Vielfalt von Friedens(be)deutungen in Fluchtsituationen

von Ulrike Krause, Nadine Segadlo und Hannah Edler

Anlässlich des Weltfriedenstags reflektieren wir im Beitrag anhand unserer Forschung mit geflüchteten Menschen in Kenia und Deutschland, welche Bedeutungen sie Frieden beimessen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Gesprächspartner*innen Frieden als gesellschaftlichen Prozess verstehen. Geprägt von ihren Konflikt- und Fluchterfahrungen verbinden sie Frieden und friedliche Verhältnisse mit sozialen Gemeinschaften, alltäglichen Gegebenheiten und zukunftsorientierten Hoffnungen. Diese individuellen Perspektiven sind relevant, um über die Idee von Frieden als politisches Konstrukt hinauszugehen und die Vielfalt von Friedens(be)deutungen anzuerkennen.

 

Was bedeutet Frieden im Kontext von Flucht? Dieser Frage gehen wir in einem Forschungsprojekt nach und konzentrieren uns auf Friedensdeutungen und -praktiken von geflüchteten Menschen. Während in den letzten Jahrzehnten ein umfangreicher Korpus an Forschungsliteratur über die Verbindung von gewaltsamen Konflikten und Flucht erschienen ist, bleibt Frieden weitgehend vernachlässigt. Wenn überhaupt thematisiert, wird Frieden primär als eine Voraussetzung für die Rückkehr von Geflüchteten in Herkunftsregionen erwähnt. Vereinzelte Studien gehen ferner auf Friedensbildung oder -erziehung in humanitären Programmen ein oder eruieren Konflikte im Zusammenhang mit Zuflucht, wodurch Geflüchtete potenziell als ‚Destabilisator*innen‘ für Frieden an Aufnahmeorten erscheinen.

Die unzureichende Forschung zu Frieden in diesem Feld verwundert, da Frieden ein zentrales Konzept in Politik, Gesellschaft und auch Wissenschaft ist. Die wissenschaftliche Relevanz zeigt sich nicht zuletzt daran, dass sich die Friedens- und Konfliktforschung im 20. Jahrhundert fest in der akademischen Landschaft etabliert hat. Dies beruht auf einer langen Ideengeschichte von Frieden und mittlerweile existieren diverse Friedenskonzepte, wobei die Auslegung von Frieden als Abwesenheit von gewaltsamen Konflikten und direkter Gewalt nach wie vor weit verbreitet ist. Nach Galtung offenbart dies nur einen Zustand negativen Friedens, wohingegen positiver Frieden Verhältnisse ohne strukturelle Gewalt und mit sozialer Gerechtigkeit darstellt.

Kritisch ist, dass die Friedens- und Konfliktforschung von eurozentrischen Paradigmen geprägt ist, was auch für die Fluchtforschung gilt. Frieden wurde in der Vergangenheit vorrangig durch europäische bzw. westliche Erfahrungen als politisches Konstrukt interpretiert und mit staatlichen oder internationalen Interventionen verknüpft. Dekoloniale Perspektiven blieben ebenso vernachlässigt wie individuelle Friedensauffassungen und -praktiken. Obwohl letztere spätestens mit dem ‚local turn‘ der kritischen Friedensforschung mehr Aufmerksamkeit erhalten haben, sind Sichtweisen und Handlungen von Menschen, die Konflikt und Flucht erlebt haben, nach wie vor kaum erforscht.

An dieser Stelle knüpfen wir im Forschungsprojekt an. Dabei nehmen wir keinesfalls an, dass alle Geflüchteten weltweit gleiche oder ähnliche Friedensauffassungen und -praktiken hätten. Vielmehr gehen wir von weiten Deutungsspektren aus. Wir nutzen bewusst ein Vorgehen, das ermöglicht, diese Spektren und somit diversen Perspektiven und Praktiken von geflüchteten Menschen in den Mittelpunkt zu rücken. Hierfür gehen wir gendersensibel vor und arbeiten mit Menschen in Kenia und Deutschland, die unterschiedliche Konflikte erlebt haben und geflohen sind. Wir ziehen Methoden zur Datenerhebung heran, die den Menschen Raum geben, ihre individuellen Auffassungen zu teilen. Neben vereinzelten Diskussionen mit mehreren Personen und Journal Writing nutzen wir vor allem ero-epische Dialoge als unstrukturierte offene Gesprächsformen.

