Am 20. Juni 2016 – dem Weltflüchtlingstag – veröffentlichte UNHCR den Global Trends Report 2015, in dem die internationalen Entwicklungen von Zwangsmigration, Flüchtlingsschutz und Lösungen verdeutlicht werden. Aus dem Bericht geht ein weltweiter Anstieg der Anzahl von Geflüchteten hervor, der insbesondere auf gewaltsame Konflikte zurückzuführen ist. Doch was ist passiert?
Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 hebt in der Präambel hervor, dass für den Flüchtlingsschutz die internationale Zusammenarbeit der Staaten unabdingbar ist. Dies bezieht sich insbesondere auf das Suchen von dauerhaften Lösungen für Flüchtlinge, aber auch auf die (finanzielle) Unterstützung der Flüchtlingsarbeit. Da mittlerweile 145 Staaten das Abkommen und 146 Staaten das Protokoll unterzeichnet haben, scheint der Großteil aller Staaten mit den Grundprinzipien übereinzustimmen. Doch handeln sie auch dementsprechend?
Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) veröffentlichte im Juni den aktuelle Global Trends Report für 2015 auf der Basis eigener Daten sowie von Partnerorganisationen und Regierungen. Darin wird das weltweite Ausmaß von Flucht, Vertreibung und langandauernden Flüchtlingssituationen verdeutlicht. Laut UNHCR gab es Ende 2015 65,3 Millionen Zwangsmigrantinnen und -migranten: 21,3 Millionen Flüchtlinge, 40,8 Millionen Binnenvertriebene und 3,2 Millionen Asylsuchende. Hinzu kommen mindestens 10 Millionen Staatenlose wie auch jene Menschen, die nicht in eine der Kategorien fallen, wie klima- und umweltbedingte Zwangsmigrantinnen und -migranten.
Ungefähr 51 Prozent aller Flüchtlinge waren Kinder unter 18 Jahren und ca. 47 Prozent waren Frauen und Mädchen.
Aktuelle Trends
Mehr als die Hälfte aller Flüchtlinge kamen 2015 aus Syrien (4,9 Millionen), Afghanistan (2,7 Millionen) und Somalia (1,1 Millionen). Mit Blick auf Flüchtlinge, Binnenvertriebene und Asylsuchenden stieg die Zahl von 2014 auf 2015 um 8 Prozent. Der weltweite Anstieg von Geflüchteten wird mit einer weiteren Zeitspanne noch deutlicher: Von 2012 mit 35,8 Millionen Vertriebene weltweit stieg die Zahl bis 2015 um knapp 35 Prozent. Während die Anzahl Geflüchteter zugenommen hat, sank die Zahl der neuen Vertriebenen von 13,9 Millionen im Jahr 2014 auf 12,4 Millionen 2015. Im Durchschnitt flohen vergangenes Jahr täglich 34 000 Menschen von Verfolgung und Konflikten. Die nachstehende Karte zeigt die globalen Entwicklungen von 1996 bis 2015.
Während in Deutschland und Europa politisch und medial häufig der Anschein vermittelt wird, alle Flüchtlinge würden hierher kommen wollen, zeichnen diese Zahlen ein anderes Bild. Einerseits fliehen die meisten Flüchtlinge aus ihrem Heimatländern in benachbarte Länder, um Schutz zu suchen, sodass sie in ihren Heimatregionen blieben. So flohen bspw. die meisten syrischen Flüchtlinge in die Türkei, Libanon und Jordanien, afghanische Flüchtlinge nach Pakistan und in den Iran oder kongolesische und südsudanische Flüchtlinge nach Uganda.
Andererseits war mit 86 Prozent die überwiegende Mehrheit aller Flüchtlinge in Ländern des Globalen Südens. Damit setzt sich eine internationale Entwicklung fort, die bereits 2014 und 2013, aber auch in den Vorjahren bestand. In Afrika waren Ende 2015 etwa 4,4 Millionen Flüchtlinge, in Asien und Pazifikregion etwa 3,8 Millionen, im Mittleren und Nahen Osten ca. 2,7 Millionen und in Nord- und Südamerika 746 800 Flüchtlinge. Im Vergleich dazu waren in Europa etwa 4,4 Millionen Flüchtlinge.
