„Zum Glück kommen nicht alle hierher“

Zur Asylpolitik Schwedens.

Mit einer vergleichsweise großzügigen Asylpolitik wurde Schweden in den letzten Jahren – gemessen an seiner Einwohnerzahl – zu einem Hauptzielland von Flüchtlingen innerhalb der EU. Das Wort von der „humanitären Großmacht“ machte die Runde. Ein sich zuspitzender Wohnungsmangel, die Überforderung kleinerer Gemeinden, Arbeitslosigkeit unter Neuzuwanderern und der zunehmende Einfluss der extremen Rechten zeigen nun aber Grenzen auf. Schweden drängt darauf, dass alle EU-Staaten Verantwortung für Flüchtlinge übernehmen.

 

Als König Carl XVI Gustaf der schwedischen Migrations- und Asylbehörde Migrationsverket vor ein paar Wochen einen Besuch abstattete, fasste er seine Eindrücke anschließend etwas lakonisch so zusammen: „Zum Glück kommen nicht alle hierher.“ Was dem Statement zugrunde lag, eine Sorge des Monarchen um das Schicksal der Asylsuchenden im Behördendickicht, oder eher um die Integrationsfähigkeit der schwedischen Gesellschaft, weiß wohl niemand ganz genau. Vermutlich aber hatte ihm die Führungsriege der Behörde vermittelt, dass die Asylbewerberzahlen seit 2012 stark gestiegen sind und – laut Prognose – auch 2015 weiter hoch bleiben sollen. Dass es massive Engpässe bei der Unterbringung der Flüchtlinge gibt und die Vermittlung von Wohnungen und Jobs sehr schleppend voranschreitet, wird ihm nicht verborgen geblieben sein.

 

Wichtiges Zielland für Schutzsuchende

Seit gut zwei Jahren hat Schweden, auch dank einer vergleichsweise großzügigen Anerkennungspraxis in Bezug auf quantitativ starke Asylbewerbergruppen, etwa Syrer, Staatenlose und Eritreer, seine Rolle als eines der Hauptzielländer von Flüchtlingen innerhalb der Europäischen Union (EU) gefestigt. 2013 und 2014 nahm Schweden, gemessen an der Einwohnerzahl des Landes, die meisten Asylanträge in der EU entgegen. Im dritten Quartal 2014 waren es laut Eurostat über 28.000. In absoluten Zahlen lag nur das – neunmal so große – Deutschland mit rund 56.000 Anträgen noch darüber.

Bei der Aufnahme unbegleiteter Minderjähriger, einer besonders gefährdeten Gruppe, liegt Schweden schon seit einigen Jahren recht einsam an der Spitze der europäischen Asylstatistiken. In Schweden stellten 7.050 unbegleitete Kinder einen Asylantrag; 4.400 waren es in der Bundesrepublik (Quelle: Eurostat-Datenbank).

Auf die Frage nach den Ursachen der Attraktionskraft des skandinavischen Landes gibt es keine einfachen kausalen Antworten. Die Beschaffenheit des schwedischen Sozialstaats, der allen legal ansässigen Menschen die gleichen Rechte zuerkennt, mag eine Rolle spielen, oder auch die Tatsache, dass die Standards der Unterbringung und Versorgung von Asylbewerbern (überwiegend in regulären Wohnungen) relativ gut sind, wie vor Kurzem eine Studie des Europäischen Migrationsnetzwerks zeigte.

Auch bei abgelehnten Asylbewerbern geht Schweden weniger hart vor als andere Länder. Abschiebungshaft ist, wenn sie überhaupt verhängt wird, mit durchschnittlich fünf Tagen Verweildauer kürzer als sonst in der EU; außerdem gibt es für abgelehnte Schutzsuchende, die eine feste Arbeitsstelle gefunden haben, die Möglichkeit des „Spurwechsels“ – sie können legal als Arbeitszuwanderer im Land bleiben, wenn ihre Identität nachgewiesen ist und sie eine Weiterbeschäftigung in Aussicht haben.

 

Daueraufenthaltsrecht für syrische Flüchtlinge

Darüber hinaus dürfte aber auch die Praxis der Schutzgewährung einschließlich ihrer Rechtsfolgen eine Rolle spielen. So hatte die Rechtsabteilung der schwedischen Migrationsbehörde im September 2013 entschieden, fortan allen syrischen Asylantragstellern, sofern nicht Ausschlussgründe vorliegen oder aufgrund der Regeln der Dublin-Verordnung ein anderer Staat für die Prüfung des Antrag zuständig ist, ein Daueraufenthaltsrecht zu gewähren. Da auf absehbare Zeit nicht damit zu rechnen sei, dass Syrer in ihre Heimat zurückkehren können, sei es unerheblich, ob eine Person als Flüchtling anerkannt oder ihr aufgrund der allgemeinen Bedrohungslage im Herkunftsland subsidiärer Schutz zuerkannt werde.

