Migrationsdiskurse in deutschen Medien sind überwiegend problemzentriert und defizitorientiert. Die Berichterstattung über die „Willkommenskultur“ im Zuge des langen Sommers der Migration schien diesen diskursiven Fokus zu verändern. Doch schon mit dem Diskursereignis „Silvesternacht in Köln“ wurden altbekannte Bedrohungsnarrative und kulturalistische Verallgemeinerungen über „die Anderen“ evident und prägten die Folgejahre. Rechte Diskursverschiebungen seit 2023 zeigen, wie erfolgreich die AfD mittels Medienarbeit andere Parteien vor sich hertreibt und damit Rassismus sowie restriktive Asyl- und Migrationspolitiken befördert. Die Medien fungieren dabei weiterhin als Instanz, die die asyl- und migrationsfeindlichen Diskurse zwischen Politik und Öffentlichkeit vermittelt. Was den Mediendiskursen noch häufig fehlt, sind migrantische Perspektiven auf heterogene Lebensrealitäten sowie wissenschaftliche Expertise, die die populistischen Aussagen von Politiker*innen als solche erkennbar macht.
Im langen Sommer der Migration im Jahr 2015 schien es kurz so, als würde der überwiegende Teil der Medien das Recht, in Deutschland Schutz zu suchen, anerkennen und begrüßen. Das Wort „Willkommenskultur“ etablierte sich in der Berichterstattung und verwies auf das große Engagement desjenigen Teils der Bevölkerung, der geflüchtete Menschen willkommen heißt und Unterstützung anbietet. Zahlreiche Menschen, die Anfang September 2015 am Münchner Hauptbahnhof die aus Budapest ankommenden Menschen begrüßten, wurden zum Symbol dieser „Willkommenskultur“. Überschwänglich berichteten Medien von den helfenden, großzügigen, barmherzigen und engagierten „Deutschen“. Und tatsächlich war das Engagement beeindruckend. Neben freiwillig Engagierten setzten auch die meisten kommunalen Verwaltungen viel daran, die Unterbringung und die Erstversorgung der rund 890.000 Menschen, die 2015 einreisten, zu organisieren. Verschiedene Diskursereignisse hatten im langen Sommer der Migration dazu beigetragen, dass die mediale und politische Aufmerksamkeit von der Problemorientierung auf den Hilfe-Topos umschwenkte. Besonders zentral war dabei sicherlich das Bild des toten zweijährigen Alan Kurdi, der bei der Überfahrt von der Türkei nach Griechenland ertrunken ist. Dieses Bild führte die Brutalität eines auf Abschottung ausgerichteten europäischen Asylsystems vor Augen und motivierte viele Medienschaffende zu der Sichtweise, dass es so nicht weitergehen kann.
„Willkommenskultur“
Der Begriff der „Willkommenskultur“ hat eine Vorgeschichte. Er wurde in den 2000er Jahren als Versuch eines migrationspolitischen Paradigmenwechsels von Seiten der damaligen Berliner Stadtregierung, einer Koalition aus SPD und Linken, eingeführt, später dann auch bundespolitisch übernommen. Der damals bereits absehbare massive Fachkräftemangel in Deutschland sollte durch Zuwanderung abgefedert werden. Insofern sollte eine „Willkommenskultur“ in der Verwaltung die Attraktivität für potentielle Zuwanderer*innen stärken. Erwünscht war jedoch lediglich die Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte. Insofern selektierte die Rede von der „Willkommenskultur“ bereits damals in erwünschte und unerwünschte Migration.
2015 wurde der Begriff dann öffentlich-medial zum allgegenwärtigen geflügelten Wort. Sogar die in der Regel den rechtspopulistischen Diskurs befeuernde BILD stimmte in diesen Kanon positiver Selbstzuschreibungen ein. In diesem Sinne wird der Begriff bis heute mit der großen Hilfsbereitschaft in der „deutschen“ Bevölkerung bei der Aufnahme von Geflüchteten assoziiert – wenngleich in anti-migrantischen Kontexten auch in verächtlicher Weise. Akpınar und Wagner machen jedoch deutlich, dass die Berichterstattung über die „Willkommenskultur“ nicht mit der Berichterstattung über Migration zu verwechseln ist, sondern als positive nationale Selbstrepräsentation „der Deutschen“ verstanden werden muss. In seinem Selbstbezug beinhaltet der Begriff insofern auch eine deutlich paternalistische und trennende Tendenz: „Wir“ helfen „den Anderen“.
