Der Franc-CFA steht im Zentrum der neokolonialen Beziehungen Frankreichs zu mehreren westafrikanischen Staaten. Kritiker:innen werfen der Währung vor, die wirtschaftliche Entwicklung der Region zu behindern und dadurch Flucht- und Migrationsbewegungen nach Europa zu begünstigen. Diese Kritik wird zunehmend von rechtspopulistischen Akteur:innen oft mit irreführenden Argumenten aufgegriffen. Doch wie stark ist der Zusammenhang zwischen der Währung und Migration tatsächlich? Aus ökonomischer Sicht bindet der CFA-Franc die westafrikanischen Staaten an die EU, schränkt jedoch ihren Spielraum für eine eigenständige Entwicklung erheblich ein. Der Beitrag geht der Frage nach, wie berechtigt die Kritik ist und wer sie aus welchen Gründen formuliert.
In der Migrationsforschung wird zunehmend über die Rolle des Kolonialismus und die Entstehung aktueller Machtverhältnisse und Bewegungsmuster nachgedacht. Dieser „historical turn“ widmet sich auch dem Gewicht von kolonialen Strukturen und der wirtschaftlichen Abhängigkeit. Ein häufiges Narrativ in der Forschung, aber auch in der Politik stellt einen direkten Bezug zwischen der wirtschaftlichen Ausbeutung Afrikas und Migrationsbewegungen nach Europa her. Ein prägnantes Beispiel für diese post-koloniale Dynamik ist die Kontroverse um den Franc CFA, der Währung von 14 west- und zentralafrikanischen Staaten, da er einen Ansatzpunkt für die ambivalenten Beziehungen zwischen Frankreich und den ehemaligen Kolonien darstellt. Der Franc CFA wurde 1945 während der Kolonialzeit geschaffen und mit einem festen Wechselkurs an den französischen Franc und später an den Euro gebunden.
Ökonomen wie Ndongo Samba Sylla oder Kako Nubukpo erforschen die Effekte des Franc CFA auf die westafrikanischen Staaten und kommen zu dem Ergebnis, dass der feste Wechselkurs und die Einlagerung der Devisen bei der französischen Zentralbank Nachteile für die Staaten der franc zone sind. Für die beiden kritischen Ökonomen wird es mit dem CFA-Franc keine selbst kontrollierte, freie und nachhaltige Entwicklung geben. Weitere Kritiker:innen sowohl in Europa als auch in Afrika werfen dieser Währung zudem vor, die wirtschaftliche Entwicklung der CFA-Staaten zu hemmen und Migrant:innen zur Flucht nach Europa zu treiben. Dieser Beitrag zeigt, wie nun auch rechte Akteur:innen im Globalen Norden diese post-koloniale Kritik für ihre eigene Zwecke kapern, etwa um Flucht und Migration weiter zu delegitimieren. Dabei verklären Rechtspopulist:innen die Auswirkungen der Verbindungen zu Frankreich auf tatsächlichen Migrationsbewegungen. Außerdem treibt der Wille, von ehemaligen KolonialmächtenAbstand zu nehmen, afrikanische Staaten in neue Abhängigkeitsverhältnisse, etwa mit Russland.
Kritik am CFA-Franc: Instrumentalisierung der post-kolonialen Kritik von Rechts in Europa
Bereits 2019 kritisierte die damalige Abgeordnete Giorgia Meloni in einer Talkshow explizit den Franc CFA und macht das Währungssystem für die Flucht- und Migrationsströme nach Europa verantwortlich: „Der Franc CFA ist eine koloniale Währung, die Frankreich für 14 afrikanische Länder druckt“, um „die Ressourcen dieser Nationen auszubeuten“. Folglich würden diese Länder verarmen, und die Bevölkerung aufgrund von Perspektivlosigkeit nach Europa treiben, so Meloni. Melonis Äußerungen greifen die Frankreichkritik des ehemaligen italienischen Außenministers Luigi Di Maio von der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung auf. Di Maio sieht im Franc CFA einen Hauptgrund für Flucht und Vertreibung und folglich für die Migrationskrise an italienischen Küsten. Laut Meloni sei die Lösung, nicht Afrikaner:innen in Europa aufzunehmen, „sondern Afrika, von den Europäern zu befreien, die den Kontinent ausbeuten“.
Diese Äußerungen sind taktische Aneignung von antikolonialer Kritik. Meloni und anderen rechtspopulistischen Stimmen geht es hierbei nicht um Souveränität für afrikanische Staaten, sondern um die Rechtfertigung ihrer repressiven migrationspolitischen Agenda und ein Verlagern der Verantwortung für Schutzsuchende von Italien nach Frankreich. Der Bezug zum französischen Kolonialismus ist daher hier primär ein rhetorischer Trick, da der Franc CFA keineswegs das alleinige Problem für Migrations- und Fluchtbewegungen über das Mittelmeer ist. Außerdem ist es nicht nur Frankreichs Verantwortung, sondern ein europäisches Anliegen, denn der Franc-CFA ist an den Euro gekoppelt. Im Grunde geht es um eine berechtigte Kritik an kolonialen Strukturen. Diese Vereinnahmung tut der Debatte nicht gut, denn es gibt keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen Flucht- und Migrationsströmen und dem Franc CFA. Für europäische und afrikanische Öffentlichkeiten ist dieser Rechtspopulismus mit antikolonialem Anstrich insofern sehr problematisch. Was genau steckt hinter dieser narrativen Konvergenz oder dem Kapern berechtigter Kritik von rechten Akteur:innen?