Noch deutlicher zeigt sich die globale Verteilung von Geflüchteten und Vertriebenen bei Binnenvertriebenen, also jene Menschen, die innerhalb ihren Herkunftsländern geflohen sind. Die Zahl der Binnenvertriebenen ist fast doppelt so hoch wie die der Flüchtlinge, die in anderen Ländern Schutz suchen. Dabei stieg die Zahl der Binnenvertriebenen von 2014 auf 2015 um 2,6 Millionen Menschen an.
Diese Entwicklungen sind jedoch nicht neu. UNHCR betont zwar, dass mit 65,3 Millionen Menschen 2015 ein neuer Höchststand geflüchteter und vertriebener Menschen zu verzeichnen ist, jedoch sind davon 12,4 Millionen neue Vertriebene. Somit waren 52,9 Millionen Menschen bereits zuvor auf der Flucht bzw. im Exil. Der internationale Anstieg hängt also auch mit der zunehmenden Dauer von Flüchtlingssituationen zusammen. Langzeitsituationen (engl. protracted refugee situations) entstehen, die UNHCR als solche definiert, bei denen 25.000 oder mehr Flüchtlinge derselben Nationalität seit 5 oder mehr Jahren in einem bestimmten Asylland im Exil leben. Ende 2015 waren 6,7 Millionen Flüchtlinge und damit etwa 41 Prozent (ausgenommen der palästinensischen Flüchtlinge) weltweit in 32 Langzeitsituationen in 27 Aufnahmeländern. 12 der Langzeitsituationen dauern bereits 20 Jahre und länger an, 11 der Situationen mehr als 30 Jahre, wobei UNHCR die durchschnittliche Dauer von Langzeitsituationen auf 26 Jahre schätzt.
Doch wie kommt es zu diesen Entwicklungen?
Zu Beginn des Beitrags habe ich die Notwendigkeit der internationalen Kooperation von Staaten im Flüchtlingsschutz hervorgehoben. Nicht nur mit Blick auf die steigenden Zahlen von Geflüchteten, sondern auch auf die zunehmend langanhaltenden Flüchtlingssituationen lässt sich diese Kooperation hinterfragen.
Konträr zu den steigenden Zahlen von Flüchtlingen werden dauerhafte Lösungen vergleichsweise selten gefunden. Zu den dauerhaften Lösungen zählen die freiwillige Repatriierung in die Heimatländer, die Umsiedlung in sichere Drittländer und die lokale Integration in Asylländern. Laut UNHCR’s Bericht konnten 2015 lediglich 201 400 Flüchtlinge durch freiwilligen Repatriierung in ihre Heimatländer zurückkehren, 107 100 Flüchtlinge in Drittstaaten umsiedeln und 32 000 Flüchtlinge lokal integriert werden. Somit wurde lediglich für 2,1 Prozent aller Flüchtlinge weltweit dauerhaft Lösungen gefunden. Dies ist eine erschütternd niedrige Zahl, aus der die notwendige Schlussfolgerung gezogen werden muss, dass die internationale Kooperation von Staaten in der Lösungsfindung zu verbessern ist.
Wenn man nun fragen würde, warum die Menschen nicht in ihre Herkunftsländer zurückkehren (können), schaut man rasch auf weltweit bestehende gewaltsame Konflikte, vor denen die meisten Menschen geflohen sind. Da die Konflikte und Unsicherheit anhalten, können Geflüchtete nicht zurückkehren. Daraus ergibt sich, dass es nicht ausreicht, Flüchtlinge und andere Geflüchtete zu schützen und zu unterstützen. Vielmehr müssen Staaten und Organisationen frühzeitig auf unterschiedlichen Wegen die Fluchtmotive, also die Konflikte behandeln. Und hierbei spreche ich nicht von militärischen Interventionen, sondern verbinde es vielmehr mit frühzeitiger präventiver Arbeit, diplomatischen und friedensfördernden Aktivitäten und ziviler Konfliktbearbeitung.
Letztlich verdeutlicht der Bericht auch: Anstatt einer Politik der Abschirmung sollten sich europäische und selbstverständlich auch andere Staaten dafür einsetzen, adäquate Lösungen für Flüchtlinge zu finden und zu implementieren.
Photo Credits:
Bilder im Text (c) UNHCR 2016
Feature Image (c) Nizips