Warum Aufnahmekontingente das Asylrecht nicht ersetzen können

Organisierte Neuansiedlung (Resettlement) und ähnlich konzipierte, humanitäre Aufnahmeprogramme sind wichtige Elemente des globalen Flüchtlingsschutzes. Sie unterscheiden sich jedoch grundlegend von territorialen Asylsystemen. Aufnahmeprogramme sollten Asylsysteme daher ergänzen, können sie aber nicht ersetzen.

 

Immer wieder wird von PolitikerInnen, aber auch ExpertInnen und WissenschaftlerInnen in europäischen Ländern vorgeschlagen, das Asylrecht in seiner jetzigen Form abzuschaffen (in Deutschland zuletzt hier und hier). Einige sind der Meinung, dass die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 überholt sei, und dass das individuelle Recht, im Hoheitsgebiet eines Aufnahmelandes (oder an dessen Grenze) Asyl zu beantragen, aufgegeben werden sollte. Stattdessen schlagen sie Verfahren der Aufnahme von Flüchtlingen direkt aus Herkunfts- oder Transitstaaten vor, etwa im Rahmen von Resettlement. Dies, so heißt es mitunter, würde gefährliche irreguläre Einreiseversuche in die EU verhindern, die Akzeptanz für Flüchtlingsschutz in der Bevölkerung verbessern, und es Aufnahmestaaten erlauben, sich auf besonders schutzbedürftige Personen zu konzentrieren.

Der vorliegende Beitrag setzt sich mit in dieser Debatte häufig vorgebrachten Argumenten auseinander. Es geht dabei nicht, wie etwa hier, um eine Analyse der rechtlichen Machbarkeit von Vorschlägen, das Asylrecht abzuschaffen und durch Aufnahmeprogramme zu ersetzen, sondern um eine Prüfung der Stichhaltigkeit häufiger Argumentationsmuster und möglicher Konsequenzen. Der Text kommt zu dem Ergebnis, dass Aufnahmekontingente das bestehende Asylrecht sinnvoll ergänzen können, was sie in Ansätzen auch schon tun, jedoch keinesfalls ersetzen.

Probleme des gegenwärtigen Asylsystems in Europa

KritikerInnen der gegenwärtigen Asylpolitik haben Recht, wenn sie sagen, dass das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS), vor allem aber die Art und Weise, wie es in den EU-Mitgliedstaaten und anderen europäischen Ländern gegenwärtig umgesetzt wird, schwerwiegende Mängel aufweist. Aufgrund von Visabestimmungen, Sanktionen gegen Beförderungsunternehmen, Abschreckungsstrategien und vermehrt auch physischen Barrieren, gewaltsamer Grenzsicherung und illegalen Pushbacks ist es für schutzsuchende Menschen fast unmöglich geworden, das Gebiet der EU-Mitgliedstaaten auf sichere Weise zu erreichen, um dort Asyl zu beantragen. Viele sind auf die Dienste von Schleusern angewiesen und riskieren ihr Leben auf gefährlichen Routen. Wenn sie die EU erreichen, sind sie, je nachdem, wo sie ankommen, mit großen Unterschieden zwischen den Mitgliedstaaten in Bezug auf Schutzaussichten, Asylverfahrensstandards und Aufnahmebedingungen konfrontiert. Ein weiteres Problem, vor allem aus Sicht von Regierungen, besteht darin, dass nicht alle Asylsuchende einen Anspruch auf Schutz zuerkannt bekommen, die Vollzugsbehörden aber Schwierigkeiten haben, abgelehnte AntragstellerInnen zu einer freiwilligen Rückkehr in ihre Herkunftsländer zu bewegen oder abzuschieben. Darüber hinaus ist die Verantwortungsteilung bei der Aufnahme von Asylsuchenden in der EU und der Bearbeitung ihrer Schutzanträge ungerecht, da einige Länder aufgrund geographischer und anderer Umstände einen deutlich größeren Anteil übernehmen als andere, was zu politischer Uneinigkeit unter EU-Mitgliedstaaten und verfahrenen Debatten über Solidarität und Verantwortungsverteilung in der EU beiträgt.

Diese Probleme des GEAS und die politische Frustration, die sie verursachen, haben begünstigt, dass radikale Ideen in der Asyl- und Migrationsdebatte an Lautstärke gewonnen haben und sich zu normalisieren scheinen. Im mehreren europäischen Ländern, etwa im Vereinigten Königreich, in Dänemark, Schweden und auch in Deutschland, wurde vorgeschlagen, das Recht, innerhalb des jeweiligen Landes bzw. in der EU Asyl zu suchen, für bestimmte Gruppen oder für alle irregulär einreisende Personen abzuschaffen. Schutz soll dann allenfalls noch von außerhalb beantragt werden können. Denjenigen, die als schutzbedürftig befunden werden, oder zumindest einigen von ihnen, könnte dann gegebenenfalls eine geordnete Überstellung nach Europa im Wege von Resettlement oder ähnlichen Aufnahmesystemen angeboten werden. Vorschläge dieser Art, und die vorgebrachten Argumente, sind jedoch aus mehreren Gründen unrealistisch.