Kritik am CFA-Franc in Westafrika
Der Vorwurf der wirtschaftlichen Abhängigkeit von Frankreich hat seit langer Zeit Konjunktur. Benins Präsident Patrice Talon sowie der verstorbene Präsident Tschads, Idriss Déby, kritisieren den CFA-Franc als Relikt der kolonialen Vergangenheit und fordern eine stärkere wirtschaftliche Unabhängigkeit ihrer Länder. Viele junge Menschen in Westafrika nehmen heute den Franc CFA als koloniales Relikt wahr. Der senegalesische Präsident Bassirou Diomaye Faye machte 2024 Wahlkampf mit seiner Ankündigung, aus dem Franc Zone auszusteigen. Souveränität, Unabhängigkeit von Frankreich und die Schließung der französischen Militärbasen sind die Themen mit denen Faye die Wahlen gewonnen hat.
Abbildung 1: Franc Zone

Grün: CFA-Franc BCEAO (Wirtschaftsunion UEMOA)
Rot: CFA-Franc BEAC (Wirtschaftsunion CEMAC)
Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/CFA_franc
Aus antikolonialer, linker Perspektive wird ebenfalls argumentiert, dass die CFA-Franc Währung zur strukturellen Schwächung der westafrikanischen Volkswirtschaften beiträgt und junge Menschen in die Migration drängt. Diese Sicht ist plakativ, da sie andere Faktoren wie Konflikte und Veränderungen der Ökosysteme in den Schatten stellt. Fest steht allerdings, dass die starke wirtschaftliche und monetäre Bindung an Frankreich historisch ein Migrationssystem begünstigt, das tief in der sozioökonomischen Struktur der afrikanischen Länder verankert ist. Im Senegal, Togo und Kamerun machen Rücküberweisungen 10 % des Bruttoinlandsprodukts aus. Rücküberweisungen aus dem Euroraum in die CFA-Zone werden auch begünstigt durch den festen Wechselkurs zwischen CFA und Euro. Die Gebühren für Geldtransfers aus Europa in CFA-Staaten wie Senegal oder Kamerun sind deutlich geringer als in nicht CFA-Staaten. Das ist ein positiver Nebeneffekt auf dem Migrationskorridor zwischen Westafrika und Europa. Dieser Anschein trügt jedoch, denn trotz der Kopplung an den Euro und der historischen Verbindung zu Frankreich, ist die Mobilität für Westafrikaner:innen durch hohe Visaanforderungen stark eingeschränkt. Für antikoloniale Stimmen wie Achille Mbembe ist daher die Erteilung von Migrationsrechten an ehemals kolonialisierte und ausgebeuteten Völker zentral. Diese Forderung nach postkolonialer Gerechtigkeit und Migrationsrechten steht im starken Widerspruch zum rechtspopulistischen Narrativ.
Ndongo Samba Sylla weist darauf hin, dass die CFA-Staaten wenig wirtschaftspolitischen Spielraum haben und kaumNeuverschuldung aufnehmen können. Damit Frankreich den festen Wechselkurs garantieren kann, müssen die CFA-Staaten 50% ihrer Devisenvorräte bei der französischen Zentralbank einlagern. Daher gibt es wenig Raum für weitgreifende Investitionen in Infrastruktur oder Beschäftigungsprogramme. Anders als in der Eurozone, wo sich der starke Binnenhandel (70%) positiv auf die regionale Integration und Mobilität auswirkt, ist dies in der Franc Zone das komplette Gegenteil. Der Handel zwischen CFA-Staaten ist deutlich geringer (5-10% des gesamten Handelsvolumens) als der europäische Binnenhandel. Der CFA ist kein integrierender Faktor für die afrikanischen Volkswirtschaften, sondern verstärkt die Asymmetrie zum europäischen Markt. Die EU, insbesondere Frankreich ist mit Abstand der wichtigste Markt für die CFA-Staaten (zwischen 40-60% des Handelsvolumens). Die kleinen Volkswirtschaften der franc zone haben schlechte Karten gegen die starke Konkurrenz aus Europa.
Diese enge wirtschaftliche Integration mit Frankreich, institutionalisiert durch den CFA-Franc, schuf Kontinuität: aus dem früheren erleichterten Zugang zum französischen Arbeitsmarkt entstanden Netzwerke, die heute noch Migrationsaspirationen und -routen, aber auch eine Diaspora bestimmen, deren Geldtransfers heute als Rückgrat ganzer Regionen wirkt. In diesem Sinne war und ist Migration nicht bloß eine Reaktion auf aktuelle Armut oder Konflikte, sondern Ausdruck langfristiger historischer Entwicklungen. Pfadabhängigkeiten. Melonis Behauptung greift daher zu kurz: Es ist nicht der CFA-Franc, der Migration antreibt. Vielmehr wirkt er als Teil eines größeren Systems postkolonialer Verflechtungen, das wirtschaftliche Alternativen begrenzt und transnationale Mobilität begünstigt. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Migration aus der CFA-Zone muss diese Verflechtungen historisch und strukturell denken.
