Sustainable Development Zones: Entwicklungszusammenarbeit neu denken

Sustainable Development Zones haben ein großes Potential in der Entwicklungszusammenarbeit. In diesem Beitrag geht es darum, zuerst einmal ganz idealtypisch zwei Strategien der Entwicklungszusammenarbeit vorzustellen: den ethischen (give-take) und den ökonomischen (win-win) Ansatz. Im Weiteren argumentiere ich, dass der ethische Ansatz – gerade vor dem Hintergrund des Umfangs der zu bewältigenden globalen Migrationsprobleme – schnell an seine Grenzen stößt und wir deshalb nach Lösungsstrategien suchen sollten, die auf dem ökonomischen Ansatz basieren.  Das Potential von Sustainable Development Zones liegt meines Erachtens dann darin, dass sie auf der Win-Win-Logik aufbauen und prinzipiell skalierbar sind. Abschließend diskutiere ich einige ethisch relevante Aspekte bei der Planung von Sustainable Development Zones.

 

Die Flucht- und Migrationsbewegungen 2015 haben auch in der Philosophie dazu geführt, dass die Themen Migration und Flucht wieder in den Fokus der theoretischen Aufmerksamkeit gerückt sind. Grundsätzlich beschäftigen sich zwei Disziplinen innerhalb der Philosophie mit diesem Themenkomplex. In der Politischen Philosophie haben die Migrationsbewegungen der letzten Dekade dazu beigetragen, dass theoretische Fragen nach der Legitimität von Staatsgrenzen und globaler Gerechtigkeit neugestellt wurden. Während sich die Politische Philosophie mit Grundsatzfragen auseinandersetzt, konzentriert sich die Angewandte Ethik mit kleinteiligeren – und vielleicht auch dringlicheren Fragestellungen. Um ein paar Beispiele zu nennen: Joachim Wündisch setzt sich etwa mit dem Problem auseinander, was für restitutive Ansprüche entstehen, wenn durch den anthropogenen Klimawandel Land von Inseleinwohnern verloren geht. Hingegen eruiert Christine Strähle, inwieweit Gastarbeitern ein Recht auf politische Mitbestimmung gewährt werden sollte. In meiner eigenen Forschung untersuche ich unter anderem, inwiefern kommerzieller Menschenschmuggel eigentlich moralisch verwerflich ist. Zudem beschäftige ich mich seit einiger Zeit mit Sustainable Development Zones. Dies ist natürlich nur ein kleiner Ausschnitt aus der deutschen Forschung zum Thema Migrationsethik.

 

Moralische Scheuklappen

Ich möchte meine Analyse mit einer bewusst irritierenden Eingangsbemerkung beginnen: Der gegenwärtige Diskurs zu Migrationsthemen – und dies gilt sowohl für meine Disziplin als auch für die öffentliche Diskussion­ – wird zu stark unter moralischen Vorzeichen geführt. Lassen Sie mich an dieser Stelle etwas ausholen. In der Ethik schauen wir – wie auch in anderen Disziplinen üblich – durch unsere spezifischen theoretischen Konstrukte auf Krisen. Das Problem der akademischen Ethik ist meines Erachtens, dass sie dazu tendiert jeden sozialen Missstand als moralisches Problem zu deuten. Wenn ein Ethiker bzw. eine Ethikerin auf einen sozialen Missstand stößt, den es prima facie zu beheben gilt, nötigt ihn sein bzw. sie ihre Ausbildung nach Verantwortlichen zu suchen. Verantwortlich für einen sozialen Missstand kann ein Individuum oder eine Gruppe aus zweierlei Gründen sein. Zum einen kann man – als Individuum oder als Gruppe – für einen sozialen Missstand verantwortlich sein, weil man ihn verursacht hat. Man denke etwa an die sozialen Missstände, die die Kriege in Afghanistan und dem Irak verursacht haben. Man kann jedoch auch in der Verantwortung stehen, weil einem aus bestimmten Gründen eine Hilfspflicht zukommt. Man denke etwa an den einschlägigen Fall von Singer. Ein Kind ist in einen seichten Brunnen gefallen. Eine Frau kommt vorbei und kann das Kind retten, jedoch würden bei der Rettungsaktion ihre Schuhe nass werden. In so einem Fall, kommt der Frau eine Hilfspflicht zu und sie würde sich schuldig machen, wenn sich nicht intervenieren würde. Ein sozialer Missstand kann insofern auch als moralisches Problem gedeutet werden, wenn ein solcher Missstand dadurch weiterbesteht, dass bestimmte Parteien ihren Hilfspflichten nicht nachkommen.

