Irrwege und Wege der Flüchtlingspolitik in Europa

Zu einem effektiven, effizienten und solidarischen Asylsystem

In der Diskussion um die Reform europäischer Flüchtlingspolitik werden oft die Sicherheit und der Schutz von Flüchtlingen angemahnt. Doch nicht immer dienen politische Forderungen tatsächlich dem Interesse von Asylsuchenden. Auch einige kürzlich formulierte Vorschläge zur Zugangserleichterung, zur Einhaltung von Mindeststandards und zur Verantwortungsteilung bezüglich Asylbewerber implizieren eine Verringerung von Rechten und Schutzmöglichkeiten. Eine prinzipielle und Schutz orientierte Flüchtlingspolitik könnte aber schon mit wenigen Änderungen die Situation für alle Beteiligten verbessern.

 

Das Gemeinsame Europäische Asylsystem, noch nicht ganz umgesetzt, hat bereits in vielerlei Hinsicht Reformbedarf. Steffen Angenendt und Daniela Kietz von der Stiftung Wissenschaft und Politik und Jan Schneider vom Sachverständigenrat Migration hoben vor Kurzem in einem Kommentar der weite Verbreitung fand drei zentrale Bereiche hervor, in denen neue Ansätze gefordert sind:

  • Die Zugangsbedingungen für Schutzsuchende,
  • die Aufnahmestandards für Asylbewerber, sowie
  • die Verantwortungsverteilung bezüglich Asylverfahren zwischen europäischen Ländern.

Die Autorin und Autoren machen dabei konkrete Lösungsvorschläge, die zentralen Forderungen von Flüchtlingsunterstützern durchaus ähneln: Die Schaffung legaler Zugänge zu Europa, die Erfüllung von gemeinsamen Mindeststandards in europäischen Asylprozessen und schließlich die Ersetzung des viel kritisierten Dublin Verfahrens durch ein europäisches Quotensystem zur Verteilung von Asylbewerbern.

Doch tragen diese politischen Forderungen tatsächlich zu der benötigten Neuausrichtung in der europäische Flüchtlingspolitik bei? Entstammen diese Überlegungen nicht vielmehr dem traditionellen Misstrauen zwischen europäischen Staaten, das schon dem Gemeinsamen Europäische Asylsystem zugrunde liegt, und letztlich die Schutzstandards für Flüchtlinge weiter senkt?

Anstatt Probleme in der Asylpolitik kurzfristig durch kleine Kurskorrekturen umschiffen zu wollen, sollten Ziele einer europäischen Flüchtlingspolitik formuliert werden, an denen flüchtlingspolitische Forderungen ausgerichtet werden können. An erster Stelle muss dabei stehen, dass der Schutzbedarf von Flüchtlingen effektiv gewährt ist und ihnen keine unnötigen Bürden auferlegt werden.  Ebenso sollten politische Ansätze nicht unnötig kompliziert sein und eine effiziente Hilfe ermöglichen, die letztlich allen Beteiligten zugute kommt. Schließlich sollte Flüchtlingspolitik eine europäische Politik sein, die aus dem Geist der Solidarität erwächst, solidarisch untereinander und mit jenen, die unseren Schutz benötigen. In diesem Sinn sollten wir sowohl die momentane flüchtlingspolitische Praxis als auch Reformvorschläge überdenken.

Das Dublinsystem wird seit Langem von Nichtregierungsorganisationen kritisiert, dafür dass es die Verantwortung für Asylanträge an die Ankunftsstaaten delegiert, die vorwiegend im ärmeren Süden an der Außengrenze liegen. Alternativmodelle wie das Quotensystem weisen europäischen Staaten je nach Bevölkerungsanzahl und Wohlstand einen Anteil an der Gesamtheit von Asylbewerbern in Europa zu.

