Von Ulrike Krause und Isabella Bauer
Was wissen wir eigentlich über die Rolle von geflüchteten Frauen in Friedensprozessen? Anlässlich des Internationalen Tag des Friedens am 21. September gehen wir dieser Frage nach und knüpfen an Debatten in der Friedens- und Konfliktforschung an, die durchaus Überschneidungen zur Flucht- und Flüchtlingsforschung bieten. Im Beitrag zeigen wir, wie Frauen und ihre Belange in der Vergangenheit zumeist unsichtbar geblieben sind. Feministische Studien haben dazu beigetragen, sowohl Gewaltgefahren in Konflikten als auch die wichtigen Rollen von Frauen für Frieden herauszustellen. Ähnlich haben feministische Fluchtstudien Gefahren und Handlungsstrategien von geflüchteten Frauen aufgezeigt. Die Bedeutung von geflüchteten Frauen für Frieden ist allerdings ein weitgehend vernachlässigtes Feld.
Frauen als relevante Friedensakteurinnen? Entwicklungen und Erkenntnisse aus der Friedens- und Konfliktforschung
Die Frage zur Rolle von Frauen in Friedensprozessen ist keineswegs neu, sondern wurde sowohl in wissenschaftlichen als auch in politischen Foren spätestens seit den 1990er Jahren diskutiert. Jedoch können wir vorab sagen, dass der Einfluss von geflüchteten Frauen bislang wenig Aufmerksamkeit erhalten hat. Es sind in erster Linie Studien aus der Friedens- und Konfliktforschung, die sich dem Thema gewidmet haben – und das nicht mit Bezug zu Flucht. Zudem war der Weg hin zur Anerkennung der Rolle von Frauen in politischen Prozessen für Frieden durchaus steinig und lang, was wir im Folgenden nachzeichnen.
(Un-)Sichtbarkeit von Frauen
Zur Zeit der Etablierung der Genfer Abkommen 1949, die den zentrale Pfeiler des humanitären Völkerrechts bilden, und der Flüchtlingskonvention 1951, die im Mittelpunkt des internationalen Flüchtlingsschutzes steht, war die internationale Politik eingebettet in patriarchale Systeme. Dass die internationale Politik primär von Männern und ihren Erfahrungswelten gestaltet wurde, hielt auch in den Folgejahrzehnten an.
Doch das patriarchale System hatte weitreichende Folgen insbesondere für Frauen. Die Sichtweisen und Interessen von Frauen wurden in friedens- und flüchtlingspolitischen wie auch anderen Politikfeldern in der Vergangenheit weitgehend ausgeblendet oder zumindest vernachlässigt, da sie außerhalb des androzentrischen Bezugssystems lagen. Mit Blick auf gewaltsame Konflikte führte dies beispielsweise dazu, dass Frauen weder als politische Akteurinnen gesehen, noch ihr genderspezifisches Erleben von Gewalt berücksichtigt wurden. Bei geflüchteten Frauen zeigte sich, dass ihre Fluchtgründe selten als asylrelevant betrachtet wurden, da sie primär privaten Räumen zugeordnet waren (z.B. fehlende Mitbestimmung oder häusliche Gewalt).
Der Hinweis auf den privaten Raum ist relevant, denn historisch basierten westliche Politik- und Rechtssysteme auf der Trennung zwischen öffentlicher und privater Sphäre. Dabei wurden Frauen mit ihren Belangen im privaten, als unpolitisch beschriebenen Raum angesiedelt, während Männern die öffentliche, sichtbare und politische Sphäre vorbehalten war.
Sichtbarmachung der Vulnerabilitäten von Frauen
In der feministischen Forschung wurde die Trennung von politischen/sichtbaren und unpolitischen/unsichtbaren Räumen und das damit einhergehende Machtgefälle zwischen Männern und Frauen zunehmend kritisch reflektiert. Mit Blick auf die Forschung weist J. Ann Tickner etwa darauf hin, wie feministische Theorien in den Internationalen Beziehungen anstatt eines ‚traditionellen‘ (d.h. männlich geprägten) Sicherheitsverständnisses „multidimensionale und mehrschichtige Bezüge“ aufnehmen und so Belange von Frauen als zentrale Fragen eruieren.
Eine besondere Errungenschaft feministischer Studien der Friedens- und Konfliktforschung ist die Sichtbarmachung von Gewalt an Frauen in Kriegen und Konflikten. Die Gewalt an Frauen wurde nicht mehr als vermeintlichen ‚sexual urge‘ und ‚normale‘ Nebenwirkung von Kriegen banalisiert, sondern als gezielte Strategie der Konfliktaustragung diskutiert. In der internationalen Öffentlichkeit änderte sich die Wahrnehmung von Massenvergewaltigungen etwa im Bosnienkrieg. Frauen erhielten weitläufige Aufmerksamkeit als Kriegsopfer und die internationale Gemeinschaft erkannte im Folgeprozess an, dass sexualisierte und genderspezifische Gewalt ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellt und Frauen besondere Schutzbedarfe haben.
Auch mit Blick auf geflüchtete Frauen trugen feministische Studien dazu bei, Gewalt an sowie Bedarfe von Frauen in Aufnahmesituationen sichtbar zu machen, woraufhin spezifische Schutzleistungen initiiert wurden. Ein alltägliches Beispiel stellt Menstruation und entsprechend benötigte Monatsbinden dar, die im Flüchtlingsschutz zunächst nicht oder nicht hinreichend bereitgestellt wurden. Im Zuge der Sichtbarmachung der Belange von geflüchteten Frauen änderte sich dies.