Wichtig für unsere Diskussion ist hier vor allem eines: Aus Sicht der Ethik wird ein Missstand erst zu einem moralischen Problem, wenn Rechte verletzt oder Pflichten nicht erfüllt werden. Im Umkehrschluss bedeutet dies jedoch, dass nicht jeder soziale Missstand als moralisches Problem zu qualifizieren ist. Hier ist ein Gedankenexperiment, um diesen Punkt zu verdeutlichen: Stellen wir uns eine Gruppe von Menschen vor, die auf einer entlegenen Pazifikinsel wohnt. Nun kommt es eines Tages durch ein verehrendes Unwetter zu einem Notstand, die Ernte wird vernichtet, die Dächer der Häuser werden abgedeckt und viele sterben. Stellen wir uns weiter vor, dass der Rest der Welt nichts von diesem Notstand mitbekommt. Aus Sicht der Ethik handelt es sich bei der Notlage der Inselbewohner um einen sozialen Missstand, aber im strengen Sinne nicht um ein moralisches Problem. Warum? Weil der soziale Missstand zum einen nicht von anderen verschuldet wurde, zum anderen aber auch niemand seine Pflichten den Inselbewohnern gegenüber verletzt hat. Denn der Rest der Welt weiß schlichtweg nichts von der Notsituation. Wir haben also einen sozialen Missstand ohne Verantwortliche.

Die Unterscheidung zwischen einem moralischen Problem und einem sozialen Missstand ist aus pragmatischen Erwägungen von zentraler Bedeutung. Einen bestimmten Umstand als moralisches Problem zu klassifizieren, nötigt uns dazu – und das ist wichtig – darüber nachzudenken, wer die Verantwortung trägt. Wenn die Verantwortlichen auf diese Weise ausgemacht wurden, gilt es sie mit allen legitimen Mitteln dazu zu bringen, für die etwaige Rechtsverletzung gerade zu stehen, oder sie dazu zu bringen, ihren Hilfspflichten nachzugehen. Bei ‚bloßen‘ sozialen Missständen verhält es sich dabei anders. Wenn man einen Umstand als sozialen Missstand klassifiziert, bedeutet dies zuerst einmal, dass es keine klaren Hilfspflichten gibt, oder die Zuschreibung solcher Verpflichtungen zumindest schwerfällt. Wenn wir eine Situation richtigerweise als sozialen Missstand deklarieren, ist es uns darüber hinaus moralisch erlaubt, der Situation unternehmerisch entgegenzutreten. Dies ist jedoch nicht so, wenn es sich bei der in Frage stehenden Situation um ein moralisches Problem handelt. Man kann sich diesen Punkt wie folgt verdeutlichen: Nehmen wir an, jemand ist moralisch verpflichtet, mir in einer gewissen Notlage (solidarisch) zu helfen und mir etwas zu trinken zu geben. Wenn er in dieser Weise moralisch verpflichtet ist, darf er – und das ist wichtig – nicht anfangen mit mir zu feilschen.

Wenn man einen Missstand legitimer Weise nicht als moralisches Problem qualifiziert, steht es einem offen, den Missstand unter dem Gesichtspunkt des eigenen Interesses anzugehen. Anders ausgedrückt, wenn wir es mit einem ‚bloßen‘ sozialen Missstand zu tun haben, ist es uns moralisch erlaubt, dass Problem ökonomisch zu betrachten.