Zudem analysieren wir die Daten induktiv und leiten zentrale Tendenzen ab, sodass die Perspektiven der Menschen ausschlaggebend sind. Unsere Ergebnisse zeigen Überschneidungen mit der Rahmung von ideellen, relationalen und situationalen Friedens(be)deutungen, die Forschende im Netzwerk Varieties of Peace entwickelt haben, um sich der Komplexität von Friedens(be)deutungen zu nähern. Ideeller Frieden betrifft Vorstellungen, Wünsche, Hoffnungen sowie Normen dazu, was Frieden ist und wie Frieden sein sollte oder könnte. Relationaler Frieden bezieht sich auf Beziehung(en) zwischen Akteur*innen und gesellschaftlichen Gruppen sowie ihre Interaktionen, Einstellungen zueinander, Kommunikations- und Umgangsweisen. Situationaler Frieden reflektiert einen umfassenden gesellschaftlichen Zustand, der unterschiedliche Ebenen oder Räume wie eine Region – oder in unserer Forschung ein Flüchtlingslager – umfassen kann. Die drei Dimensionen sind nicht immer klar trennbar, sondern eng miteinander verwoben. Wir ziehen die Rahmung zur Auswertung der Daten heran, da sie uns ermöglicht, die vielfältigen Friedensperspektiven aufzunehmen.

In diesem Beitrag legen wir Ergebnisse über zentrale Tendenzen zu Friedensdeutungen der Menschen dar, die an unserer Forschung teilgenommen haben. Anhand ihrer Aussagen erweist sich (1) Frieden als vielschichtiges Phänomen, das (2) mit Erfahrungen aus Vergangenheit und Gegenwart sowie Vorstellungen für die Zukunft zusammenhängt und (3) einen gesellschaftlichen Prozess offenbart.

 

1. Frieden als vielschichtiges Phänomen

Frieden wird in westlichen Debatten oft als politische Aufgabe betrachtet, die, wie erwähnt, von politischen Akteur*innen zu verfolgen und aufrechtzuerhalten sei. Einhergehend mit der Forschung im Netzwerk Varieties of Peace zeigen unsere Analysen hingegen, dass die Menschen höchst unterschiedliche und vielfältige Auffassungen von Frieden haben.

Als ideelle Friedensdeutungen legten Gesprächspartner*innen in unserer Forschung Frieden mitunter als absolute Grundlage für ihr Leben oder ihre Lebensziele dar. In Deutschland sagte etwa eine geflüchtete Frau, „Frieden bedeutet Leben“ (Frau, Deutschland, 09.04.2021), während ein Mann betonte: „When you have peace, then you have everything“ (Mann, Deutschland, 21.12.2020). Wie weitreichend Vorstellungen von und Hoffnungen auf Frieden sind, zeigt auch die Erklärung einer Frau, die aus dem Krieg in Syrien geflohen ist. Sie betonte:

„Ohne Frieden kann man einfach nicht leben. So einfach. […] ich will nur meinen Frieden, ich will mit meiner Familie nur in Frieden leben. Ich will kein Geld, kein Haus, gar nichts, nur Frieden.“ (Frau, Deutschland, 27.02.2021)

Zudem haben Gesprächspartner*innen Frieden wiederkehrend auf Alltag bezogen und dargelegt, dass sie sich durch Frieden eine Normalität schaffen. So sagte etwa eine Frau, die aus der Ukraine geflohen ist, dass ein ‚normales Leben‘ hohen Wert habe, und listete vielfältige, für sie alltägliche Momente auf:

„You wake up, make some coffee. Kiss your husband, hug your son, and just […] there’s going to be a common day. We go into work. Kids go to the school. Then we came back. Grab him from school. Have some dinner together, go asleep. And, you know, you have some sureness inside that tomorrow is going to be the same. It’s going to be okay.“ (Frau, Deutschland, 08.09.2022)

Frieden als ‚normal‘ zu erleben, oder die Hoffnung darauf zu hegen, geht auch aus Gesprächen im kenianischen Aufnahmelager Kakuma hervor. Eine Frau, die aufgrund von Gewalt aus Somalia geflohen war, bezog sich etwa auf ein „smooth life“, ein Leben, das ohne prekäre Vorfälle verläuft:

„Peace is not only absence of war, of conflict or any of that but having a smooth life, like I don’t think there is a lot of peace in Kakuma because peace mostly means having a smooth life where you can be able to have a life where you can be able to live peacefully in terms of like when it comes to your neighbors, where there is a respect for each other, like where there is access to education, a life where there is access to jobs.“ (Frau, Kakuma, 13.10.2022)

Damit einhergehend verknüpften Gesprächspartner*innen Frieden mit der Erfüllung menschlicher Grundbedürfnisse:

„Something else on peace, as long as I see that my children are eating, they are going to school, they are wearing good clothes, me I like good clothes it makes me happy. I feel like I have peace.“ (Frau, Kakuma, 03.10.2022)

Auch ein Gefühl von Freiheit wurde wiederkehrend mit Frieden verbunden. Dies zeigt sich besonders in der Vorstellung von Frieden als „peace of mind“, wie eine kongolesische Gesprächspartnerin in Kakuma (05.10.2022) hervorhob. Damit einhergehend hat eine südsudanesische Frau in Kakuma psychisches und emotionales Wohlbefinden sowie Sorglosigkeit mit Frieden verbunden:

„Me I understand the word peace, when I’m free, when my mind is completely free from negative things. When my body is free from harm. Very free from harm. And then when I’m free from some psychological, emotional tortures. I feel I’m peaceful.“ (Frau, Kakuma, 11.10.2022)

Diese Wahrnehmungen des Wohlbefindens waren jedoch nicht auf Individuen begrenzt. Vielmehr beschreiben Gesprächspartner*innen Frieden auch als ein gesellschaftliches Phänomen, das an das Verständnis von situationalem Frieden erinnert, in dem Menschen miteinander respektvoll und unterstützend umgehen und Konflikte oder Spannungen friedlich lösen. Damit korrespondierend sagte eine Frau: „in case there is any misunderstanding between people, then you sit down and look for the best way to solve it instead of fighting“ (Frau, Kakuma, 11.10.2022).

 

2. Friedensbezüge zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

Diese Verständnisse verdeutlichen, dass Frieden kein statisches und homogenes Konzept ist. Vielmehr sind Friedensdeutungen von Menschen durch individuelle und kollektive Erfahrungen, Erwartungen und Wünsche beeinflusst. In unserer Forschung mit Menschen, die Konflikte, Gewalt, Verluste und Flucht erlebt haben, beziehen sich Friedensvorstellungen häufig auf ihre prekären Erfahrungen, aber auch auf Hoffnungen für eine friedliche Zukunft.

Viele Gesprächspartner*innen erklärten, dass Frieden wichtig für die Verarbeitung von Verlusten und Traumata sei. Dabei geht es also nicht primär um einen ‚äußeren‘ Frieden im Sinne einer sicheren oder stabilen Umgebung, sondern eher um ‚inneren‘ Frieden als Heilungsprozess. Sie versuchen, Erlebnisse in ihrer Vergangenheit zu bewältigen, um wieder Frieden erleben zu können. So sagte eine Frau, die als unbegleitete Minderjährige aus Syrien geflohen ist, dass sie „ein bisschen“ Frieden habe, da sie mit der Vergangenheit „klarkomme“. Ihr Wunsch sei, „in der Zukunft [damit klarzukommen], was ich erlebt habe, […] dass ich als ein Kind ohne Eltern aufgewachsen bin“ (Frau, Deutschland, 20.08.2022).

Manche Gesprächspartner*innen gingen explizit auf Frieden als Teil ihres Heilungsprozesses ein. Hier verknüpfen sich Erfahrungen der Vergangenheit mit dem Ziel und Wunsch einer zufriedeneren und gesünderen Zukunft. Teilnehmende berichteten von einem sich dynamisch entwickelnden Gefühl des inneren Friedens etwa durch Yoga, Spaziergängen in der Natur, Momente der Stille im Alltag, oder Gespräche. Auch das Sprechen mit uns im Forschungsprojekt erwähnten Teilnehmende: „I was speaking for three hours, I feel relief. I feel like a lot of hate [was released] from my body […]. It’s good. I feel better. […] You just gave me peace. I’m glad. I’m glad“ (Frau, Deutschland, 16.08.2022).

Auch in Kakuma sprachen Teilnehmende von Strategien zur Bewältigung von Gewalterfahrungen und Verlusten der Vergangenheit. Eine südsudanesische Frau erklärte, dass sie sich als „peacemaker“ in einer Schule einsetze: „All I need is the student must live a positive life, a happy life.“ Zudem sei für sie selbst und ihr Wohl wichtig, die Erfahrungen – nicht nur der Vergangenheit, sondern auch der Gegenwart – zu verarbeiten und hinter sich zu lassen: „I leave my past. I leave my present. I leave my own situations“ (Frau, Kakuma, 11.10.2022).

Eigene Verständnisse von Glaube und Identität spielen eine besondere Rolle. Gesprächspartner*innen legten dar, dass ihr Glaube ihnen dabei helfe, Ruhe und Geduld zu erlangen, und stets nach Frieden zu streben. Eine Frau aus Nigeria betonte, welch hohen Wert ihre Religiosität für sie habe: „Because it has such a lot of peace to me. Because when you are religious and you have- being stressed up, you can go to a quiet place and do some prayers […] and reach some patience in the bible“ (Frau, Deutschland, 10.08.2021).