Diese Alternative des Quotensystems hat in Deutschland an politischem Gewicht gewonnen, seitdem deutlich wurde, dass die Bundesrepublik nach einem solchen Modell weniger Flüchtlinge aufnehmen müsste. Zudem gilt Dublin als weitgehend gescheitert, da in Hauptankunftsstaaten das System nicht mehr funktioniert.

In Italien wurden viele Asylbewerber nicht mehr registriert, nach Griechenland darf aufgrund der gefährlichen Situation für Asylbewerber nicht mehr abgeschoben werden, und auch im Fall von Ungarn äußerte das Verwaltungsgericht Berlin kürzlich menschenrechtliche Bedenken an. Hier trifft die Frage der Verteilung von Asylbewerbern auf das Problem der Einhaltung von gemeinsamen EU Mindeststandards bei der Aufnahme. Die Umverteilung von Asylbewerbern, auch eine quotenbasierte, funktioniert nur, wenn das Asylsystem in allen europäischen Ländern nach EU Vorgaben umgesetzt wird.

Die Sorge um die Einhaltung von Menschen- und EU-Recht für Asylbewerber bekommt hier also einen ganz pragmatischen Grund: Verteilungssysteme setzen voraus, dass in alle beteiligten Länder abgeschoben werden kann.

Legen wir jedoch die Kriterien von Flüchtlingsschutz, Effizienz und europäischer Solidarität an die Verteilungsmodelle an, so ergibt sich ein anderes Bild. Das Dublinsystem ist gescheitert, weil es ein bürokratisches Ungetüm ist, das das Prinzip der Verantwortungsverhinderung über den Flüchtlingsschutz und über fundamentale Bedürfnisse von Flüchtlingen stellt. Europaweite Erfassung aller Asylbewerber, Verhandlungen über die Zuständigkeit zwischen den Staaten und aufwendige Abschiebungen innerhalb Europas sind mit einem extrem hohen und teuren Arbeitsaufwand verbunden.

Dabei hat das Dublinsystem faktisch eine relativ geringe Umverteilung zu Folge. Gerade mal 3,7 % aller Antragsteller in Deutschland, deren Verfahren 2014 entschieden wurde, wurden für ihr Asylverfahren in ein anderes Land abgeschoben. Hier muss die Frage gestellt werden, ob das die kostspieligen Umstände rechtfertigt, zumal dies Flüchtlinge, nicht selten Traumatisierte, betrifft. Dem Verteilungsprinzip stehen in vielen Fällen persönliche Schicksale und individuelle Gründe gegenüber, weshalb Abschiebungen nicht zumutbar sind. Ergebnis dessen ist die steigende Relevanz des Kirchenasyls, das momentan zu Spannungen zwischen Innenministerium und christlichen Gemeinden führt. Hier Prinzipien der Verantwortungsverteilung durchsetzen zu wollen, scheint mit dem Anspruch des Flüchtlingsschutzes nicht einherzugehen.

Ein Quotensystem würde die bestehende Situation nur noch verschärfen, in der Asylbewerber zu einer reinen Verschiebemasse werden. Damit könnte ein jeder Asylbewerber in ein jedes europäisches Land beordert werden. Die Entscheidung, wer wohin muss, würde den bürokratischen Aufwand potenzieren. Doch während in einer Exceltabelle Zahlen sich leicht hin und her rücken lassen, so gilt das nicht für Menschen. Tatsächlich stoßen diese administrativen Verfahren der Abschiebung immer wieder auf Proteste aus der Bevölkerung während sie in den zuständigen Staaten als weitere Belastung empfunden werden. Verteilungsmodelle widersprechen sowohl dem Flüchtlingsschutzgebot, einer effizienten Praxis als auch dem Solidaritätsgedanken.

Die Entscheidung, in welchem Land ein Schutzsuchender das Asylverfahren zu durchlaufen hat, hat zudem sehr weitreichende Konsequenzen. Die Person ist nicht nur für das mehrmonatige Verfahren an das zugewiesene Land gebunden, sondern kann auch als anerkannter Flüchtling für mindestens fünf Jahre in kein anderes europäisches Land ziehen.