Rückkehr zur Problemorientierung
In der bislang umfangreichsten diskursanalytischen Studie zur medialen Berichterstattung im langen Sommer der Migration und danach untersuchten Margarete Jäger und Regina Wamper vom Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung knapp 700 Artikel im Kontext mehrerer Diskursereignisse zwischen September 2015 und März 2016, also von der Entscheidung Merkels, die auf der Balkanroute festsitzenden Schutzsuchenden aufzunehmen, über die islamistischen Terroranschläge in Paris und die Silvesternacht in Köln bis zum Zustandekommen der EU-Türkei-Erklärung, die die Einreise von Schutzsuchenden in die EU reduzieren sollte. Die Studie zeigt den Backlash nach der „Willkommenskultur“-Debatte. Diskurse wandelten sich – vom Bild der Flucht als legitimes Mittel Schutzsuchender und einer daraus abgeleiteten Notwendigkeit, Schutz zu gewähren, hin zu einem Bedrohungsszenario, das verhindert werden muss. Die Beobachtung einer Diskursverschiebung, die Ende 2015 begann und spätestens Anfang 2016 überdeutlich wurde, teilen zahlreiche Forscher*innen – etwa Engel et al. und Hafez. Besonders „Köln“ steht in diesem Zusammenhang für ein zentrales (Diskurs-)Ereignis, das den Fluchtdiskurs von der „Willkommenskultur“ in alte Bahnen zurückwarf. In Folge der massiven sexualisierten Übergriffe gegen Frauen auf der Kölner Domplatte und im Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht 2015/2016 wurden die Täter als „Nordafrikaner“, „Muslime“ und „Flüchtlinge“ markiert und so die sexualisierte Gewalt als Gewalt muslimischer Männer kulturalisiert.
Der Rückblick auf ältere Mediendiskurse zeigt, dass die positiven Konnotationen des Jahres 2015 eine Ausnahme in einer langen Kontinuität problem- und defizitorientierter Flucht- und Migrationsdiskurse darstellen. Diskursive Konjunkturen im Migrationsdiskurs der BRD betrafen „Flüchtlinge“ und „Vertriebene“ der Nachkriegszeit, „Gastarbeiter“ und „Ausländer“ in den 1970er Jahren, später auch „die Türken“, „Asylbewerber“ und „Flüchtlinge“ in den 1980er und 1990er Jahren, „den Islam“ spätestens seit 9/11, dann wieder „Flüchtlinge“ seit 2013. Was nach 2015 folgt, ist insofern eine „Wiederbelebung und Weiterentwicklung persistenter Narrative, wie sie bereits für frühere Immigrationsphasen nachgewiesen wurden“, so Engel et al. Dass viele Medien die immer selben Diskurse reproduzieren, kann mit einem dominanten Repräsentationsgefüge erklärt werden.
Das dominante Repräsentationsgefüge
Mit dem Begründer der Cultural Studies, Stuart Hall, können unter einem dominanten Repräsentationsgefüge die in Medien vorherrschenden und diskursiv vermittelten Sichtweisen über „die Anderen“ verstanden werden, die sich in ihrer ständigen Wiederholung und gegenseitigen Bezugnahme reproduzieren. Auch Gegendiskurse sind Bestandteil dieser gesellschaftlichen und medial vermittelten Aushandlungsprozesse; sie sind jedoch weniger hör- und sichtbar. Das dominante Repräsentationsgefüge besteht aus mindestens drei Diskurssträngen – einem Identitätsdiskurs, einem ökonomistischen Diskurs und einem Ordnungs- und Kontrolldiskurs. Der Identitätsdiskurs unterscheidet über die Differenzmarker Race, Kultur, Ethnie, Nation und Religion zwischen einem „Wir“ und „den Anderen“. Dabei werden „die Anderen“ oftmals zu einer scheinbar homogenen Gruppe vereinheitlicht und entsubjektiviert, wodurch Vorurteilen Vorschub geleistet wird. Der ökonomistische Diskurs bewertet „die Anderen“ nach Kosten- und Nützlichkeitserwägungen. Dabei sind zwei Seiten dieser einen Medaille zu unterscheiden: Beruflich qualifizierte Einwanderung wird aus Gründen der Fachkräftegewinnung und der demografisch bedingten Belastung des Rentensystems in der Regel befürwortet. Fluchtzuwanderung wird dagegen oft als ökonomische Belastung dargestellt, da es geflüchtete Menschen oft erst nach Jahren des Aufenthalts in Deutschland in den Arbeitsmarkt schaffen (nicht zuletzt aufgrund rechtlicher Beschränkungen und mangelnder Sprachförderung). Maßstab für diese ökonomistischen Erwägungen ist der vermutete Nutzen für das imaginierte deutsche „Wir“. Im Ordnungs- und Kontrolldiskurs wird Fluchtzuwanderung als Bedrohung der inneren Sicherheit, also wiederum für das „Wir“, problematisiert, womit ordnungspolitische bzw. repressive asyl- und migrationspolitische Maßnahmen legitimiert werden.