Allerdings tragen Glaube und religiöse Identitäten nicht nur zu Erfahrungen von Frieden bei, sondern deren fehlende soziale Anerkennung kann auch hinderlich für diese Erfahrungen sein. So erläuterte eine Frau aus Ägypten, wie ihr eigenes Freiheits- und Friedensverständnis, zu dem auch das Tragen ihres Hidschab gehöre, durch anti-muslimische Rassismen in Deutschland gefährdet sei (Frau, Deutschland, 20.09.2021). Auch andere Gesprächspartner*innen erklärten die untrennbare Verbindung von Frieden, Freiheit und Sicherheit mit ihrer religiösen Identität.

Neben den Bezügen zu Vergangenheit und Gegenwart legten Gesprächspartner*innen große Hoffnung auf Frieden in der Zukunft. Diese Sehnsucht nach Frieden in der Zukunft geht mit ihren Erfahrungen und Erlebnissen, den Veränderungen der eigenen Lebenssituation und einem Zuhause ohne Unsicherheiten und Ungewissheiten einher. Dies verdeutlicht etwa folgende Aussage einer südsudanesischen Frau in Kakuma:

„So Kakuma is a place where many nationalities come in for peace, but still they have, they are insecure. We are insecure because this is not the final place. The fear of where people are at home. There is no peace. You don’t have a place to call home. For me, I was born in the camp. 29 years in the camp. And I gave birth again in the camp. And I don’t even know when I’m going to leave the camp.“ (Frau, Kakuma, 10.10.2022)

Dass Frieden das zentrale Element der eigenen Zukunft ist, zeigen auch die Wünsche, die Gesprächspartner*innen für ihre Zukunft äußerten. Eine andere südsudanesische Frau hob dabei Frieden als Basis hervor und stellte unter anderem die Relevanz von Frieden für die eigene Karriere heraus:

„Peace will play a bigger role in my future. Yes of course, I will work in a place where there is peace. And if no peace, I know my career will be like zero, will be at a zero level. (…) Obviously, I will never work, if there is no peace. I think peace is the first characteristic of the place I will work or the place I will practice my career. So only that. Peace, peace, peace come first.“ (Frau, Kakuma, 31.10.2022)

 

3. Frieden als komplexer gesellschaftlicher Prozess

Indem Frieden auf vergangenen Erfahrungen, gegenwärtigen Auffassungen und Praktiken sowie zukunftsorientierten Vorstellungen und Wünschen basiert, ist Frieden auf keinen singulären Moment beschränkt. Stattdessen stellt Frieden einen Prozess dar, der sich über die Zeit erstreckt und stets aktiv aufrechterhalten werden muss. Damit ist Frieden nicht nur ein Ergebnis von gewissen Entwicklungen, sondern orts- und zeitbezogener Bestandteil von sozialen Prozessen.

Gesprächspartner*innen verwiesen immer wieder auf die Bedeutung von sozialen Beziehungen und Interaktionen wie auch Akzeptanz, Toleranz und Respekt füreinander, die durch Offenheit und Transparenz gelebt werden können. Wie wichtig zwischenmenschliche Beziehungen sowohl zur Schaffung als auch zur Erhaltung von Frieden sind, verdeutlichte ein Mann aus Nigeria mit der Aussage „[b]ringing people together, that’s a way of creating peace“ (Mann, Deutschland, 21.12.2020) sowie eine Frau aus dem Sudan mit der Beschreibung „[p]eople live in harmony“ (Frau, Kakuma, 08.10.2022).

Dabei sei Akzeptanz, Toleranz und Respekt notwendig und Gesprächspartner*innen führten primär Verbindungen zwischen Menschlichkeit und Frieden an: „Für salaam, also für Frieden, ist Menschlichkeit wichtig“, sagte etwa eine Frau aus Syrien (Frau, Deutschland, 14.08.2022). In Kakuma betonte eine Frau aus dem Südsudan: „It’s a community where everyone loves their neighbors, share resources and helping each other out“ (Frau, Kakuma, 11.10.2022).