Die Freizügigkeit des Schengenraums gilt für Flüchtlinge nicht, obwohl deren Recht auf Schutz nach europäischem Recht anerkannt wurde. Dies führte beispielsweise zu den sogenannten ‚Lampedusa-Flüchtlingen’, die durch ihre Proteste in Berlin, Hamburg und anderen Städten bekannt wurden. Es handelt sich dabei vielfach um Flüchtlinge, die in Italien Asyl erhielten, aufgrund der dortigen ökonomischen Situation in Deutschland Arbeit suchen, dies aber im Gegensatz zu Italienern nicht dürfen.

Während die Ablehnung von Asylgesuchen von allen europäischen Staaten anerkannt wird, als Grundlage des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, werden positive Schutzbescheide nicht gewürdigt. Man sollte also vielmehr von einem Gemeinsamen Europäischen Asylvermeidungssystem sprechen, das durch individual-staatlichen Asyl- und Flüchtlingsschutz ergänzt wird.

Will man aber einen solidarischen, effizienten und effektiven Flüchtlingsschutz in Europa, dann bedarf es zunächst einer gegenseitigen Anerkennung positiver Asylentscheidungen. Mit dem Wegfall der langfristigen Folgen dessen, wo das Asylverfahren durchgeführt wird, würde auch ein Verteilungssystem weitgehend überflüssig werden. Flüchtlinge wären in der Lage, dorthin zu gehen, wo sie Bekannte haben  oder wo sie für sich die besten Möglichkeiten sehen, ein neues Leben aufzubauen. Letztlich würde dies ihre Integration in Europa  befördern.

Dass die EU-Richtlinien zum Asyl bei einer solch europäischen Lösung tatsächlich umgesetzt werden und keine Abwärtsspirale der Abschreckung einsetzt, ist allein durch Anreize nicht zu leisten. Auch jetzt schon ist es vor allem der Druck von zentral- und nordeuropäischen Staaten, die zu Reformen der Aufnahmepraxis in Griechenland und Italien geführt haben. Doch das Beharren auf die Einhaltung von EU-Richtlinien ist hierbei mehr Mittel denn Zweck, nämlich die Voraussetzung für Verteilungsverfahren. Stattdessen sollte Reformdruck auf EU-Ebene zentralisiert werden, indem beispielsweise dem Europäischen Asyl-Unterstützungsbüro (EASO) mehr Kompetenzen und eine kontrollierende Funktion zukommen.

Die Wahrung von gemeinsamen Mindeststandards in Asylverfahren und im Flüchtlingsschutz darf jedoch nicht auf innereuropäischen Flüchtlingsschutz beschränkt werden. Überlegungen zu exterritorialen Verfahren, wie Botschaftsasyl, sollten daher mit Vorsicht behandelt werden. Weder gerichtliche Überprüfungen von Entscheidungen noch Sicherheit während des Asylverfahren können dabei gewährleistet werden. Auch temporäre Schutzprogramme sollten nur in Notfällen zum Einsatz kommen, da sie die Gefahr bergen, dass Rechte von Flüchtlingen, die das Asyl bieten, unterminiert werden.

Vielmehr sollten existierende Möglichkeiten wie Resettlement und Familienzusammenführung sowie Rettungsmaßnahmen im Mittelmeer genutzt werden. Wenn wir so effektiven Flüchtlingsschutz, effiziente Flüchtlingspolitik und ein solidarisches Europa in den Mittelpunkt der Reformen des europäischen Asylsystems stellen, beim Zugang, der Aufnahme und der Verantwortungsübernahme, dann kann politisches Asyl ein wesentlicher Baustein im Aufbau einer europäischen Gesellschaft spielen, anstatt Gegenstand eines Verteilungskampfs zu sein, der auf Kosten von Flüchtlingen ausgetragen wird.

 

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