Kurzes Revival der „Willkommenskultur“ und massiver Rechtsruck
Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine am 22. Februar 2022 und in den darauffolgenden Monaten flohen über eine Million Ukrainer*innen nach Deutschland. Erneut zeigte sich in der Bevölkerung und medial zunächst eine große Aufnahmebereitschaft. Diese ging jedoch teilweise einher mit einer rassifizierenden Differenzierung von Geflüchtetengruppen, die suggerierte, dass ukrainische Geflüchtete mehr Mitgefühl und Unterstützung verdienen würden als Geflüchtete aus afrikanischen oder arabischen Ländern. Die erstmalige Anwendung der EU-Massenzustromrichtlinie verweist auf eine neue (asyl-)politische Handhabung der Aufnahme von Geflüchteten, die sich diskursiv in Medien in einer insgesamt positiveren Repräsentation ukrainischer Geflüchteter niederschlug. Zwar ist die Studienlage noch dürftig, aber deuten darauf hin, das ukrainische Geflüchtete medial positiver repräsentiert wurden als andere Geflüchtetengruppen. Das heißt nicht, dass gängige Bestandteile des dominanten Repräsentationsgefüges nicht auch auf ukrainische Geflüchtete angewandt wurden, wie beispielsweise der vom damaligen CDU-Vorsitzenden und heutigen Bundeskanzler Friedrich Merz geäußerte Vorwurf des Sozialtourismus. Dennoch: „Willkommenskultur“-Diskurse überlagerten 2022, wie auch schon 2015, zeitweise das dominante Repräsentationsgefüge, das aber gleichzeitig und unablässig die Mediendiskurse durchdringt.
Rund ein Jahr später, im Herbst 2023, entflammte der rassistische, insbesondere asylfeindliche Diskurs dann jedoch erneut. Friedrich Merz behauptete in der Sendung WELT Talk, 300.000 abgelehnte Asylsuchende würden zum Schaden der deutschen Bevölkerung das Gesundheitssystem ausnutzen: „Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine.“ Immerhin: Diese in jeder Hinsicht falsche Aussage wurde von verschiedenen Kommentator*innen als populistisch bezeichnet. Dennoch heizte Merz damit einen rassistischen Asyldiskurs an, dem viele Spitzenpolitiker*innen folgten. Im Oktober 2023 legitimierte Jens Spahn als stellvertretender Unionsfraktionsvorsitzender in einem Podcast der Nachrichtenseite The Pioneer „physische Gewalt“ als Mittel des Grenzschutzes. Christian Lindner und Marco Buschmann, damals FDP-Minister meinten in einem Gastbeitrag für die WELT am Sonntag, dass „unter ganz besonders engen Voraussetzungen […] sogar eine Absenkung von [Asylbewerber]Leistungen quasi auf ‚null‘ denkbar [wäre]“, obwohl diese Forderung verfassungswidrig ist. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder forderte das Grundrecht auf Asyl abzuschaffen. Und der damalige Kanzler Olaf Scholz ließ sich auf dem Cover des SPIEGEL ablichten mit dem Zitat: „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben.“ Damit war der Ton der Landtagswahlen, die im September 2024 in Sachsen, Thüringen und Brandenburg anstanden, gesetzt. Die Vorstellung, dass die Übernahme rechter Narrative die AfD schwächen könnte, hat sich in Studien nicht bewahrheitet – im Gegenteil, diese Strategie kann rechte Parteien stärken. Vielmehr zeigen Studien, dass demokratische Werte umso stärker erodieren, wenn rechte Positionen von Mainstream-Politiker*innen übernommen werden. Die von CDU/CSU, SPD, FDP, BSW und teilweise von den Grünen mitgetragene und durch vielen Medien affirmativ und unkritisch transportierte rechte Diskursverschiebung hat der AfD offenbar genützt. Sie gewann deutlich bei den Landtagswahlen und erreichte mit jeweils rund 30 Prozent der Stimmen den ersten (Thüringen) und den zweiten Platz (Sachsen, Brandenburg). Eine Studie des DeZIM zeigte im September 2024, dass viele in Deutschland lebende Menschen, insbesondere mit nicht-deutschen und nicht-europäischen Herkünften, aufgrund der rechten Diskursverschiebung und der von der Rechercheplattform correctiv aufgedeckten Pläne eines extrem rechten Netzwerks zur massenweisen Deportation (im rechten Sprech und von Medien übernommen: „Remigration“) existenzielle Ängste haben und Abwanderung in Erwägung ziehen.