Dass Frieden ein orts- und zeitgebundenes Phänomen ist, könnte den Anschein einer linearen Abfolge von Konflikt über Flucht zu Frieden vermitteln, die so allerdings keinesfalls existiert. Gesprächspartner*innen in Kakuma beschrieben das Lager zwar häufig als friedlicheren Ort im Vergleich zu ihren Herkunftsregionen, dieser relative Frieden sei aufgrund anhaltender Risiken aber begrenzt, sodass sie weiterhin nach Frieden und friedlichen Verhältnissen strebten. Ein kongolesischer Mann in Kakuma erläuterte:

„I know many people would want me to think that there is peace in Kakuma because there is no war [here] because there is war in my country. […] But even when they come here and look at things deeply, in Kakuma, for instance, I would say, there is no peace. Even if there is no violence in terms of war, but there is still some level of violence.“ (Mann, Kakuma, 05.10.2022)

Hiermit spricht er Gewalterfahrungen in Kakuma an, die in vielen Lagern vorherrschen und in der Forschung breit diskutiert werden. Neben physischer ist besonders strukturelle Gewalt in Kakuma prävalent, die aus den Lagerstrukturen und den damit verbundenen Abhängigkeiten und Einschränkungen resultiert. Vor diesem Hintergrund sind kollektive Praktiken für Frieden von großer Bedeutung. Sie lassen Verbindungen zu relationalem Frieden erkennen, bei dem Gemeinschaftlichkeit, Fürsorge, Vertrauen und gegenseitige Unterstützung zentral sind.

Eine Frau aus Simbabwe erläuterte etwa, wie bedeutend ihr soziales und politisches Engagement für andere Frauen in ihrer Gemeinde und für sich selbst war, obwohl sie diese Arbeit in Gefahr brachte. Sich gegenseitig zu helfen und damit Entwicklungen zu fördern, war ausschlaggebend:

„I found peace because you know there is joy when you see that this person was struggling. But then now she’s happy. […] So, it brings peace to me that people are developing […]. So, to me, I’ll be happy to see that my vision has helped other people. It had brought a change in someone’s life.“ (Frau, Deutschland, 07.09.2022)

Doch nicht nur proaktive Friedenshandlungen, wie etwa das Auftreten als ‚peacemaker‘, sind bedeutsam. Vielmehr thematisierten Teilnehmende das gemeinschaftliche Miteinander und die Rolle von Wertschätzung und Achtung füreinander. So erklärte eine Frau aus dem Südsudan den hohen Stellenwert von friedlichem Zusammenleben im Lager:

„You are peace with yourself and your neighbor. But you need to be there to help. You need to be there to solve their problems too. You need to be there like to advise them. Do a lot of things. Yeah, that is at peace. You love them. You see their problem is also your problem and that will be better.“ (Frau, Kakuma, 11.10.2022)

 

Quo Vadis?

„Everyone in this world is entitled to have peace, in their environment, in their heart, everywhere. Everyone is entitled to live in peace“ (Frau, Deutschland, 19.06.2021). Mit diesen Worten betont eine Frau aus Nigeria ihr umfassendes Verständnis von Frieden: Menschen haben ein Anrecht auf Frieden.

Insbesondere für Menschen, die gewaltsame Konflikte und Flucht erlebt haben, sind diese friedlichen Verhältnisse häufig schwer erreichbar. Das bedeutet keinesfalls eine vollkommene Abwesenheit von Frieden, denn auch in höchst prekären Situationen schaffen sich Menschen eigene friedliche Räume und/oder Momente – zumeist mit Hilfe ihrer sozialen Netzwerke.

Anhand der Aussagen unserer Gesprächspartner*innen in Deutschland und Kenia wird deutlich, dass sie Frieden im Kontext von Flucht als gesellschaftliches, vielschichtiges und dynamisches Phänomen betrachten. Durch ihre spezifischen Erfahrungen messen die Gesprächspartner*innen Frieden diverse Bedeutungen bei, jedoch zeigen sich auch übereinstimmende Tendenzen, indem sie Frieden als Teil individueller Strategien zur Bewältigung traumatischer Erfahrungen, als kollektive Prozesse der Schaffung und Aufrechterhaltung friedlicher Verhältnisse sowie als zukunftsorientierte Idealvorstellungen und Hoffnungen verstehen.

Zweifelsohne bedarf es weiterer Analysen, um Friedensdeutungen und vor allem auch -praktiken von geflüchteten Menschen umfassender zu verstehen. Dabei ist wichtig, über einen politischen Fokus hinauszugehen und die gelebten Erfahrungen und das situierte Wissen der Menschen in den Mittelpunkt zu stellen.

 

Das Forschungsprojekt „Frauen, Flucht – und Frieden? Friedensfördernde Praktiken von Frauen in Flüchtlingslagern“ wird von der Deutschen Stiftung Friedensforschung gefördert.

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