Aufnahmeprogramme sind flüchtig und bieten in Europa nur Wenigen Schutz

Erstens scheint fraglich, ob der politische „Appetit“ auf humanitäre Aufnahme wirklich wächst, wenn die Zahl der Asylbewerber sinkt. Nach der vielerorts angespannten Flüchtlingssituation in Europa in den Jahren 2015-2016 ging die Zahl der Asylsuchenden in Europa drastisch zurück – wahrscheinlich unter anderem aufgrund von Abschreckungsmaßnahmen an den EU-Außengrenzen, Migrationsvereinbarungen mit Nachbarländern (wie der Türkei oder Libyen) und einer feindseligeren Politik gegenüber Schutzsuchenden. Nach der Logik derjenigen, die für ein anderes Schutzsystem plädieren, hätte aufgrund der geringeren Zahl von Asylsuchenden der Wille wachsen müssen, mehr Flüchtlinge über Resettlement aufzunehmen.

In der Realität ist dies jedoch nicht geschehen. Eurostat-Daten zeigen, dass nach 2016 einige Länder ihre Resettlementquoten zwar erhöht oder neue Aufnahmeprogramme aufgelegt haben. In vielen Fällen wurden diese wenig später jedoch wieder reduziert oder ganz aufgegeben. Schweden beispielsweise erhöhte erst sein Resettlementkontingent, drückte seine Aufnahmequote für 2023 dann aber um 80 Prozent, trotz historisch niedriger Asylantragszahlen im Land und eines weltweit weiter wachsenden Bedarfs an Resettlement-Plätzen.

Insgesamt bleibt die Zahl der Flüchtlinge, die EU-Staaten über organisierte Neuansiedlung aufnehmen, weit hinter der Zahl der Menschen zurück, die in Europa im Rahmen von Asylverfahren Schutz erhalten. Im Jahr 2022 wurden beispielsweise nur rund 17.000 Personen über Resettlement in den Mitgliedstaaten der EU aufgenommen, während weit über 300.000 eine positiven Asylentscheidung erhielten, allein in der ersten Asyl-Prüfungsinstanz.

Somit bleibt das territoriale Asyl bei weitem das primäre Schutzsystem in Europa, und es wird klar, dass freiwillige Aufnahmesysteme instabil sind, da es Regierungen freisteht, solche Programme nach Belieben auszubauen oder wieder einzustampfen. Die Entwicklung beim Resettlement korreliert weder mit der quantitativen Entwicklung der Asylsituation in Aufnahmeländern noch mit dem vom UNHCR berechneten globalen Bedarf (siehe S. 39 hier). Quotensysteme sind somit eher vom politischen Aufnahmewillen abhängig als von einer objektiven Notwendigkeit, Menschen auf der Flucht Lösungen anzubieten.

Der paternalistische Blick Europas

Zweitens ist die Vorstellung, dass die öffentliche Unterstützung für die Flüchtlingsaufnahme zunehmen würde, wenn nationale Regierungen auswählen könnten, welche Personen und wie viele sie aufnehmen wollen, von Wunschdenken und Paternalismus geprägt. Wer hat in Europa das Wissen und das Recht zu entscheiden, welche Flüchtlingssituationen in welchen Weltregionen am schlimmsten sind oder welche Menschen den größten Bedarf haben, eine sichere Zukunft in Europa zu erhalten? Hinzu kommt, dass einige Konfliktgebiete mit akuten Flüchtlingskrisen zu gefährlich sind, als dass Behörden Personal für die Auswahl von Flüchtlingen sicher dorthin entsenden könnten. Selbst wenn dies gelingt, bleibt unsicher, ob sie wirklich die Personen identifizieren, die den größten Bedrohungen ausgesetzt sind. Darüber hinaus ist Asyl nicht nur für Menschen gedacht, die vor größeren bewaffneten Konflikten oder anderen Umständen fliehen, die in Massenmedien sichtbar gemacht werden und daher das Mitgefühl aufnehmender Gesellschaften wecken können. Flüchtlingsschutz ist nicht zuletzt für individuell verfolgte Personen gedacht, und wer wo verfolgt wird, entzieht sich oft dem Auge der Öffentlichkeit.