Ende des Jahres 2024 kamen weitere Diskursereignisse hinzu, die wiederum im Vorfeld der vorgezogenen Bundestagswahl am 23. Februar 2025 den asylfeindlichen Mediendiskurs perpetuierten bzw. zuspitzten. Einschlägige Analysen dieser Mediendiskurse fehlen noch. Drei Männer, die im Mediendiskurs vor allem als „Migranten“ charakterisiert wurden, töteten bei Attentaten bzw. Anschlägen in Solingen, Magdeburg und Aschaffenburg insgesamt elf Menschen und verletzten zahlreiche weitere. Dies führte zu einem massiven politischen und medialen Bedrohungsdiskurs. Insbesondere Menschen, die aus Afghanistan und Syrien nach Deutschland geflohen waren, wurden generalisierend als Gefahr für die öffentliche Sicherheit dargestellt. Aus den Reihen der Unionsfraktion kamen entsprechende Forderungen, nach Afghanistan und Syrien abzuschieben und keine Asylanträge aus diesen Ländern mehr anzunehmen. Die AfD verdoppelte bei der Bundestagswahl ihr Wahlergebnis und kam auf 20,8 Prozent der Stimmen.
Was fehlt?!
Die politische und mediale Diskursverschiebung nach rechts und damit einhergehende restriktivere Migrationspolitiken wurden von zahlreichen Wissenschaftler*innen in diversen Stellungnahmen beklagt, etwa in der Forderung der Migrationsforscher*innen Pichl, Krause und Markard nach einem Menschenrechtspakt, in der Verteidigung der Migrationsgesellschaft der Transforming-Solidarities-Gruppe, in der Forderung nach einer Orientierung an Fakten des Rats für Migration, in der Kritik des Netzwerks Rassismuskritische Migrationspädagogik BW, wonach der dominante Migrationsdiskurs die gegenwärtigen sozialen Herausforderungen verdrängt, in der Forderung nach einer evidenz- und menschenrechtsbasierten Migrations- und Asylpolitik des Netzwerks Fluchtforschung und in einem Offenen Brief von 2343 Wissenschaftler*innen, der den Versuch der Unionsfraktion, die demokratische Zivilgesellschaft zu delegitimieren, kritisiert. Doch die Wirkung dieser Interventionen in den öffentlich-medialen Diskurs blieb überschaubar.
Zehn Jahre nach dem langen Sommer der Migration bleibt festzustellen, dass viele Medien ihrer Verantwortung in der postmigrantischen Gesellschaft weiterhin nicht gerecht werden. Vielmehr weisen sie zahlreiche Leerstellen auf. So wird etwa wenig über den Zusammenhang von repressiver Asylpolitik und dadurch geschaffene soziale Problemlagen berichtet, die bspw. durch die Benachteiligung geflüchteter Menschen beim Zugang zu Bildung oder Wohnraum entstehen. Es kommt medial kaum zum Tragen, wie sehr es der extrem rechten AfD und anderen extrem rechten Bewegungen in vielen liberalen Demokratien gelingt, vor allem konservative Parteien vor sich herzutreiben und dadurch migrationsfeindliche Diskurse zu normalisieren und Repression als Mittel von Migrationspolitiken durchzusetzen. Die psychosozialen Konsequenzen dieser rassistischen Diskurse, der Demütigungen und Entsubjektivierungen von migrantisch gelesenen Menschen werden medial kaum reflektiert. Viele Medien haben entscheidend dazu beigetragen, eine Stimmung zu erzeugen, die den einen das Gefühl einer durch Migration unkontrollierbaren Sicherheitslage und den anderen das Gefühl von Ablehnung und Unerwünschtheit vermittelt. Mediendiskurse sind ein zentraler Bestandteil der Legitimation von Migrationspolitik. Repressiven Migrationsrechtsänderungen gehen daher in der Regel migrationsfeindliche Mediendiskurse voraus. Es braucht eine grundlegend andere Herangehensweise von Medien an das Thema Migration. Es genügt nicht, die Pressemitteilungen und Social-Media-Beiträge politischer Akteure abzutippen – was in der journalistischen, von Zeitnot geprägten Praxis leider oft passiert. Der Journalismus benötigt Raum für Selbstreflexion, um etwa seine Verwobenheit mit dem dominanten Repräsentationsgefüge zu erörtern. Nicht zuletzt müssen mehr migrantische und wissenschaftliche Perspektiven abgebildet werden. Dann kann eine neue Form der diskursiven Repräsentation von Migration in deutschen Medien gelingen.