Schablonenhaft gesprochen, besteht der ökonomische Lösungsansatz für jede Art von sozialem Problem darin, Lösungen anzubieten, von denen sowohl der Lösungsabnehmer als auch der Lösungsanbieter profitieren. Ökonomische Lösungen sind prinzipiell Win-win-Lösungen. Ein großer Vorteil von ökonomischen Win-win-Lösungen, zu moralischen (give-take) Lösungen liegt darin, dass sie im Prinzip skalierbar sind. Wenn eine unternehmerische Problemlösungsstrategie sich bewährt, kann sie – unter leichter Abwandlung – auf denselben Problemtypus angewendet werden. Der Grund liegt einfach darin, dass die Unternehmerin, im Falle einer gelungenen Investition, am Ende ihre Investitionsmittel samt eines Profits wieder herausbekommt. Diese Investitionsmittel können dann in der nächsten Periode genützt werden, um ein weiteres Problem anzugehen. Ökonomische Lösungen haben also den Vorteil der Skalierbarkeit. Moralische Lösungsstrategien dagegen haben grundsätzlich den Nachtteil, dass Give-take-Lösungen nur solange funktionieren, bis die Geberin oder der Geber selbst nichts mehr zu geben hat.   Nachdem ich einen gewissen Geldbetrag gespendet habe, bin ich am Ende ärmer und nicht reicher. Ich habe also weniger Mittel um soziale Probleme zu lösen.

 

Das Konzept der Sustainable Development Zones

Was gibt es nun aber neben fairen Handelsbeziehungen für Win-win-Lösungen in Beziehung auf die Migrationspolitik? Eine der interessantesten Win-win-Lösungen ist meines Erachtens das Konzept der Sustainable Development Zones (SDZs). Da in anderen Beiträgen tiefer auf das Konzept eingegangen wird, belasse ich es hier bei einer kurzen Beschreibung: Die Grundidee der SDZs ist es, bestehende Flüchtlingslager sowie Slums in Entwicklungsländern unter der Schirmherrschaft eines externen Trägers in nachhaltige Gemeinschaften mit Rechtssystem und einer florierenden Wirtschaft zu transformieren.

Der große Vorteil an dem SDZ-Konzept ist meines Erachtens die eben angesprochene Skalierbarkeit. Sollte sich Sustainable Development Zones als ökonomisch rentable und moralisch zulässige Entwicklungsstrategie erweisen, ließe sich dieses Lösungskonzept beliebig multiplizieren. Der Grund hierfür ist einfach. Wenn es sich herausstellt, dass man mit dem SDZ-Konzept nicht nur der jeweiligen Bevölkerung helfen kann, sondern auch noch einen Profit erwirtschaften könnte, würde die SDZ-Betreibergesellschaften letztlich wie gewöhnliche Firmen wachsen und expandieren. Der Aufbau jeder erfolgreichen SDZ würde dabei – vereinfacht gesprochen – so viel Geld einbringen, dass in der nächsten Periode nicht nur eine, sondern vielleicht sogar zwei SDZs unternommen werden könnten und so weiter. Wenn das SDZ-Konzept profitabel wäre, würde dies auch weitere Entwicklungsanbieter in den Markt holen. Eine Konkurrenz würde entstehen, in der verschiedene Anbieter verschiedene Lösungen anbieten. Dies sollte einerseits die Qualität des Angebots verbessern als auch den Preis für die Dienstleistung über die Zeit drücken.
Gleichzeitig ist es natürlich eine offene Frage, ob das SDZ-Konzept tatsächlich die Transformationen in den Gastländern bewirken kann, die es verspricht. Weiter ist es eine offene Frage, ob – selbst wenn das Konzept hält, was es verspricht – SDZs tatsächlich wirtschaftlich rentabel sind. Diese zwei Fragen lassen sich allerdings nur empirisch beantworten. Die Erfahrung mit Special Economic Zones gibt jedoch Anlass zur Hoffnung.

Unser moralisch dringlichstes Ziel sollte es sein, die Armut auf der Welt zu beseitigen. Sustainable Development Zones sind dabei meines Erachtens ein vielversprechendes Konzept. Natürlich muss gesondert untersucht werden, was die legitimen Rahmenbedingungen für Sustainable Development Zones im Einzelnen sind.  Ich möchte deswegen hier abschließend noch auf eine Reihe von möglichen Problemfeldern aufmerksam machen, die bei der Gestaltung bedacht werden müssen.