„Syndrom des falschen Freundes“
Die rechtspopulistischen Aneignungen von antikolonialen Diskursen, wie in diesem Fall am Beispiel des Franc CFA, geht einher mit neuen machtpolitischen Allianzen. Melonis transaktionaler Ansatz, der auf die Instrumentalisierung von Flüchtlingszahlen bzw. Quoten und einer Abschirmung der Festung Europas in Nordafrika abzielt, kommt gut an bei Regimen, die selbst mit Souveränität und einer Reduzierung der Flüchtlingszahlen werben. Europäische Migrationspolitik wurde in den letzten Jahren vermehrt nach Nordafrika externalisiert. Meloni und der tunesische Präsident Kais Saied haben mit der Bekämpfung von Migration aus Subsahara-Afrika einen gemeinsamen Nenner gefunden. Populismus funktioniert sowohl in Tunesien, beim Heraufbeschwören einer „afrikanischen Migrationsverschwörung“ als auch in Italien. Bei dieser populistischen Allianz sind alle Mittel recht, wie die Berichte zu „Desert Dumps“ zeigen. Der Wirtschaftsgeograph Stefan Ouma bezeichnet dies als „Syndrom des falschen Freundes“.
Die antikoloniale Geste dient im Fall Melonis eigentlich der Abschottung und ist kein Zeichen von historischer Verantwortung, Aufarbeitung oder Verbundenheit. Auch im globalen Kampf um Macht und Einfluss wird die postkoloniale Kritik instrumentalisiert. So weist Ouma darauf hin, dass Russland ein zentraler Akteur in der Instrumentalisierung antikolonialer Rhetorik ist. Insbesondere in den Sahelstaaten, Mali, Niger und Burkina Faso, welche die Allianz der Sahelstaaten (AES) gegründet und den Ausstieg aus der Franc Zone verkündet haben, gibt es ein positives Russlandbild. Dies hängt auch damit zusammen, dass die Sowjetunion sowohl militärisch als auch ideologisch die Unabhängigkeitsbewegungen in Staaten wie Mali, Senegal oder Burkina Faso unterstützt hat. Der gemeinsame Antiimperialismus der 1960er hat jedoch nur wenig mit heutiger russischer Realpolitik und Einsätzen der Wagner Truppe zu tun.
Am Beispiel des staatlich finanzierte Mediennetzwerk Russia Today (RT) lässt sich zeigen, wie kompatibel das rechtspopulistische Spektrum mit linken antikolonialen Stimmen, auch aus afrikanischen Ländern, ist. Wie kaum ein anderes Medium veröffentlicht RT Beiträge in Dauerschleife, die Frankreichs Neokolonialismus kritisieren. RT unterstützt den einflussreichen Anti-CFA Aktivisten Kemi Seba, der seit 2017 Demonstrationen in westafrikanischen Hauptstädten organisiert. Er wurde bekannt, als er in Dakar auf offener Straße einen Franc CFA Schein verbrannt hat. Einerseits gilt er in Westafrika als populärer Kritiker des CFA. Er mobilisiert zehntausende junge Menschen mit seiner antikolonialen Rhetorik, organisiert Proteste und tritt in Medien und Universitäten auf. Seit 2024 ist er Berater der nigrischen Militärregierung, die den Austritt aus der CFA-Zone bekannt gegeben hat. Andererseits ist sein Werdegang von problematischen Allianzen und ideologischen Brüchen geprägt. Séba steht exemplarisch für die komplexe Gemengelage aus Populismus, Widerstand und Manipulation in postkolonialen afrikanischen Öffentlichkeiten.
Koloniale Kontinuitäten verstehen und hinterfragen
Der ursprüngliche Name der Währung CFA – „colonies francaises d’Afrique“ (Französische Kolonien Afrikas) steht symbolisch für die Problematik des französischen Kolonialismus und heutige Erinnerungs- und Aufarbeitungspolitik. Insofern ist die Debatte um den CFA-Franc ein aufschlussreicher Fall, da sich hier Deutungskämpfe rund um Faktoren von postkolonialen wirtschaftlichen Abhängigkeiten und Migrationsmustern überschneiden. Sie zeigt, wie antikoloniale Kritik vereinnahmt wird, um beispielweise Abschottung zu legitimieren. Diese Debatte sollte in ihrer wirtschafts- und migrationspolitischen Dimension ernst genommen werden, um eine einseitige Instrumentalisierung zu vermeiden. In der Migrationsforschung ist es ratsam, wie von Christiane Reineke und Isabella Löhr vorgeschlagen, einen „reflexiven Umgang“ mit Kolonialismus zu pflegen. Ein reflexiver Umgang mit kolonialem Erbe bedeutet sowohl auf berechtigte Kritik als auch auf Instrumentalisierung einzugehen.