Rechtlich gesehen hat die Behörde mit dieser Entscheidung lediglich in Bezug auf Personen aus Syrien die Rechtsfolgen des Flüchtlingsschutzes und des subsidiären Schutzes aneinander angepasst. Anerkannte Flüchtlinge erhielten auch schon vorher in der Regel eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. In der Konsequenz bedeutete die Stellungnahme jedoch, dass Syrer und staatenlose Personen aus Syrien nunmehr mit einem raschen Anerkennungsverfahren rechnen konnten sowie mit der Möglichkeit, Familienangehörige zu sich nachziehen zu lassen.

Da andere EU-Staaten gleichzeitig an temporären Aufenthaltsrechten festhielten, bedeutete der schwedische Schritt einen weiteren Anreiz bei der Zielstaatswahl syrischer Flüchtlinge. 2013 zählte Schweden unter allen EU-Staaten die meisten syrischen Asylantragsteller. Schweden sei eine „humanitäre Großmacht“, sagte der damalige Premierminister Fredrik Reinfeldt nicht ganz unbescheiden im August 2014.

 

Hat die Aufnahmebereitschaft Grenzen?

Neuerdings werden jedoch verstärkt die angeblichen Grenzen der schwedischen Aufnahmebereitschaft diskutiert. Während es die bis letztes Jahr amtierende Mitte-rechts-Regierung unter Reinfeldt vermied, Schwächen bei der Integrationspolitik offen anzusprechen, um nicht in der Ruf zu geraten, sich den rechtsextremen „Schwedendemokraten“ anzunähern, ist nun Bewegung in die Debatte gekommen.

Seit September 2014 wird das Land von einer sozialdemokratisch-grünen Minderheitsregierung gesteuert, die sich auf lediglich 138 von insgesamt 349 Sitzen im Parlament stützt und damit schwach dasteht. Die Regierungsmannschaft will zwar nicht an den Bedingungen für Zuwanderung und Schutzgewährung rütteln. Sie möchte aber auf eine gerechtere Verteilung der Asylbewerber auf die schwedischen Kommunen, verstärkte Integrationsförderung, Hilfen zur Arbeitsmarkteingliederung sowie auf Wohnungsbau setzen.

In den letzten Wochen kamen indes von den nunmehr oppositionellen bürgerlichen Parteien allerhand Vorschläge, die auf eine Reduzierung der Asylzuwanderung abzielen. So wurde gefordert, statt Daueraufenthaltsrechten künftig befristete Aufenthaltserlaubnisse auszustellen und die Leistungen für Asylbewerber zurückzufahren.

Die Hauptprobleme dürften indes sein, dass sowohl bezahlbare Wohnungen als auch Jobs nur sehr schwer zu ergattern sind, sodass viele Flüchtlinge länger als nötig am Rande der Mehrheitsgesellschaft im Aufnahmesystem für Asylbewerber verharren müssen. Auch haben manche Kommunen viele Asylbewerber aufgenommen, während sich andere kaum engagieren.

 

Schweden fordert Solidarität in der EU

Außenpolitisch fordert Schweden schon lange, dass sich auch die anderen EU-Staaten stärker an der Aufnahme von Asylsuchenden beteiligen. Dabei hat man kein Zwangssystem für eine „Lastenverteilung“ (etwa mittels Quoten) im Sinn, sondern freiwillige Aufnahme. Staaten, die kaum von Fluchtbewegungen betroffen seien, sollten wenigstens „Wiederansiedlungsprogramme“ (Resettlement) durchführen und Flüchtlinge aus Krisenregionen direkt aufnehmen, so die Linie.

Wohl nicht so sehr aufgrund der schwedischen Forderung, sondern erst durch die dramatisch gestiegene Zahl der tödlichen Unfälle im Mittelmeer, scheint in diese Debatte zögerlich etwas Bewegung zu kommen. Unter dem Stichwort „sichere Zugangswege“ setzt man sich in den EU-Institutionen unter anderem mit der Möglichkeit „humanitärer Visa“ auseinander. Auch beteiligen sich unter dem Eindruck der syrischen Flüchtlingskrise mehr EU-Staaten an Resettlement-Programmen als noch vor einigen Jahren. Ob diese Diskussionen längerfristig zu einer „Entlastung“ Schwedens führen, ist allerdings nicht ausgemacht.

 

„Humanitäre Großmacht“?

Die „humanitäre Großmacht“ im Norden sollte sich unterdessen vor Augen halten, dass nach UNHCR-Angaben bisher 3,8 Millionen Syrer in Nachbarländer geflohen sind. Schweden hat in den Jahren 2012, 2013 und 2014 insgesamt rund 35,300 Syrern ein Aufenthaltsrecht gewährt. Hinzu kommen noch einige tausend staatenlose Personen, zumeist auch aus Syrien. Für ein Land mit rund 9,7 Millionen Einwohnern mögen das beträchtliche Zahlen sein. Global gesehen, oder aus einer libanesischen oder türkischen Sicht, sind sie es sicherlich nicht.

 

 

Teilen Sie den Beitrag

Facebook
Twitter
LinkedIn
XING
Email
Print