Anerkennung von Frauen als Akteurinnen
Aktivistinnen ging die Anerkennung von Frauen als besonders verletzliche Gruppe nicht weit genug. Auf der vierten Weltfrauenkonferenz der Vereinten Nationen in Beijin 1995 wurde ein Forderungskatalog erarbeitet, der erstmals Frauen auch als Gestalterinnen in Friedensprozesse eingebunden hat.
Diese Forderungen gingen in die im Jahr 2000 verabschiedete Resolution des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen 1325 zu Frauen, Frieden und Sicherheit ein. Die Resolution stellt einen zentralen Schritt zur Anerkennung der Schutzbedürftigkeit von Frauen, aber vor allem auch der Bedeutung ihrer Beteiligung für Frieden und Sicherheit dar. Die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen sind nachdrücklich aufgefordert: „dafür zu sorgen, dass Frauen in den nationalen, regionalen und internationalen Institutionen und Mechanismen zur Verhütung, Bewältigung und Beilegung von Konflikten auf allen Entscheidungsebenen stärker vertreten sind.“
Auch wenn der schwache Wille zur Umsetzung der Resolution beklagt wird, bleibt die Resolution ein wichtiger Ausgangspunkt, Frauen als Gestalterinnen in Friedensprozessen öffentlich anzuerkennen. Die ‚Schwesterresolutionen‘ 1820 (2008), 1888 (2009), 1889 (2009), 1960 (2010), 2106 (2013), 2122 (2013), 2242 (2015) und 2467 (2019), die in den Folgejahren verabschiedet wurden und an deren Umsetzung bis heute gearbeitet wird, belegen diesen Wert.
Frauen und ihre Rolle für Frieden
Die Bedeutung von Frauen für den Erfolg von Friedensprozessen ist in der Friedens- und Konfliktforschung heute weitgehend anerkannt. Allerdings gehen Wissenschaftler*innen nicht von einer grundlegenden ‚Friedfertigkeit‘ von Frauen aus. Vielmehr haben sie in den vergangenen Jahren solche typisch weiblichen Zuschreibungen kritisch reflektiert und die vielfältigen Rollen von Frauen in Konflikt und Frieden untersucht. Dadurch haben sie Frauen auch als Täterinnen und Soldatinnen oder ihr Einfluss bei Massengewalt wie Genoziden in Betracht genommen.
Mit Fokus auf Frieden zeigen Studien etwa die Rolle von Frauen für Friedensschlüsse und -verträge. Eine aktuelle Untersuchung der Inclusive Peace and Transition Initiative von 40 Friedensprozessen belegt beispielsweise, dass die Stärke des Einflusses von Frauen in Friedensverhandlungen positiv mit dem Erreichen und Umsetzen der Friedensverträgen korreliert.
Über solche formalen Friedensprozesse hinaus belegen Studien auch die lokalen Bemühungen und Strategien von Frauen, um Frieden zu fördern und nachhaltig zu gestalten. Diese Bemühungen sind überaus vielfältig und beziehen sich unter anderem auf ihre Beteiligung in Dialogen sowie lokalen Bildungs- und Friedensmaßnahmen. Frauen setzen sich für Gerechtigkeit und Recht ein, organisieren sich in Gruppen für friedensaktivistische Zwecke und fördern gemeindebasierte friedensbezogene Entwicklungen.
Geflüchtete Frauen als Friedensakteurinnen?
Doch was wissen wir über Geflüchtete und insbesondere Frauen in Aufnahmeländern und ihre Rolle für Frieden? In der Flucht- und Flüchtlingsforschung spielt Frieden bislang generell eine nachrangige Rolle. Studien zum Nexus von Konflikt und Flucht konzentrieren sich vielmehr auf Gewaltgefahren von Geflüchteten, wobei Frieden primär als Notwendigkeit für die Rückkehr von Geflüchteten in ihre Herkunftsländer angesehen wird. Daher betrachten Studien Frieden oder friedliche Gegebenheiten bisher nicht als prägenden Teil des Alltags und als Handlungsmotiv von geflüchteten Menschen im Allgemeinen und Frauen im Besonderen.
Insbesondere vor dem Hintergrund der vermehrten Langzeitsituationen (engl. protracted refugee situations), in denen Geflüchtete über Jahre in Aufnahmeländern bleiben müssen, besteht allerdings ein hoher Forschungsbedarf, um mehr über den Einsatz von Geflüchteten und speziell von Frauen für friedliche Verhältnisse zu erfahren. Anknüpfend an die nachgezeichneten Debatten und Erkenntnisse der Friedens- und Konfliktforschung ist annehmbar, dass sich auch geflüchtete Frauen, die aus Konflikten geflohen sind und beispielsweise in Aufnahmelagern leben, für Frieden auf lokaler Ebene engagieren. Denn ein Leben im Exil bedeutet keineswegs eine Passivität oder Handlungsunfähigkeit der Menschen. Vielmehr zeigen auch Fluchtstudien, dass Geflüchtete generell und Frauen im Besonderen Gefahren bewältigen und sich für verbesserte Lebensbedingungen in Aufnahmeländern einsetzen.
An diese Ansätze knüpft ein neues Forschungsprojekt zu „Frauen, Flucht – und Frieden? Friedensfördernde Praktiken von Frauen in Flüchtlingslagern“ an. Mit der Förderung der Deutschen Stiftung Friedensforschung wird anhand der Fallstudie des Aufnahmelagers Kakuma in Kenia in den kommenden zwei Jahren untersucht, wie dort lebende geflüchtete Frauen Frieden verstehen, und wie sie sich für Frieden einsetzen. Mit den Daten hoffen wir, einen Beitrag zur Schließung der Forschungslücken zu leisten und Frieden als zentrales Thema auch in der Flucht- und Flüchtlingsforschung einzuführen.
Dieser Beitrag ist in der Blogreihe des Arbeitskreises Flucht und Gender des Netzwerks Fluchtforschung erschienen.