Flüchtlingsschutz kann nicht auf Mitleid beruhen

PolitikerInnen beklagen mitunter, dass die meisten Asylsuchenden, die in Europa ankommen, Männer sind, und dass ein neues System nötig sei, das Frauen, Kinder und besonders vulnerable Personen in den Mittelpunkt stellt. Hier ist jedoch zu beachten, dass die zugegeben unausgewogene demografische Zusammensetzung der in Europa ankommenden Asylsuchenden nicht das Ergebnis des Asylrechts selbst ist, sondern vielmehr der staatlichen Versuche, dieses zu umgehen, indem Asylsuchende abgeschreckt werden und Europa unzugänglich gemacht wird. Wenn die verfügbaren Einreisewege sicherer wären, würde der Anteil von Frauen, Kindern oder älteren Menschen höchstwahrscheinlich steigen. Wenn politisch Verantwortliche es mit dem Geschlechtergleichgewicht ernst meinten, würden sie auch mehr Möglichkeiten für Familienzusammenführung in der EU öffnen anstatt diesen – wichtigen – legalen Migrationsweg einzuschränken. Auch Resettlement kann im Sinne einer ausgewogeneren Geschlechterverteilung ein wichtiges komplementäres Instrument sein, gerade weil es sich dabei nicht um ein Antrags- sondern ein Auswahlsystem handelt, bei dem die Aufnahmeländer – wenn sie wollen – gezielt bestimmte Personengruppen ansprechen können. Das globale Schutzsystem als Ganzes kann jedoch nicht darauf aufgebaut werden, dass es für manche Gruppen mehr Mitleid gibt als für andere.

Irreguläre Einreisen lassen sich nicht mit einer Abschaffung des Asylrechts stoppen

Drittens ist nicht klar, warum eine Abschaffung des Asylrechts in Europa gefährliche irreguläre Überfahrten, etwa im Mittelmeer, verhindern würde. Europa kämpft damit, abgelehnte Asylsuchende und andere Menschen ohne Bleiberecht in ihre Herkunftsländer zurückzuschicken. Die Rückkehrquoten sind niedrig. Daraus folgt, dass Menschen, die irregulär nach Europa einreisen, wahrscheinlich auch dann oft nicht abgeschoben werden könnten, wenn es in europäischen Staaten kein Asylrecht mehr gäbe. In Anbetracht der schwerwiegenden Umstände, die Menschen zur Flucht zwingen, und der Tatsache, dass mehrere Staaten in Nachbarregionen Europas, etwa in Nordafrika, keine Schutzalternative darstellen, werden Menschen höchstwahrscheinlich weiterhin versuchen, in die EU zu gelangen – auch wenn ihnen ein legaler Aufenthaltsstatus im Rahmen des Asylrechts verwehrt bleibt.

Gefahr von Kettenreaktionen

Viertens sollten PolitikerInnen beachten, dass eine Abschaffung territorialer Asylsysteme in Europa, die auf der Flüchtlingskonvention basieren, einen Präzedenzfall schaffen und Kettenreaktionen auslösen könnte, die letztlich das globale Flüchtlingsschutzsystem insgesamt bedrohen würde. Aktuelle Abschreckungs-, Abschottungs- und Externalisierungsbemühungen der EU haben solche Effekte bereits auf Nachbarstaaten, die ebenfalls ihre Grenzen abdichten oder andere Abschottungsmaßnahmen vollziehen (siehe hier oder hier). Wenn reiche europäische Staaten meinen, sie könnten die Flüchtlingskonvention umgehen und nur einige ausgewählte Personen auf Basis volatiler politischer Präferenzen aufnehmen, warum sollten dann Staaten in anderen Teilen der Welt, die oft weit mehr Flüchtlinge aufnehmen als EU-Länder, nicht dasselbe tun? Je mehr Staaten einen solchen Weg einschlagen, desto mehr würde die Verantwortung für die Aufnahme von Schutzsuchenden für diejenigen Länder zunehmen, die ihre Grenzen offenhalten und weiterhin Asyl anbieten.

Fazit

Wenn Europa ein funktionierendes Schutzsystem für Flüchtlinge will, hat es keine andere Wahl, als die Grundlagen des Flüchtlingsschutzes zu verteidigen und an innovativen Wegen zu arbeiten, diese zu verbessern – zum Beispiel indem sichere und legale Einreisemöglichkeiten zum Zweck der Asylantragstellung angeboten werden, durch humanitäre Visa oder ähnliche Instrumente. Auch Resettlement ist und bleibt ein wertvolles und unabdingbares Schutzinstrument, nicht zuletzt im Kontext einer globalen Verantwortungsteilung für Geflüchtete, und damit auch Personen aufgenommen werden können, die nicht die Mittel und Möglichkeiten haben, weite und gefährliche Reisen selbst zu unternehmen. Resettlement und ähnliche Aufnahmeverfahren sollten daher verbessert und ausgeweitet werden, und es sollten zusätzliche Programme eingeführt werden, um Alternativen zu riskanten Einreiseversuchen zu schaffen. Solche Programme können jedoch nicht als Rechtfertigung für eine Abschaffung des Rechts dienen, als Individuum Asyl zu beantragen. Neuansiedlung und Aufnahmeprogramme sind komplementäre Systeme, aber kein Ersatz für Asyl.

 

Dieser Beitrag erweitert und aktualisiert eine frühere Version, die im November 2021 auf Englisch, Französisch, Spanisch und Arabisch in der Zeitschrift Forced Migration Review erschienen ist. https://www.fmreview.org/externalisation/parusel

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