  1. Soziale Ungleichheit: Angenommen SDZs funktionieren wie gewünscht, so könnte dies zur Folge haben, dass große soziale Ungleichheiten entstehen, zwischen den Arbeitnehmerinnen, die in der SDZ beschäftigt sind und denjenigen, die dort keine Beschäftigung finden.
  2. Mitbestimmung: In den verschiedensten öffentlichen Dokumenten zu SDZs wird davon gesprochen, dass die Verwalter der SDZ dazu verpflichtet werden sollen, die Bevölkerung in die Planung und die Verwaltung miteinzubeziehen. Meines Erachtens wäre es wichtig, hier noch genauer auszubuchstabieren, worin die politischen Rechte der Bevölkerung bestehen sollen. Aktive Möglichkeiten zur Partizipation scheinen prima facie nicht nur wünschenswert, sondern geboten.
  3. Sozialstandards: Soweit ich es einschätzen kann, werden die ersten SDZ-Pilotprogramme nicht ohne Finanzierung von supranationalen Organisationen (z.B. UNHCR) und staatlichen Entwicklungsorganisationen (z.B. GIZ) auskommen. Hier kann es schnell zu Interessenkonflikten kommen. Zum einen dürfen die Sozialstandards nicht zu hochgesetzt werden, ansonsten siedeln sich Firmen lieber in Special Economic Zones an, denn Kapital ist bekanntlich flexibel. Gleichzeitig dürfen sie aber aus moralischen Gründen nicht zu niedrig sein. Im Speziellen befürchte ich, dass die Standards, die vernünftigerweise angeboten werden können, eventuell den politischen Akteuren der Geberländer nicht ausreichen könnten, da solche Standards (auch wenn international überdurchschnittlich) zu politischem Gesichtsverlust führen könnten. Hier einen guten Kompromiss zu finden, ist sicherlich nicht einfach.
  4. Bewegungsfreiheit: Bei der Einrichtung von Sustainable Development Zones muss die Frage von Bewegungsfreiheit geklärt werden. Den Bewohnern von Sustainable Development Zones sollte auf jeden Fall das Recht auf Bewegungsfreiheit im Gastland (also dem Land, auf dessen Boden die SDZ errichtet wird) gewährt werden. Dies ist besonders dann zu beachten, wenn etwa Flüchtlingscamps zu Sustainable Development Zones umgebaut werden sollen. Oftmals ist es den Bewohnern von bestehenden Flüchtlingslagern nämlich nicht erlaubt, ihre Camps zu verlassen.

Um noch einmal zusammenzufassen, ich habe in diesem Beitrag dafür plädiert, nicht jeden sozialen Missstand als moralischen Problem zu fassen. Dies ist meines Erachtens eine besonders wichtige Lehre für Migrations- und Entwicklungsfragen. Ganz einfach schon deshalb, weil die Industrienationen gar nicht über die Mittel (Kapital, Wissen, Begleitpersonal) verfügen, um die verschiedensten Probleme in diesen Felder zu meistern. Ist ein sozialer Missstand erst einmal als moralisches Problem gefasst, dann sind wir gezwungen den Menschen, die sich in der misslichen Lage befinden, im Modus des Versorgens und Pflegens gegenüber zu treten. Der Modus des Versorgens und Pflegens ist jedoch nur geeignet, um akute Notfälle (wie die Flüchtlingskrise) zu meistern. Wenn es jedoch um die Entwicklung ganzer Regionen geht, dann ist es, meines Erachtens zentral, gedanklich die Moralbrille möglichst schnell abzulegen und nach skalierbaren, ökonomischen Lösungen für die sozialen Missstände zu suchen. Das SDZ-Konzept scheint mir so ein skalierbares Lösungskonzept zu sein.

Dieser Beitrag ist Teil der Blogreihe Partizipation und Ownership in Fluchtsituationen.

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