nichtregierungsorganisationen sprechen allerdings bereits bewusst von der „Road through Paris“ und nicht von der „Road to Paris“. Auch ein halbwegs ambitioniertes Pariser Abkommen wird nicht mehr als ein Puzzleteil sein, sowohl mit Blick auf die rasche Reduktion von Treibhausgasen als auch mit Blick auf die Thematik der Klimaflucht.
Dieser Beitrag ist Teil der Serie zur klima- und umweltbedingten Flucht, die gemeinsam durch den Völkerrechtsblog und den FlüchtlingsforschungsBlog herausgegeben wird.